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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel der Mittelbayerischen Zeitung zur deutschen Reaktion auf die NSA-Affäre

Geschrieben am 05-07-2013

Regensburg (ots) - Im Visier von Freunden

Hinter dem USA-Ausspähprogramm stecken handfeste
Sicherheitsinteressen. Auch Deutschland profitiert.

Die Empörung ist zu Recht riesengroß. Seit der
Ex-Geheimdienst-Mitarbeiter Edward Snowden vor rund vier Wochen das
gigantische geheime Ausspähprogramm öffentlich machte, hat das
Verhältnis zu den USA einen Knacks wegbekommen. Ausgerechnet
Deutschland, das sich doch seit Jahrzehnten zu den engsten
Verbündeten der westlichen Supermacht zählt, wird nach allen
Möglichkeiten der modernen Kommunikationstechnik ausgespäht, wie
sonst nur "Schurkenstaaten" observiert werden. Ausspioniert von
Freunden - das tut doppelt weh. Ja, wenn die NSA-Leute Syrien,
Nord-Korea oder den Iran derart abfischten, wäre das wahrscheinlich
gutgeheißen worden. Aber doch nicht der größte europäische Partner.
Der Schock über das große Abhörprogramm ist auch ein kultureller. Und
der Argwohn wird nur noch genährt durch immer neue Details. Dass
nicht nur E-Mails, Facebook-Einträge, Twittermeldungen oder
Telefonate sondern auch Briefe ausspioniert werden, gehört dazu. Doch
hinter der großen Welle von Enttäuschung und Empörung wird kaum die
Frage nach den Motiven und Hintergründen der großen Datenspionage
gefragt. Aber davon gibt es eine ganze Menge. Etwa politische und
historische. Die einstige Siegermacht USA hatten, wie die anderen
Siegermächte Großbritannien, Frankreich und Sowjetunion, allergrößtes
Interesse an der absoluten Kontrolle des Nach-Kriegs-Deutschlands.
Zum Besatzungsrecht und zur Besatzungspraxis gehörte das ausführliche
Ausspähen von Post und Telefon, in West wie Ost des besiegten Landes.
Die Crux ist, dass dieses Recht und diese Praxis selbst nach der
wieder erlangten Souveränität Deutschlands 1990 im Nato-Recht
fortgeschrieben wurden. Dass Kanzlerin Angela Merkel und
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich und Co. heute so seltsam lau
auf die Spionage im Datennetz reagieren, hat auch mit den
gegenseitigen Verpflichtungen der Sicherheitsdienste zu tun. Und in
der Berliner Regierung weiß man auch, dass die zum Glück in
Deutschland vereitelten Anschläge von Terroristen auf "Tipps"
befreundeter Dienste zurückgingen. Im Grunde betreiben die USA für
Deutschland eine Art Vorratsdatenspeicherung. Denn auch die
Sicherheit der Bundesrepublik hat mit Ergebnissen von rechtlich
fragwürdigen Recherchemethoden von US-Diensten zu tun. Ob der Zweck,
etwa der Schutz vor Anschlägen, die anrüchigen geheimdienstlichen
Mittel heiligt, wird in Deutschland dagegen so gut wie nicht
diskutiert. Es überwiegt die abgrundtiefe Empörung. Doch das ist
freilich ziemlich wohlfeil. Zumal in Wahlkampfzeiten, wo einfache
Botschaften Konjunktur haben, wo nur Schwarz oder Weiß gezeichnet
wird, statt auch Zwischentöne zu beachten. Man kann und muss über das
Misstrauen der US-Behörden gegenüber Deutschland empört sein - es hat
allerdings einen realen Kern: Einige der Attentäter des 11. September
2001 hatten sich in Deutschland, unbemerkt und unbehelligt von den
Sicherheitsdiensten, auf den Mörderjob vorbereitet. Man kann und man
muss die ziemlich maßlosen Ausspähaktionen der US-Dienste
verurteilen. Aber unter wirklichen Freunden muss auch offen darüber
geredet werden. Zwischen Berlin und Washington ist viel Vertrauen auf
der Strecke geblieben. Das muss wiederhergestellt werden. Nicht nur
unserer gemeinsamen Werte wegen, sondern auch, weil etwa ohne
Vertrauen Europa mit den USA kein vernünftiges Freihandelsabkommen
abschließen kann.

Von Reinhard Zweigler, MZ



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de


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