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Landeszeitung Lüneburg: "Es gibt eine Vertrauenskrise" / Wolfgang Bosbach fordert Konsequenzen aus US-Spähaktionen - Verhandlungen Ïber Freihandelsabkommen nutzen

Geschrieben am 04-07-2013

Lüneburg (ots) - Die umfassenden Ausspähaktionen des
US-Geheimdienstes NSA belasten die transatlantischen Beziehungen.
US-Präsident Barack Obama hat nun in einem Telefonat mit Kanzlerin
Angela Merkel zwar versichert, dass er die Bedenken der europäischen
Partner sehr ernst nehme und Informationen über die NSA-Aktivitäten
zur Verfügung stellen werde, aber der Vertrauensverlust ist groß.
"Von Partnern in einer Wertegemeinschaft muss man erwarten, dass sie
fundamentale Freiheits- und Bürgerrechte verteidigen und nicht außer
Kraft setzen", sagte der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach im
Gespräch mit unserer Zeitung. Er fordert, dass die am Montag
beginnenden Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen der
EU und den USA ergänzt werden um die Themen Datensicherheit und
Schutz vor Industriespionage.

Herr Bosbach, Sie haben mit Blick auf die Datenspionage des
US-Geheimdienstes NSA Konsequenzen für das geplante
Freihandelsabkommen der USA mit der EU gefordert. Welche Konsequenzen
könnten das sein?

Wolfgang Bosbach: Das Freihandelsabkommen hat sowohl für die USA
als auch für die EU eine große wirtschaftliche und politische
Bedeutung. Aber es muss dringend um die Kapitel Datenschutz,
Datensicherheit und Schutz vor Industriespionage ergänzt werden. So
wichtig ein freier Handel ist, so wichtig ist auch der Schutz nicht
nur der privaten Kommunikation, sondern auch von Betriebsgeheimnissen
wie zum Beispiel sensiblen Forschungsergebnissen, die für die
Unternehmen von überragender wirtschaftlicher Bedeutung sein können.

Kanzlerin Angela Merkel hat verärgert auf die jüngsten
Enthüllungen reagiert. Wenn sich bestätige, dass die NSA
diplomatische Vertretungen der EU und europäischer Länder ausgespäht
habe, sei das "inakzeptabel". Sehen Sie das genau so?

Bosbach: Da hat sich die Kanzlerin noch sehr diplomatisch
ausgedrückt. Das ist unter keinem Gesichtspunkt akzeptabel. Hier
drängt sich der Eindruck auf, als sei Terrorabwehr oft nur ein
Vorwand für Spionagetätigkeit, die wir in diesem Ausmaß eigentlich
nur aus der Zeit des Kalten Krieges kennen. Die Amerikaner werden ja
wohl nicht ernsthaft bei Institutionen der EU in New York oder
Washington Unterstützung für den internationalen Terrorismus
vermuten.

Wie groß ist Ihrer Meinung nach der entstandene Schaden im
transatlantischen Verhältnis?

Bosbach: Es gibt eine Vertrauenskrise - und ich fürchte, sie wird
bleiben, wenn die Fragen, die die Bundesregierung an Washington und
London gerichtet hat, nicht überzeugend beantwortet werden. Wir haben
immer betont, dass wir uns mit Großbritannien nicht nur in der
Wirtschaftsgemeinschaft EU oder mit den USA in der
Verteidigungsgemeinschaft NATO befinden, sondern dass dies
Wertegemeinschaften sind. Und von Partnern einer Wertegemeinschaft
muss man erwarten, dass sie fundamentale Freiheits- und Bürgerrechte
verteidigen und nicht außer Kraft setzen.

US-Präsident Barack Obama hat den Europäern Aufklärung zugesagt
und betont, man prüfe den "Spiegel"-Artikel. Es sei noch unklar,
welche Geheimdienstprogramme darin genau angesprochen worden seien.
Wenn dies geklärt sei, würde er "unsere Verbündeten angemessen
unterrichten". Muss man aus dieser Aussage ableiten, dass Washington
nur das zugibt, was ohnehin durchgesickert ist?

Bosbach: Es ist durchaus möglich, dass Präsident Obama nicht jede
Einzelheit der Ausspähungsprogramme kennt. Das macht die Sache aber
nicht besser. Seit geraumer Zeit wird befürchtet, dass sich
Geheimdienste selbstständig machen und sich einer wirksamen
parlamentarischen Kontrolle entziehen können. Sowohl die USA als auch
Großbritannien haben nach den verheerenden Terrorangriffen ihren
Geheimdiensten sehr weitreichende Befugnisse gegeben. Das ist vor dem
Hintergrund der dramatischen Erfahrungen mit dem Terror zwar
verständlich, rechtfertigt aber nicht Ausspähungsprogramme, die die
komplette Kommunikation erfassen, und sogar die Speicherung von
Kommunikationsinhalten, die keine Sicherheitsrelevanz haben.

Die USA haben ein Heer von Mietspionen engagiert - auch um die
enormen Mengen an Daten besser auswerten zu können. Ist davon
auszugehen, dass diese Privatunternehmen Daten nicht nur an die
US-Behörden weiterreichen, sondern auch noch auf dem "digitalen"
Markt verkaufen?

Bosbach: Das ist genau die sich daran anschließende Frage. Wenn
Großbritannien und die USA behaupten, die ausgespähten Informationen
würden nur auf Servern der Sicherheitsdienste lagern, beruhigt mich
das nicht. Die Frage ist, wer unter welchen Voraussetzungen auf diese
Daten zugreifen kann. Und wer diese Daten zu welchem Zweck nutzt.
Natürlich werden beide Staaten behaupten, dass die Analyse der Daten
nur zu Sicherheitszwecken stattfindet. Aber wenn auch Daten
gespeichert werden, die keine Relevanz zur Gefahrenabwehr haben,
stellt sich die Frage, warum dann überhaupt eine Speicherung
stattfindet.

Sie haben Wirtschaftskriminalität angesprochen. Es gibt aber noch
andere Aspekte: Sind Informantenschutz von Journalisten oder
Anwaltsgeheimnisse nur noch leere Hüllen, wenn der gesamte
Datenverkehr von Telefonat, E-Mail bis zur SMS ausgespäht werden
kann?

Bosbach: Das kommt noch hinzu. Außerdem ist es ein entscheidender
Unterschied, ob man wie der Bundesnachrichtendienst den
Informationsfluss nach bestimmten Suchbegriffen oder Schlagwörtern
scannt, um sicherheitsrelevante Informationen herauszufiltern, oder
ob eine Kompletterfassung und Speicherung der Kommunikation
stattfindet. Dann geraten wichtige Freiheits- und Bürgerrechte unter
die Räder - wie zum Beispiel das vertrauliche Gespräch zwischen
Anwalt und Mandant.

Müsste es dann nicht multinationale Abkommen geben?

Bosbach: Meine Befürchtung ist, dass wir im Verhältnis zu den USA
wenig erreichen, wenn wir in Europa nicht mit einer Stimme sprechen.
Ganz wichtig ist, dass sich die Staaten der Europäischen Union auf
eine gemeinsame Vorgehensweise verständigen und dass alle Länder die
Themen Datenschutz, Datensicherheit und informationelle
Selbstbestimmung der Bürger wirklich ernst nehmen. Wenn jedes Land
eigene Vorstellungen entwickelt und eigene Programme hat, werden wir
gegenüber der amerikanischen Regierung keine große Wirkung erzielen.

Ist die Empörung auch ein Stück weit vorgeschoben, weil die
fortschreitende Digitalisierung den Geheimdiensten die Erfüllung
ihres Überwachungs-Auftrages so erleichtert wie nie zuvor?

Bosbach: Nein, die Empörung ist verständlich. Und sie ist
gerechtfertigt, denn nicht alles, was technisch machbar ist, ist auch
legal oder legitim.

Glauben Sie, dass die Enthüllungen über die
Geheimdiensttätigkeiten beim Bürger Spuren hinterlassen und sich die
Nutzung von Facebook, Twitter, Google und Co. künftig ändert?

Bosbach: Wir hatten vor zwei Wochen ein Gespräch mit
amerikanischen Unternehmen, die eine Niederlassung in Deutschland
haben. Für uns Bundestagsabgeordnete war es sehr interessant zu
hören, dass die Repräsentanten dieser Firmen die Bundesregierung
darum gebeten haben, in ihren Gesprächen mit der US-Administration
die Themen Datenschutz und Datensicherheit anzusprechen und für mehr
Schutz zu werben. Diese Firmen wissen genau: Wenn die Nutzer, ihre
Kunden, Vertrauen in das Unternehmen verlieren und in die Sicherheit
der Kommunikation oder wenn es eines Tages europäische Alternativen
geben sollte im Bereich Cloud-Computing gegenüber Apple, Microsoft
oder anderen US-Internetriesen, geht es um Umsatz und Gewinne. Und an
dieser Stelle sind die Unternehmen besonders sensibel.

Werden Sie künftig im Internet anders agieren als vorher?

Bosbach: Nein, ich werde mein Nutzungsverhalten nicht ändern, denn
ich tausche hochsensible Informationen nicht online aus. Das mache
ich auf andere Weise: So benutze ich für wichtige und vertrauliche
Gespräche nicht mein modernes Smartphone, sondern ein eher antikes
Handy, weil ich weiß, dass dieses wesentlich schwerer abzuhören ist.

Das Interview führte Werner Kolbe



Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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