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Landeszeitung Lüneburg: "Wir haben eine ganze Menge gelernt" / Wasserbau-Experte Prof. Fröhle fordert breitere Debatte über Flut-Risiken und übergeordnete Planung des Schutzes

Geschrieben am 20-06-2013

Lüneburg (ots) - Die Pegel sinken, das große Aufräumen hat
begonnen. Nach dem zweiten "Jahrhunderthochwasser" innerhalb von elf
Jahren gibt es nun eine Flut von Fragen: Wurden die richtigen Lehren
aus der Flut von 2002 gezogen? Haben sich die neuen Schutzmaßnahmen
bewährt? Der Harburger Wasserbau-Experte Prof. Dr.-Ing. Peter Fröhle
sagt: Wir müssen mit dem Wasser leben und bestimmte Risiken in Kauf
nehmen.

Die Bilder des Elbehochwassers von 2002 und von 2013 gleichen
sich. Haben wir nichts dazugelernt?

Professor Dr.-Ing. Peter Fröhle: Die Bilder und der Verlauf waren
in der Tat ähnlich. In beiden Fällen hat dauerhafter Starkregen im
Einzugsgebiet der Elbe zu extrem hohen und langanhaltenden Abflüssen
geführt, die in diesem Jahr teilweise sogar noch etwas höher waren
als vor elf Jahren. Wir haben aber eine ganze Menge gelernt, und es
ist seit 2002 auch vieles davon umgesetzt worden. Das betrifft
natürlich hauptsächlich die damals am stärksten betroffenen Bereiche.
In Dresden etwa gibt es in diesem Jahr deutlich weniger Schäden, auch
Teilbereiche der Mulde sind diesmal lange nicht so stark betroffen
wie vor elf Jahren. Es hat leichte Verschiebungen gegeben. Wo der
Hochwasserschutz angepasst worden ist, hat dieser auch seinen Zweck
erfüllt. Aber an Stellen, an denen die Planungen noch nicht umgesetzt
werden konnten - zum Beispiel in Grimma - gab es erneut erhebliche
Schäden.

Wurden Schutzmaßnahmen auch auf die lange Bank geschoben, weil man
ja erst in rund 100 Jahren mit einem solchen Hochwasser gerechnet
hat?

Fröhle: Es hat sicher Verzögerungen gegeben - auch unnötige. Das
liegt zum einen am Planungsprozess, zum anderen auch an lokalen
Entscheidungsträgern und Bürgerinitiativen. In Grimma, aber auch
anderswo, hat sich gezeigt, dass einige Anwohner keinen
Hochwasserschutz wollten. Auch wenn ein solches Hochwasser im
statistischen Mittel nur einmal in hundert Jahren auftritt, bleibt
die Wahrscheinlichkeit für jedes Jahr mit 0,01 gleich groß. Man kann
definitiv nicht sagen: Wir haben 2002 eine 100-jährliches Hochwasser
gehabt, deshalb haben wir bis 2102 Ruhe. Das Wiederkehrintervall ist
eine statistische Größe.

Muss der Bürgerwille bei der Umsetzung von Schutzmaßnahmen
eingeschränkt werden, wie Sachsens Ministerpräsident Stanislaw
Tillich es fordert?

Fröhle: Ich habe diese Forderung von ihm so nicht wahrgenommen und
kann mir nicht vorstellen, dass er an dieser Stelle die Demokratie
einschränken will. Ich halte nichts davon, den Bürgerwillen
einzuschränken. Vielmehr sollte man die betroffenen Bürger noch mehr
an den Planungen von Hochwasserschutzmaßnahmen beteiligen. Dies ist
im Allgemeinen förderlich für eine einvernehmliche, gemeinsam
erarbeitete Lösung und kann Genehmigungsverfahren beschleunigen, wie
einzelne Beispiele zeigen. Das soll nicht heißen, dass jede einzelne
Stimme auch berücksichtigt werden kann. Vor diesem Problem stehen Sie
aber bei jeder Planung - zum Beispiel auch bei Straßen. Aber wenn es
einen gesellschaftlichen Konsens gibt über ein Bauvorhaben, wird man
sich über gewisse Widerstände hinwegsetzen müssen.

Sind die deutschen Genehmigungsverfahren für große Bauprojekte zu
umständlich?

Fröhle: In Teilbereichen dauern Planungen sicher zu lange. Das
liegt aber an der Umsetzung rechtlicher Rahmenbedingungen. Da haben
wir sicher Bedarf an Vereinfachungen.

Bundesumweltminister Peter Altmaier wirbt jetzt für die
Rückverlegung von Deichen. Das hat schon Kanzler Helmut Kohl nach dem
Oderhochwasser 1997 angemahnt, als er sagte: "Wir müssen den Flüssen
Raum lassen" -- ganz zu schweigen von Umweltschützern. Warum sind
seit 2002 Hunderte Millionen Euro vor allem in den technischen
Hochwasserschutz wie Deiche und Schutzwände geflossen statt in
natürliche Flutungsflächen?

Fröhle: Hochwasserschutz ist immer als etwas Ganzheitliches zu
sehen und funktioniert nicht ohne Deiche und Schutzwände -
insbesondere in besiedelten Gebieten. Die Rückverlegung von Deichen
kann man relativ einfach fordern, aber schwer politisch und
gesellschaftlich umsetzen, weil Menschen betroffen sind, denen diese
Flächen gehören. Und nicht zuletzt sind dies natürlich extrem teure
Maßnahmen. Deshalb will die Verlegung von Deichen wohlüberlegt sein.
Außerdem ist das kein Allheilmittel und hat vielfach nur einen
geringen Effekt auf den Hochwasserscheitel. Hier sind gesteuerte
Polder, mit denen man gezielt Hochwasserwellen kappen kann, viel
effektiver. Ohne Deiche, Hochwasserschutzwände und gesteuerte Polder
wird der Hochwasserschutz nicht funktionieren.

Sie gehören zu den 16 Professoren für Wasserbau und
Ingenieurhydrologie, die eine Resolution unterzeichnet haben. Darin
heißt es, vollständiger Hochwasserschutz sei ökonomisch weder
sinnvoll noch technisch möglich. Sie fordern eine neue Risikokultur
wie in den Niederlanden. Heißt das, die Semperoper mit aller Macht
schützen und kleinere Orte absaufen lassen?

Fröhle: Das ist eine sehr verkürzte Interpretation. Es geht darum,
dass die Gesellschaft eine Entscheidung darüber treffen muss, was
unbedingt geschützt werden muss. In Passau wurden Wasserstände und
Abflussmengen erreicht, die dort seit 500 Jahren nicht mehr
aufgetreten sind. Auch gegen ein solches Ereignis, dass statistisch
einmal in 500 oder 1000 Jahren auftritt, kann man sich technisch
schützen - wenn man das will. Aber das kostet extrem viel Geld. Da
muss man eine Grenze ziehen. Es gibt aber auf der anderen Seite
kritische Infrastruktur, die auf gar keinen Fall überflutet werden
darf: Atomkraftwerke und Umspannwerke etwa. Und natürlich dürfen
Menschenleben nicht gefährdet werden. Diese Risiken müssen wir
ausschließen, andere aber bewusst in Kauf nehmen.

Das Einzugsgebiet der Elbe umfasst vier Länder. In Deutschland
sind zehn Bundesländer sowie zahlreiche Landräte und Bürgermeister
zuständig. Brauchen Flüsse ein zentrales europäisches Management
statt Kleinstaaterei, die vor allem regionale Vorteile im Auge hat?

Fröhle: Hochwasserschutz muss immer das gesamte Einzugsgebiet
umfassen und dabei sind gemeinsame Anstrengungen absolut
erforderlich. Es gibt übergeordnete Ansätze, zum Beispiel einen
Katastrophenstab, aber eben noch nicht im Detail bei der Planung des
Hochwasserschutzes. Die Zuständigkeiten dafür sind weiterhin auf
Länder- beziehungsweise Landkreisebene angesiedelt. Die freiwillige
länderübergreifende Zusammenarbeit wird aber mit jedem Hochwasser
besser. Beispielsweise wurden von den jeweiligen Anrainerländern
sogenannte Flussgebietsgemeinschaften unter anderem für Elbe, Weser
und Rhein eingerichtet. Hier sollen Planungen abgestimmt werden.

Modernes Hochwasser-Management mit steuerbaren Poldern,
Rückhaltebecken und Talsperren setzt exakte Wasserstandsvorhersagen
voraus. Wa"rum waren die Prognosen diesmal so unzuverlässig?

Fröhle: Weil es Deichbrüche gegeben hat, die in den
Szenario-Rechnungen nicht berücksichtigt waren. Die riesigen
Wassermengen, die dadurch abgeflossen sind, haben - ähnlich wie
Polder - im Unterlauf für eine Entlastung gesorgt. An dieser Stelle
haben die Modelle offensichtlich versagt. Die Modelle an sich sind
recht gut, müssen aber weiterentwickelt werden, damit man zukünftig
auch operationell besser auf die sich teilweise schnell und
dramatisch ändernden Rahmenbedingungen reagieren kann. Bei diesem
Hochwasser konnte man es offensichtlich noch nicht. Deshalb waren die
Prognosen auch teilweise deutlich höher als der tatsächliche
Wasserstand. Aber diese Schwäche der Berechnungen hat man auch
erkannt.

Was halten Sie von Hochwasser-Pflichtversicherungen - sozusagen
als finanzieller Anreiz, sich nicht in Flussnähe anzusiedeln oder gar
wegzuziehen?

Fröhle: Es wäre natürlich wünschenswert, dass Menschen in
hochwassergefährdeten Gebieten schlicht nicht siedeln. In einigen
Bereichen gibt es ja auch solche Vorschriften - aber eben auch
Ausnahmegenehmigungen. Eine allgemeine deutschlandweite
Pflichtversicherung für alle Bürger halte ich nicht für sinnvoll.
Wenn man das als gesamtgesellschaftliche Aufgabe sieht, gibt es
möglicherweise einfachere Finanzierungsformen. Aber eine
Hochwasser-Pflichtversicherung für die Menschen, die in
hochwassergefährdeten Gebieten leben, ist meines Erachtens sinnvoll.
Dies würde auf jeden Fall sensibel machen für die Gefahren, die in
diesen Bereichen bestehen. Eine solche Versicherung müsste dann
natürlich angepasst werden an die jeweils zu erwartenden Schäden. Es
ist durchaus möglich, auch in Überflutungsgebieten
hochwasserangepasst oder hochwassersicher zu bauen.

Was ist aus Ihrer Sicht die wichtigste Lehre aus dem Hochwasser in
diesem Jahr?

Fröhle: Die wichtigste Lehre ist, dass es zukünftig eine
übergeordnete Betrachtung und Planung von Hochwasserschutz geben muss
und dass wir eine gesellschaftliche Diskussion darüber führen müssen,
welche Risiken wir zulassen wollen oder sogar zulassen müssen. Das
Ziel muss es sein, Realitätsbewusstsein zu erlangen im Umgang mit den
offensichtlichen Gefahren.

Das Gespräch führte Klaus Bohlmann



Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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