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BERLINER MORGENPOST: Nicht nörgeln: Besser machen / Leitartikel von Philip Cassier

Geschrieben am 11-12-2012

Berlin (ots) - In seinem Urteil war sich der größte Wortkünstler
des Staates sicher: Der Nachwuchs? Eine Katastrophe! Keine Disziplin,
kein Streben nach wahrer Bildung, nach den großen Idealen von
Wahrhaftigkeit und daraus resultierendem Edelmut, überhaupt, es sei
ein Jammer mit der Jugend.

Die Worte des Römers Cicero (106-43 vor Christus) mögen heute ein
wenig schwülstig klingen - und doch haben sie spätestens seit der
ersten Pisa-Studie im Jahr 2000 in der bundesrepublikanischen
Gegenwart Platz. Er existiert der Chor derjenigen, die glauben, dass
Deutschlands Kinder - in Berlin zumal - ab der Grundschule in Sachen
Bildung und naturwissenschaftliches Verständnis kaum mehr mit dem
Nötigsten ausgestattet werden. Und ganz sicher beruht dieser
Kulturpessimismus vieler Eltern, Lehrer und Professoren auf eigenem
Erleben; denn es gibt sie, die Schulen, in denen in ganzen Klassen
nur noch wenige Muttersprachler anzutreffen sind, in denen die Lehrer
bereits in der Grundschule vor allem als Sozialarbeiter tätig werden.
Auch hier gilt: zumal in Berlin.

Zwei neue Bildungsstudien widersprechen nun allerdings dieser
gefühlten Realität, es werde für die Kinder immer früher alles
schlechter. Das wichtigste Ergebnis, das die Iglu-Lesestudie und die
TIMSS-Mathematikstudie präsentieren, besagt: Die Viertklässler in
Deutschland erbringen beim Lesen, in Mathematik und in den
Naturwissenschaften überdurchschnittliche Leistungen, wie das schon
bei der letzten Erhebung der Fall gewesen war. Im internationalen
Vergleich schneiden die deutschen Grundschüler im oberen Drittel ab.
Es wäre begrüßenswert, wenn es deutschen Kulturpessimisten gelänge,
sich darüber zu freuen.

Die Kehrseite speziell der Lesestudie sieht so aus: Gut 15 Prozent
der Kinder verfügen über keine ausreichende Kompetenz beim Lesen. Und
nur 9,5 Prozent der Grundschüler zeigen die höchste Lesekompetenz.
Was sich besonders in den weiterführenden Schulen rächt - wer von
Anfang an kaum mitkommt, der wird im Laufe seiner Schulkarriere
irgendwann vollkommen abgehängt und steht auf dem Arbeitsmarkt vor
dem Nichts. Noch eine Erkenntnis bestätigt die Studie aufs Neue:
Allen Absichtserklärungen der Politik zum Trotz bleibt Bildung eine
Sache der sozialen Schicht. Statistisch gesehen hat ein Kind von
einem Professor oder einem Chefarzt eine 4,7-fache Chance zur
Gymnasialempfehlung im Vergleich zu einem Facharbeiter. Eine Kluft,
die durch alle Reformen - frühere Einschulung, ständige Überarbeitung
der Lehrpläne und -methoden - nicht überwunden wurde.

Ironischerweise sind damit die Kinder von denjenigen, die sich am
lautesten beklagen, am wenigsten betroffen. Man darf sogar darauf
bauen, dass Kinder aus einem entsprechenden Elternhaus bereits vor
der Grundschule zu Hause mit vielen Bildungsanreizen wie Vorlesen
versorgt werden. Aber was hilft das den buchstäblich Sprachlosen? Es
ist eine sehr deutsche Eigenschaft, in solchen Fällen nach dem Staat
zu rufen. Doch es lässt sich schwer leugnen: Jeder Euro, der in Kitas
investiert wird, kann zum Überwinden der Kluft beitragen. Und wenn
das auf Kosten des Elterngelds passiert.



Pressekontakt:
BERLINER MORGENPOST
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de


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