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"DER STANDARD"-Kommentar: "Schritt gegen die Selbstgeißelung" von Gerald John

Geschrieben am 19-11-2012

Die Verkleinerung des Nationalrats würde nicht auffallen - und
wäre dennoch falsch - Ausgabe vom 20.11.2012

Wien (ots) - Das Reise-nach-Jerusalem-Spiel ist abgeblasen: Anders
als noch im März angekündigt, wird sich der Nationalrat nicht selbst
verstümmeln. Auch nach der nächsten Wahl werden noch 183 Abgeordnete
im Plenum des Hohen Hauses Platz nehmen - und sich dafür am Boulevard
einige Tachteln einfangen.
Von allein wären die Mandatare ohnehin nie auf die Idee gekommen,
sich gegenseitig die Sessel unterm Hintern wegzuziehen. Es war die
Regierung, die auf eine Verkleinerung der Volksvertretung drängte,
sich letztlich aber wohl mit dem geringeren Übel abgefunden hat. Noch
mehr als ein paar wütende Schlagzeilen fürchten die Parteichefs den
Ärger der eigenen Leute. Die angeschlagenen Großparteien können nicht
brauchen, dass sich ihre Funktionäre im Wahlkampf nicht ins Zeug
legen, weil das ohnehin stetig schrumpfende Kontingent an Posten
mutwillig beschnitten wurde.
Leicht ist der Rückzieher vor dem politikverdrossenen Volk nicht zu
verteidigen. Die wenigsten Bürger hätten sich noch schlechter als
bisher vertreten gefühlt, wenn im Nationalrat künftig 18 Plätze frei
geblieben wären. Was hat ein Parlamentarier denn schon groß zu reden?
Jeder weiß, dass die von der Verfassung zugestandene Rolle des
Gesetzgebers nur formal ist, Fassade. Fast alle wichtigen Beschlüsse
fällt die Regierung. Den Mandataren bleibt die fruchtlose Aufgabe,
rhetorische Schaukämpfe um längst gefallene Entscheidungen
auszutragen. Dass gute Argumente dabei auch einmal Meinungen ändern,
weiß der Klubzwang zu verhindern.
Natürlich gibt es quer durch die Fraktionen engagierte Abgeordnete,
die hinter den Kulissen um Einfluss kämpfen und die Kontrolle von
Regierungsmacht hochhalten - der Anti-Korruptions-Ausschuss war da
ein kräftiges Lebenszeichen. Aber gerade viele Mandatare der
Koalition haben sich damit abgefunden, widerspruchslos zu schlucken,
was Kanzler und Minister vorkauen. Jüngstes Zeugnis eigener Ohnmacht
war der Appell des Nationalrats an die Regierung, doch bitte schön
eine wöchentliche Turnstunde einzuführen. Der "Gesetzgeber" bettelt
um etwas, das er selbst verfügen könnte.
Also weg mit ein paar von diesen Pseudo-Volksvertretern, weil es eh
wurscht ist? Nein, denn nach dieser Logik könnte man irgendwann auf
die Idee kommen, das ganze Haus zuzusperren. Der Parlamentarismus
lässt sich nicht stärken, indem ihn die Regierung einzusparen beginnt
- im Gegenteil. Um seinem Schattendasein zu entfliehen, benötigt der
Nationalrat nicht weniger, sondern mehr Geld; etwa für versierte
Mitarbeiter, die unabhängig von den Ministerien auch einmal selbst
Gesetze basteln können. Und es braucht ein Persönlichkeitswahlrecht,
das die Karriere von Mandataren stärker an das Votum ihrer lokalen
Wähler koppelt statt an den Gehorsam zur Parteizentrale.
Dass sich die Abgeordneten gegen das aufgezwungene Sparpaket gewehrt
haben, ist ein guter Dienst an der gesamten politischen Sache. Die
weniger finanziell als symbolisch bedeutende Schrumpfung des
Nationalrats hätte zwar kurzfristig Applaus gebracht, aber - ähnlich
wie beim Streit um eine Gehaltserhöhung für Politiker und die
Sanierung des Parlaments - eine unterschwellige Botschaft
transportiert, die auf lange Sicht der ganzen Kaste auf den Kopf
fällt: Wenn Politiker ständig suggerieren, dass die eigene Arbeit
nichts wert ist, dann werden es die Wähler auch glauben.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom


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