(Registrieren)

Altersblindheit: "Dieser AOK-Vertrag ist für Patienten eine Mogelpackung"

Geschrieben am 30-08-2012

Aachen (ots) - Mit einem vertraglich zugesicherten, finanziellen
Bonus will die AOK Baden-Württemberg Augenärzte belohnen, wenn diese
von Altersblindheit bedrohte Patienten aus rein ökonomischen Gründen
mit einem nicht zugelassenen Medikament behandeln, obwohl zugelassene
Therapien zur Verfügung stehen. Die Patienten werden über diese
Bonus-Regelung jedoch nicht informiert. Ein entsprechender
Facharzt-Vertrag, der zur Zeit im Sozialministerium von
Baden-Württemberg geprüft wird, ist daher nach Auffassung der
Selbsthilfeorganisation PRO RETINA Deutschland e.V. eine
Mogelpackung. Er ist sozialrechtswidrig, setzt Ärzte und Patienten
unter Druck und beschädigt vor allem das Vertrauensverhältnis
zwischen Arzt und Patient.

ALLE DOKUMENTE ZU DIESER PRESSE-INFORMATION FINDEN SIE HIER:
http://www.pro-retina.de/aok-vertrag

Menschen mit der Augenerkrankung Altersabhängige
Makula-Degeneration (AMD) dürften die klein gedruckte Schrift des
2-seitigen Merkblattes der AOK Baden-Württemberg kaum entziffern
können. Weil sich in ihrer Netzhaut an der Stelle des schärfsten
Sehens (Makula) Flüssigkeit ansammelt und die Sehzellen zerstört, ist
dadurch die Lesefähigkeit bei der so genannten feuchten Form der AMD
als erstes beeinträchtigt. Spätestens dann muss die Behandlung
umgehend beginnen, um den weiteren Verlust der Sehkraft zu stoppen.
http://www.pro-retina.de/dateien/aok-merkblatt-fuer-patienten.pdf
http://ots.de/EF0zD

"Um die Versorgung von Patienten mit AMD und anderen
Augenerkrankungen zu optimieren", lobt sich die AOK Baden-Württemberg
in einer Pressemitteilung, wollen die Krankenkasse und die operativ
tätigen Augenärzte und Kliniken in Baden-Württemberg durch einen
Facharztvertrag "gemeinsam eine wirtschaftliche und qualitativ
hochwertige, wirksame Versorgung für die Erkrankung der feuchten
Altersabhängigen Makula-Degeneration und weiterer Erkrankungsbilder
am Auge schaffen."

"In der Tat muss die Versorgung von AMD-Patienten hierzulande
dringend verbessert werden", erklärt Ute Palm, stellvertretende
Vorsitzende von PRO RETINA Deutschland e.V., einer
Selbsthilfeorganisation für Menschen mit degenerativen
Netzhauterkrankungen. "Doch dieser Vertrag der AOK Baden
Württemberg", so Palm weiter, "ist für Patientinnen und Patienten
eine Mogelpackung."

Die AOK erschwert diesen nämlich nicht nur, die Vorteile und
rechtlichen Rahmenbedingungen des Vertrages zu entziffern. Sie
verschweigt ihnen vor allem einen ganz wesentlichen Passus: Hinter
dem Monstersatz "Rationaler Pharmakotherapiezuschlag je IVOM des
Abrechnungsmonats bei Erreichen des jeweiligen Schwellenwerts der
Arzneimittelausgaben" verbirgt sich ein Bonus für Ärzte, der diesen
ein bestimmtes Verordnungsverhalten versüßt. Massive finanzielle
Anreize sollen die Ärzte bei mehreren Augenerkrankungen veranlassen,
kostengünstige Substanzen einzusetzen, die für die jeweilige
Indikation allerdings nicht zugelassen sind, obwohl zugelassene
Medikamente verfügbar sind.
http://www.pro-retina.de/dateien/ivom-vertrag-aok-bawue-komplett.pdf

Solche Konstruktionen können die Arzt-Patienten-Beziehung massiv
beeinträchtigen. Darin ist sich PRO RETINA Deutschland e.V. nicht nur
mit anderen Patientenorganisationen, etwa dem Deutschen Blinden- und
Sehbehindertenverband oder dem Deutschen Diabetiker Bund, sondern
auch mit ärztlichen Standesverbänden einig. Der Patient kann sich
nicht mehr sicher sein, ob der Arzt seine Therapie-Empfehlung aus
medizinischen oder ökonomischen Gründen ausspricht. Schließlich droht
ihm die Kündigung des Vertrages, wenn seine durchschnittlichen
Arzneimittelkosten pro Injektionsbehandlung um 25 Prozent über dem
Durchschnitt der Vertragsärzte liegen. Zwar werde der Patient in die
Therapie-entscheidung eingebunden, doch lehre die Erfahrung, weiß
Palm, dass die meisten Patienten diese lieber dem Arzt ihres
Vertrauens überlassen. Spritzt der Arzt das nicht zugelassene, aber
billigere Medikament, wird er belohnt: bei 1.200 Spritzen pro Jahr,
was große Praxen und Kliniken erreichen, winken dann 84.000 Euro
zusätzlich. http://ots.de/httJu

"Offenkundig geht auch die AOK selbst davon aus, dass ohne
finanziellen Anreiz und aus rein medizinischen Erwägungen die Ärzte
wahrscheinlich anders entscheiden würden - sonst wäre der Bonus
unnötig", kritisiert Palm.

Im Musterblatt des ärztlichen Aufklärungsbogens für die Behandlung
der feuchten AMD sind zwei Medikamente aufgeführt, die in das
erkrankte Auge gespritzt werden können. Die Wirkstoffe sind nicht
identisch, können aber die Sehfähigkeit vergleichbar erhalten oder
sogar verbessern. Allerdings ist nur der Wirkstoff Ranibizumab
(Handelsname: Lucentis) nach entsprechenden klinischen Prüfungen von
den Gesundheitsbehörden zugelassen. Nicht für die Augenheilkunde,
sondern ausschließlich als Krebsmedikament zugelassen ist hingegen
Bevacizumab (Avastin). Über diesen steht im Merkblatt, dass "weniger
Studien zur Wirksamkeit und Sicherheit vorliegen" und "sich
rechtliche Konsequenzen aus der Off-label-Behandlung, also der
Therapie außerhalb der zugelassenen Indikation ergeben". Dazu gehört
etwa die fehlende Produkthaftung des Herstellers. Verursacht der
Wirkstoff Komplikationen und Nebenwirkungen, haftet nicht die
Pharmafirma, sondern der behandelnde Arzt. Außerdem heißt es: "Es ist
nicht ausgeschlossen, dass bestimmte Nebenwirkungen unter Avastin
häufiger auftreten. Außerdem muss mit einer etwas höheren
Injektionsfrequenz gerechnet werden."
http://www.pro-retina.de/dateien/aufklaerungsvorlage.pdf

"Wir fragen uns ernsthaft, warum sich Patientinnen und Patienten
freiwillig einem solchen Risiko aussetzen sollten", sagt Ute Palm.
"Wir hoffen, dass die Parteien, welche die Landesregierung in Baden
Württemberg tragen und sich auf Bundesebene stets lautstark für die
Rechte von Patientinnen und Patienten einsetzen, diese Rechte auch
durchsetzen, wenn sie die Möglichkeit dazu haben."

Über PRO RETINA Deutschland e.V.:

Die PRO RETINA Deutschland e.V. - Selbsthilfevereinigung von
Menschen mit Netzhautdegenerationen - wurde 1977 von Betroffenen und
deren Angehörigen als gemeinnütziger Verein gegründet, um sich selbst
zu helfen. Es ist eine bundesweit tätige Organisation mit mehr als 60
Regionalgruppen und mehr als 6.000 Mitgliedern. Sie bietet
Informationen und Beratung und versteht sich als Interessenvertretung
der Patientinnen und Patienten in der Öffentlichkeit. Um einen
Beitrag zur Entwicklung wirksamer Therapien zu leisten, engagiert
sich PRO RETINA Deutschland e.V. auch in der Forschungsförderung.
http://www.pro-retina.de

Über die feuchte Altersabhängige Makula-Degeneration: In
Deutschland erkranken pro Jahr schätzungsweise 50.000 zumeist ältere
Patienten an der feuchten Altersabhängigen Makula-Degeneration (AMD).
Die Erkrankung ist die häufigste Ursache für Altersblindheit in
westlichen Industrienationen. Den Betroffenen droht binnen kurzer
Zeit der Verlust der Sehkraft, wenn nicht umgehend eine Therapie
eingeleitet wird.



Pressekontakt:
Barbara Ritzert
ProScience Communications - Die Agentur für
Wissenschaftskommunikation GmbH
Andechser Weg 17 · 82343 Pöcking
Fon: +49 8157 9397-0 · e-mail: ritzert@proscience-com.de


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

414494

weitere Artikel:
  • Straubinger: Jobwunder Deutschland Berlin (ots) - Heute hat die Bundesagentur für Arbeit die Arbeitsmarktdaten für August 2012 bekannt gegeben. Dazu erklärt der arbeitsmarktpolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag, Max Straubinger: Jobwunder Deutschland: Weniger Arbeitslose, mehr sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, fast 500.000 offene Stellen. Die Staatsschuldenkrise im Euroraum wirft noch keinen spürbaren Schatten auf den deutschen Arbeitsmarkt. Deutschland bleibt die Wachstumslokomotive Europas. Besonders gut geht es den Menschen mehr...

  • "Risikobereitschaft junger Unternehmer nicht durch neue Steuerbelastungen zerstören", erklärt Kurt J. Lauk, Präsident des Wirtschaftsrates der CDU Berlin (ots) - Zur Diskussion um die Einschränkung gründerfreundlicher Rahmenbedingungen für Start-up-Unternehmen erklärt der Präsident des Wirtschaftsrates, Kurt J. Lauk: "Risikobereitschaft junger Unternehmer nicht durch neue Steuerbelastungen zerstören" "Deutschlands Wirtschaft ist so stark, weil wir einen starken Mittelstand haben", sagt Kurt J. Lauk, Präsident des Wirtschaftsrates der CDU e.V. "Damit das so bleibt, brauchen wir gründerfreundliche Rahmenbedingungen. "Um so schlimmer ist es, dass bestehende Wettbewerbsvorteile mehr...

  • Statt Steuergeschenke für die Industrie: endlich Anreize zur Gebäudesanierung für Wohnungseigentümer setzen Berlin (ots) - Pressemitteilung Die Deutsche Umwelthilfe e.V. (DUH) hat Bund und Ländern vorgeworfen, alle Bemühungen um mehr Energieeffizienz in Wohngebäuden durch eine Mischung aus Desinteresse, Inkompetenz und Kompromissverweigerung weiter vor die Wand zu fahren. Dies habe auch der so genannte Energiegipfel im Kanzleramt in dieser Woche ein weiteres Mal eindrucksvoll bestätigt. Nach Informationen der Umwelt- und Verbraucherschutzorganisation ist es in der Sommerpause erneut nicht gelungen, zwischen Bund und Ländern eine mehr...

  • WAZ: Die Linkspartei will mit SPD und Grünen regieren Essen (ots) - Die Linkspartei will mit SPD und Grünen regieren. Eine entsprechende Initiative der Parteichefs Katja Kipping und Bernd Riexinger wird von Partei- und Fraktionsvize Sahra Wagenknecht unterstützt. "Die Leute sollen wissen, woran sie bei den Linken sind", sagte sie den Titeln der WAZ-Mediengruppe (Freitagausgaben). Der Kurs von Kipping und Riexinger, die in einem Diskussionspapier für eine Koalition mit SPD und Grünen plädieren, "entspricht genau unserem Parteiprogramm". Schon 2009 habe ihre Partei gesagt, unter welchen mehr...

  • Mitteldeutsche Zeitung: SPD wehrt sich gegen Annäherungsversuche der Linkspartei Halle (ots) - Thüringens Wirtschaftsminister Matthias Machnig (SPD) hat das jüngste Werben der Linken-Vorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger um die SPD zurück gewiesen. "Die Linke hat sich selbst ins Abseits manövriert und versucht nun händeringend, da wieder herauszukommen", sagte er der in Halle erscheinenden "Mitteldeutschen Zeitung" (Freitag-Ausgabe). "Der Parteitag der Linken hat eines deutlich gemacht: Die Partei ist auf Bundesebene weder politik- noch handlungsfähig und damit auch nicht regierungsfähig. Für die Bundestagswahl mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht