(Registrieren)

Mittelbayerische Zeitung: Der große Unterschied

Geschrieben am 20-08-2012

Regensburg (ots) - Von Ulrich Krökel

Das Todesurteil gegen die chinesische Politikergattin Gu Kailai
fiel nach einem gerade einmal sieben Stunden währenden Prozess. Mehr
Zeit war nicht nötig, denn hinter den Gerichtskulissen hatte die
kommunistische Führung ihr Verdikt längst gefällt. Immerhin acht
Verhandlungstage hatte sich das Gericht in Moskau Zeit gelassen,
bevor es am vergangenen Freitag die Punkband Pussy Riot schuldig
sprach. Zeugen der Verteidigung fanden aber auch dort kaum Gehör.
Ähnlich skandalös gestalten sich die Verfahren gegen Julia
Timoschenko in der Ukraine. Dort lassen die Behörden die erkrankte
Oppositionsführerin hinter Gittern rund um die Uhr per Kamera
überwachen. Die Würde des Menschen zählt in den Gerichtssälen und
Gefängnissen von Hefei, Charkiw und Moskau wenig. Von
Rechtsstaatlichkeit im westlichen Sinne sind Russland und die Ukraine
ähnlich weit entfernt wie China. Das haben die Verfahren gegen Gu
Kailai, Pussy Riot und Julia Timoschenko deutlich gezeigt. In allen
Fällen waren die Schuldsprüche politisch motiviert. Es ist ein
offenes Geheimnis, dass die Pekinger KP-Führung wie auch Wladimir
Putin und Viktor Janukowitsch die Justiz aus den Schaltzentralen der
Macht heraus lenken. Die beiden osteuropäischen Staatschefs machen
daraus im Gegensatz zu den dezenteren Chinesen nicht einmal einen
Hehl. Sie taten noch während der laufenden Verfahren ihre
Vorstellungen von einem "korrekten" Urteil kund. Janukowitsch
verstieg sich sogar zu der Aussage, es gebe Beweise dafür, dass
Timoschenko über die bisherigen Anschuldigungen hinaus in einen Mord
verwickelt sei. Dass er mit dieser Vorverurteilung gegen alle
Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit verstieß, war ihm nicht einmal
bewusst. Dem norwegischen Ministerpräsidenten Jens Stoltenberg kämen
derartige Äußerungen vermutlich nicht in den Sinn. "Anders Breivik
steht ein fairer Prozess zu", sagte der Regierungschef nach den
Horrortaten von Oslo am 22. Juli 2011. Breivik hatte aus angeblich
politischen Motiven 77 Menschen getötet, vor allem Jugendliche. Ein
Jahr später resümierte Stoltenberg: "Die Nation hat in
unerschütterlicher Verteidigung von Offenheit und Demokratie
zusammengestanden." Tatsächlich hat sich die norwegische Gesellschaft
über Monate hinweg mit dem Prozess gegen den mutmaßlichen
Massenmörder gequält. Das Verfahren war vom ersten Tag an transparent
und fair. Die Richterin ließ ein zweites psychologisches Gutachten
erstellen, weil die Frage der Zurechnungsfähigkeit für die
Urteilsfindung von entscheidender Bedeutung sei. Niemand in Norwegen
wollte einen kurzen Prozess. Am Freitag wird das Urteil gesprochen -
als Akt einer unabhängigen Justiz. Der Ausgang des Verfahrens ist
anders als in China, Russland und der Ukraine offen. Wie tief die
Gräben zwischen West und Ost mit Blick auf das
Rechtsstaatsverständnis sind, zeigt indes vor allem die Reaktion der
Bürger. In China, Russland und der Ukraine hält ein großer Teil der
Bevölkerung die Polit-Gattin, die Pussy-Punks und Timoschenko für
schuldig. Das allein reicht ihnen, die Urteile für richtig zu halten.
Ob es ein faires Verfahren gab, ist vielen im Volk egal. Anders in
Norwegen. An Breiviks Schuld zweifelt kaum jemand. Dennoch hält eine
überwältigende Mehrheit der Norweger ein rechtsstaatliches Verfahren
für die entscheidende Voraussetzung von Urteil und Strafe. Oslo und
Moskau/Charkiw/Hefei trennen in diesen Prozesstagen Welten. Eine
Erklärung kann nur die Geschichte liefern. Man bedenke, dass sich das
westliche Verständnis von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie über
Jahrhunderte hinweg ausgebildet hat. Unter der Herrschaft von Zaren
und roten Diktatoren hatten die Menschen im Osten diese Chance nicht.
Derart langfristige Prägungen lassen sich nicht von heute auf morgen
verändern. Und dennoch: Wenn wir unsere eigenen Werte ernst nehmen,
sollten wir immer wieder zeigen, dass Oslo überall ist.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

412588

weitere Artikel:
  • Allg. Zeitung Mainz: Ramsauers Trip / Kommentar zu Kfz-Kennzeichen Mainz (ots) - Nicht, dass der deutsche Autofahrer derzeit keine ernsthaften Probleme hätte. Etwa die - je nach Lesart - idiotisch beziehungsweise kriminell anmutende Spritpreisentwicklung. Nicht, dass das Bundesverkehrsministerium keine ernsthaften Sorgen hätte. Doch Ressortchef Peter Ramsauer (CSU) möchte offenbar als Autofahrer-Versteher in die Annalen eingehen. Des Ministers Augenmerk gilt nicht nur der kalten Ökonomie, sondern auch der Seele. Das wärmt. Mit alten und auch neuen Kfz-Kennzeichen sollen Heimatstolz und regionale mehr...

  • Südwest Presse: Kommentar zur Penderpauschale Ulm (ots) - Über die explodierenden Benzinpreise freut sich - neben den Mineralölkonzernen - nur einer: der Finanzminister. Denn er profitiert davon durch steigende Mehrwertsteuereinnahmen. Die Stammtische sind sich da sicher - genau so wie bei der Abhilfe: Die Mehreinnahmen müssen locker reichen, um die Pendlerpauschale zu erhöhen. Leider ist das eine Milchmädchenrechnung. Denn die Autofahrer können ihr Geld nur einmal ausgeben. Werden Benzin und Diesel teurer und sie sparen nicht durch weniger Fahrten und einen spritsparenden Fahrstil, mehr...

  • Westfalenpost: Pflicht als Service verstehen Von Wilfried Goebels Hagen (ots) - Der aufgeklärte Verbraucher will wissen, welche Zusatzstoffe in Lebensmitteln stecken, ob die Ware für Allergiker geeignet ist oder gentechnisch hergestellt wurde. Für Transparenz sorgt die Kennzeichnungspflicht. Bei der Auszeichnung der Preise aber lassen viele Händler die nötige Detailtreue vermissen. Hier helfen nur Kontrollen und bei Verstößen üppige Bußgelder.
    Dass Grundpreise kaum lesbar aufgedruckt werden, ärgert beim Preisvergleich. Wer wenig Zeit hat, will beim Einkauf schnell erkennen, mehr...

  • Westfalenpost: Die Ausgaben sind das Problem Hagen (ots) - Der Juli war hervorragend: 8,6 Prozent mehr Steuereinnahmen für Bund und Länder. Und die sechs Monate davor liefen kaum schlechter: 5,5 Prozent Plus bislang. Am Jahresende ist mit einem absoluten Rekordergebnis zu rechnen, das deutlich über der Steuerschätzung von 548,2 Milliarden Euro für 2012 liegen dürfte. Das ist nach all den Krisenbotschaften aus Südeuropa doch einmal eine richtig gute Nachricht aus Deutschland. Im Prinzip. Denn die Staatsschulden werden auch in diesem Steuerboomjahr weiter steigen.

    Und weil mehr...

  • NRZ: Die schöne neue Arbeitswelt - ein Kommentar von PETER HAHNE Essen (ots) - Nun bestätigen es die amtlichen Statistiken: Berufstätige arbeiten immer mehr und immer öfter auch nachts und am Wochenende. Arbeitnehmer müssen sich häufiger mit befristeten Stellen abfinden und also mit großer Unsicherheit leben. Man darf die Erkenntnisse der Krankenkassen hinzufügen, wonach beruflicher Stress, permanente Erreichbarkeit und damit die so genannte Flexibilisierung der Arbeitswelt die Beschäftigten zunehmend an den Rand ihrer psychischen Belastungsgrenzen führt. Und wozu das Ganze? Das ist die entscheidende mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht