(Registrieren)

Presseerklärung von Bundesärztekammer und Eurotransplant zum sogenannten beschleunigten Vermittlungsverfahren (BILD)

Geschrieben am 07-08-2012

Berlin (ots) -

(Berlin 07.08.2012) Wichtiges Ziel des TPG ist es, das
Vermittlungsverfahren so transparent zu gestalten, dass ersichtlich
ist, welche Patientin bzw. welcher Patient nach welchen Kriterien ein
Organ erhält. Anders als in vielen anderen europäischen Ländern, in
denen die Organallokation zentrumsgerichtet erfolgt, werden
postmortal gespendete Organe in Deutschland primär patientengerichtet
alloziert. Basierend auf den Regelungen des Transplantationsgesetzes
entwickelt die Ständige Kommission Organtransplantation der
Bundesärztekammer mit ihren Experten dazu Allokationsregeln für die
verschiedenen Organe (Herz, Lunge, Leber, Pankreas und Dünndarm).
Diese Richtlinien werden kontinuierlich überprüft und angepasst.
Hinsichtlich des Vermittlungsverfahrens ist zwischen einem
Standardverfahren, einem modifizierten Verfahren und einem
beschleunigten Verfahren zu unterscheiden.

Unter dem Standardverfahren zur Allokation von Spenderorganen
versteht man die Vermittlung in Abhängigkeit nach medizinischen
Kriterien, die von der Dringlichkeit und der Erfolgsaussicht der
Organtransplantation bestimmt werden. Diese beiden Kriterien sind
gesetzlich vorgegeben. Organbezogen werden die Kriterien durch
differenzierte Richtlinien der Bundärztekammer konkretisiert. Im
Rahmen des Standardverfahrens kann in speziellen Situationen eine
Organallokation nach dem vorbeschriebenen Standardverfahren nicht
möglich sein. Dies betrifft insbesondere postmortal gespendete
Nieren, Pankreata, Lebern, Herzen und Lungen mit
Funktionseinschränkungen oder Organe von Spendern mit bestimmten
Vorerkrankungen. Hierbei handelt es sich nach dem Wortlaut der
Richtlinien zur Organtransplantation der Bundesärztekammer um "schwer
vermittelbare Organe". Eine exakte Definition von Kriterien, die
diese unter Umständen gut funktionsfähigen Organe beschreiben, ist
auf Grund der Ursachenvielfalt nicht möglich. Einige schwerwiegende
vorausgehende Grunderkrankungen der Spender (z.B. Tumorleiden in der
Anamnese) oder sich aus der Grunderkrankung ergebende Komplikationen
werden in den Richtlinien zur Organtransplantation der
Bundesärztekammer ausdrücklich genannt.

In solchen Situationen werden Organe von Spendern, die eine der
spezifizierten Kriterien erfüllen, nach dem sogenannten modifizierten
Vermittlungsverfahren angeboten. Auch dieses Verfahren ist
patientengerichtet und bezieht nur solche Patienten ein, die zuvor
durch das Transplantationszentrum im Rahmen der allgemeinen
Aufklärung über diese Vorgehensweise informiert wurden und ihre
Zustimmung erklärt haben.

Gelingt eine Organallokation nach einem der beiden
patientengerichteten Vermittlungsverfahren (Standard- oder
modifiziertes Vermittlungsverfahren) nicht oder droht aus anderen im
folgenden ausgeführten Gründen der Verlust eines Spenderorgans, kann
Eurotransplant zum sogenannten beschleunigten Vermittlungsverfahren
wechseln. Da es um die Vermeidung eines Verlustes des Spenderorganes
geht, wird dieses Vermittlungsverfahren auch "Rettungsallokation"
oder englisch "rescue allocation" genannt: Nach den Richtlinien zur
Organtransplantation der Bundesärztekamme ist Eurotransplant zu
diesem Verfahren berechtigt, "wenn:

- eine Kreislaufinstabilität des Spenders eintritt oder
- aus logistischen oder organisatorischen Gründen ein
Organverlust droht oder
- aus spender- oder aus organbedingten Gründen drei Zentren
das Angebot eines

Herzens, von Lungen, eines Pankreas oder einer Leber oder fünf
Zentren das Angebot einer Niere abgelehnt haben. Im beschleunigten
Vermittlungsverfahren gilt für jedes Organangebot eine
Erklärungsfrist von maximal 30 Minuten. Wenn sie überschritten wird,
gilt das Angebot aus organisatorischen Gründen als abgelehnt. Um die
Ischämiezeit möglichst kurz zu halten, werden Organe im
beschleunigten Vermittlungsverfahren primär innerhalb einer Region
angeboten. Die Vermittlungsstelle stellt dabei dem Zentrum oder den
Zentren eine Liste von potentiellen Empfängern zur Verfügung, nach
der das Zentrum oder die Zentren den gegenwärtig am besten geeigneten
Empfänger in der Reihenfolge der Auflistung auswählen. Wenn Patienten
aus mehr als einem Zentrum in Betracht kommen, wird das Organ dem
Patienten zugeteilt, für den die Akzeptanzerklärung des zuständigen
Zentrums als erste bei der Vermittlungsstelle eingegangen ist. Die
Zentren müssen die Gründe für ihre Auswahlentscheidung gegenüber der
Vermittlungsstelle dokumentieren."

Es kann dabei vorkommen, dass ein Spenderorgan, das zunächst
patientengerichtet einem Patienten zugewiesen wurde, zu einem
späteren Zeitpunkt für diesen Patienten abgelehnt wird und dann durch
Eurotransplant erneut der Allokation zugeführt wird. Dabei ist zu
bedenken, dass die Transplantationszentren das Spenderorgan zunächst
allein basierend auf den vor der Entnahme erhobenen Befunden
beurteilen und ggf. akzeptieren. Mitunter zeigen sich schon bei der
Entnahme unerwartete neue Befunde, die dann dem
Transplantationszentrum zugeleitet werden. Dies kann zu einer
Ablehnung des Spenderorgans für den vorgesehenen Empfänger und einer
Wiederaufnahme der Allokation führen (sofern das Organ noch als für
eine Transplantation geeignet erscheint). Nach Ankunft des
Spenderorgans im Transplantationszentrum wird es durch den
verantwortlichen Transplanteur des Zentrums erneut beurteilt.
Mitunter weichen die Beurteilungen des Spenderorgans zwischen
Explanteur und Transplanteur dabei voneinander ab. Wenn das
Spenderorgan aufgrund der Beurteilung durch den transplantierenden
Arzt für den vorgesehenen Empfänger nicht geeignet erscheint, leitet
Eurotransplant nach entsprechender Rückmeldung die Allokation erneut
ein. Sofern die Ischämiezeit dies erlaubt, erfolgt die Allokation
erneut patientengerichtet, wenn dies nicht der Fall ist, erfolgt die
Allokation im beschleunigten Vermittlungsverfahren, um einen
Organverlust zu vermeiden. Im letztgenannten Fall erfolgt das Angebot
grundsätzlich primär in benachbarten Zentren der Region. Tatsächlich
ist in Deutschland der Anteil der Spenderlebern, die von
Eurotransplant nicht über die Standardallokation sondern nur über das
beschleunigte Vermittlungsverfahren vermittelt werden konnten, von
26,8% im Jahr 2007 auf 38,6% im Jahr 2011 (und in den ersten Monaten
2012 auf 40,5%) angestiegen. Die Gründe für diesen Anstieg des
Anteils des beschleunigten Vermittlungsverfahrens an der
Leberallokation sind vielfältig. Das mediane Spenderalter von
Leberspendern, deren Leber transplantiert wurde, ist zwischen 1990
und 2010 von 25 auf 53 Jahre angestiegen. Auch ist der Anteil der
Spender, der mindestens eines der leberspezifischen erweiterten
Spenderkriterien (nach den Richtlinien der Bundesärztekammer sind
dies: Alter des Spenders > 65 Jahre, Intensivtherapie einschließlich
Beatmung des Spenders > 7 Tage, Adipositas des Spenders mit BMI > 30,
Fettleber (histologisch gesichert) > 40%, Serum-Natrium > 165 mmol/l,
SGOT oder SGPT > 3 x normal, S-Bilirubin > 3 mg/dl) aufweist, in
Deutschland zwischen 1997 und 2010 von ca. 30% auf mehr als 70%
angestiegen.

Richtlinienänderungen der letzten Jahre waren deshalb darauf
ausgerichtet, auch das beschleunigte Verfahren beständig zu
optimieren. Es trägt dazu bei, "maßgeschneiderte" Organangebote für
die Patienten der Warteliste soweit wie möglich zu realisieren. Die
Entwicklungen im Einzelnen zeigt folgende Grafik (Quelle: Stiftung
Eurotransplant); sie stellt organbezogen das Verhältnis zwischen dem
Standardverfahren und dem beschleunigten Vermittlungsverfahren für
die Jahre 2007 bis Mai 2012 dar:

Im Interesse der Reduktion der Anzahl der im beschleunigten
Verfahren vermittelten Organe wird die Einrichtung einer Datenbank
diskutiert, die Risikoinformationen zu Organen mit erweiterten
Spenderkriterien enthält. Sie sollte allen Transplantationszentren
offen stehen und eine Entscheidungshilfe bei der Akzeptanz von
Spenderorganen sowie der Auswahl einer/s geeigneten
Empfängerin/Empfängers geben. Die Arbeit der Ständigen Kommission
Organtransplantation richtet sich darauf, eine beständige Diskussion
über die Ergebnisse und die Entwicklung der Organallokation vor dem
Hintergrund der Verteilungsgerechtigkeit zu führen und sie in den
Richtlinien niederzulegen. Eckpunkte dieser Entwicklung sind
beispielsweise die Einführung der beschleunigten
Vermittlungsverfahren im Jahr 2004, Einführung des sogenannten
MELD-Systems zur Verteilung von Spenderlebern im Jahr 2006,
Erweiterung und Modifikation von Standardausnahmen nach dem
MELD-System (sogenannte standard exceptions) im Jahr 2008.

Eingebunden in den Meinungsbildungs und Entscheidungsprozess zur
Richtlinienfeststellung sind sämtliche Institutionen, die in der
Organspende und -vermittlung Verantwortung tragen. Dazu gehören
insbesondere Sachverständige der Transplantationsmedizin, der
Bundesärztekammer, der Deutschen Krankenhausgesellschaft, des
Spitzenverbands der Gesetzlichen Krankenversicherung, der
Koordinierungsstelle (Deutsche Stiftung Organtransplantation), der
Vermittlungsstelle (Stiftung Eurotransplant), Vertreter der Länder
und der Bundesregierung, Juristen und Ethiker, Vertreter der
Patienten und Angehörige von Organspendern. Sie alle handeln
gemeinsam im Rahmen der Ständigen Kommission Organtransplantation der
Bundesärztekammer.



Pressekontakt:
Alexander Dückers
Samir Rabbata

Pressestelle der deutschen Ärzteschaft
Herbert-Lewin-Platz 1
10623 Berlin

Tel. 030-400456700
Fax. 030-400456707
presse@baek.de
www.baek.de


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

410465

weitere Artikel:
  • Der Tagesspiegel: Ärztepräsident "erheblich irritiert" über zunehmende Vergabe von Spenderorganen im Schnellverfahren Berlin (ots) - Die Bundesärztekammer ist beunruhigt über die zunehmende Vergabe von Spenderorganen im Schnellverfahren. Man habe das beschleunigte Verfahren, bei dem schwer vermittelbare Organe direkt von den Kliniken an ausgesuchte Patienten verteilt werden, zwar bewusst erleichtert, um eine "möglichst gute Ausnutzung" zu erreichen , sagte Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery dem Berliner "Tagesspiegel" (Mittwochsausgabe). Dies bedeute aber nicht, "dass uns die Dynamik dieser erleichterten Organvermittlung nicht erheblich irritiert". mehr...

  • Erneut Selbstverbrennungen in Tibet / Zahl steigt auf 46 / ICT: "Chinesische Behörden müssen den Dialog mit den Tibetern suchen und Repressionen beenden" (BILD) Berlin (ots) - Erneut haben sich Tibeter aus Protest gegen die chinesische Politik in Tibet selbst verbrannt. Wie tibetische Quellen im Exil berichten hat sich heute die etwa 25-jährige Dolkar Kyi aus der Tibetisch Autonomen Präfektur Kanlho (chin.: Gannan) in der Provinz Gansu selbst angezündet und ist an den Folgen ihrer Verletzungen gestorben. Demnach habe sich die Tibeterin in der Nähe des Klosters Tsoe in der Stadt Tsoe (chin.: Hezuo) selbst angezündet, dabei die "Rückkehr des Dalai Lama nach Tibet" gefordert und gerufen, mehr...

  • Berliner Zeitung: Zum Organspendeskandal: Berlin (ots) - Kritikwürdig ist schon die gesetzliche Basis, auf der hierzulande Organe verpflanzt werden. Das Transplantationsgesetz schreibt nur vor, dass für die Organvermittlung die Kriterien Erfolgsaussicht und Dringlichkeit nach dem Stand der Wissenschaft abzuwägen sind. Mit der Erstellung von Richtlinien wurde die Bundesärztekammer beauftragt, die aber nur eine Arbeitsgemeinschaft ist und demokratisch durch nichts legitimiert. Die Frage aber, ob ein unmittelbar vom Tode bedrohter Mensch ein Organ bekommt oder einer, der mehr...

  • Frankfurter Rundschau: Kommentar zum Vorschlag, das Ehebatten-Splitting für homosexuelle Paare einzuführen Frankfurt (ots) - Gerecht wäre es, das Ehegattensplitting ganz abzuschaffen. Den Vorteil können vor allem Paare mit einem Spitzenverdiener genießen. Es trägt dazu bei, dass sich für einen Partner der Wiedereinstieg in den Beruf nicht lohnt, weil für ihn oder sie in der schlechteren Steuerklasse nichts übrig bleibt vom Verdienst. Es trägt dazu bei, dass für diese Partner Minijobs attraktiv sind trotz Taschengeldlohn und gravierender Nachteile bei der Sozialversicherung. Pressekontakt: Frankfurter Rundschau Kira Frenk Telefon: mehr...

  • RNZ: "Wunder Punkt" Rhein-Neckar-Zeitung Heidelberg zu Organspende/ Vergabe/ Schnellverfahren Heidelberg (ots) - Steht die Organspende erneut im Zwielicht? Immer mehr Kliniken entscheiden an offiziellen Wartelisten vorbei, wer ein neues Herz, eine Niere oder eine Bauchspeicheldrüse bekommen soll. Zum Skandal eignet sich diese Entwicklung noch nicht: Die Vergabe per Schnellverfahren ist legal und in ihrer Begründung auch sachgerecht: Organe von vorerkrankten Spendern, die bei längerem Transport kaputt gingen, werden regional vergeben - und können so Leben retten. Gleichwohl ist diese Praxis ein Einfallstor für Betrug, was mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht