(Registrieren)

DER STANDARD - Kommentar "Ein beispielhafter Prozess" von Alexandra Föderl-Schmid

Geschrieben am 20-04-2012

Norwegen zeigt im Breivik-Verfahren, wie ein Rechtsstaat mit
Terror umgeht - Ausgabe vom 21./22.4.2012

Wien (ots) - Der geständige Massenmörder Anders Behring Breivik
grinst hämisch, er weint aus Mitgleid über sich selbst und schildert,
er habe nichts gefühlt, als er auf der Insel Utöya 69 Menschen
erschossen hat. Er habe seine Opfer "entmenschlicht", um die Angriffe
verüben zu können. Es ist für unbeteiligte Beobachter kaum zu
ertragen, was der Angeklagte im Osloer Gericht von sich gibt; wie
schwer muss dies erst für Angehörige und Freunde der 77 Todesopfer
sein. Der Breivik-Prozess ist eine Zumutung - und beispielhaft
zugleich.
Es geht nicht nur um die juristische Aufarbeitung der Verbrechen von
Oslo und Utöya. Soll/darf einem Massenmörder in einem öffentlichen
Prozess eine Bühne geboten werden? Soll einer, der behauptet, "Terror
ist Theater", seine kruden Thesen weiterhin verbreiten dürfen? Für
Breivik ist das Gerichtsverfahren "Phase 3 der Operation", wie er in
seinem "Manifest" schrieb: Dabei gelte es, "die Bürgerkriegsbotschaft
zu vertiefen".
Medien sorgen für Verbreitung. 1400 Journalisten aus 224 Redaktionen
sind für den Prozess akkreditiert. Die Berichterstattung ist eine
Gratwanderung. Wo ist die Grenze zwischen Informationspflicht und
Voyeurismus, wann erledigen Journalisten die PR-Arbeit eines
Massenmörders?
Die Norweger haben eine souveräne Antwort gefunden: Der Prozess wird
öffentlich geführt, der Angeklagte darf sich ausführlich äußern, auch
Live-Berichte aus dem Gerichtssaal sind erlaubt. Norwegen zeigt sich
als liberaler Rechtsstaat und erfüllt das, was Ministerpräsident Jens
Stoltenberg gleich nach den Attentaten in beeindruckender Weise
gesagt hat: Die Reaktion müsse mehr Offenheit und Demokratie sein. In
Österreich gab es den Metternich-Reflex: Forderungen nach mehr
Überwachung, einer Verschärfung der Antiterrorgesetze bis hin zur
Einführung der Todesstrafe.
Der bisherige Prozessverlauf hat gezeigt, dass der Weg schmerzhaft,
aber richtig war: Staatsanwältin Inga Bejer Engh hat den Angeklagten
in die Enge getrieben, sein ideologisches Konstrukt, das er in seinem
"Manifest" zusammengezimmert hat, ist zusammengebrochen. Die
Anklägerin und die Richterin Wenche Elizabeth Arntzen haben in der
ersten Prozesswoche durch ihre gut vorbereitete, ruhige Art
verhindert, dass der geständige Attentäter das Gericht zur Bühne
seiner obskuren Weltanschauung machen konnte: indem sie, wenn
notwendig, eingeschritten sind und nachgefragt haben.
So trat am vierten Prozesstag Überraschendes ein: Breivik hob das
erste Mal nicht mehr die rechte Faust zur Begrüßung. Und er stand
auf, als Richter und Schöffen den Raum betraten. Das hatte er bis
dahin beharrlich verweigert - als Ausdruck seiner Geringschätzung des
Gerichts. Der Rechtsstaat zeigte Wirkung, wenn auch von Einsicht bei
diesem geständigen Massenmörder nichts zu merken ist.
Der Massenmörder Breivik wird nach denselben Regeln wie jeder
Kriminelle behandelt. Selbst der in Norwegen übliche Händedruck der
Prozessbeteiligten wird ihm nicht verwehrt. Norwegen agiert damit
anders als Deutschland, wo es Bemühungen gab, das Rederecht von
Angeklagten bei den Prozessen gegen Mitglieder der Rote Armee
Fraktion einzuschränken.
Breiviks Rechte zu beschneiden hätte dem Terroristen einen Triumph
beschert, die rechte Szene hätte einen Märtyrer gehabt. So hat
Norwegen gezeigt, wie ein liberaler Rechtsstaat mit Terror und
Massenmord umgeht.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

390815

weitere Artikel:
  • HAMBURGER ABENDBLATT: Inlandspresse, Hamburger Abendblatt zum Schengen-Abkommen Hamburg (ots) - Ein Kommentar von Matthias Iken Wenn nichts mehr geht, geht's gegen Europa. Nach diesem Motto kämpfen derzeit auf dem Kontinent Populisten um Stimmen. So war es vor einem Jahr, als Dänemarks Rechte im Wahlkampf plötzlich die Schlagbäume niederließ und damit das Schengener Abkommen aushebelte. Und so ist es nun, wenn der französische Innenminister Claude Guéant wieder Grenzkontrollen für Europa als Ultima Ratio, als letztes Mittel, fordert. Am Sonntag wählt Frankreich. Claude Guéant kämpft nicht allein, der deutsche mehr...

  • WAZ: Fahnder statt Grenzer - Kommentar von Dietmar Seher Essen (ots) - Es gibt nur wenige Momente, in denen Europäer ein ganz persönliches, intensives Gänsehaut-Gefühl für das Nachkriegswunder Europa befällt. Die Fahrt vorbei an einem überflüssigen, verlassenen, längst verschimmelten Grenzposten gehört dazu. Sie ist eine historische Zäsur nach einem Jahrhundert nationalistischer Hassausbrüche, nach Kriegen mit Millionen Toten und nach Mauer und Stacheldraht. Die Reisefreiheit im 21. Jahrhundert ist die, die sich Generationen erträumten. Sie ist ein Wert an sich. Die Politik setzt diesen mehr...

  • Rheinische Post: Volle Staatskasse macht spendabel Düsseldorf (ots) - Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble kann sich auf noch mehr konjunkturbedingte Steuermehreinnahmen im Wahljahr 2013 freuen. Die nächste Steuerschätzung wird wieder besser ausfallen als die letzte - und so kann Schäuble im kommenden Jahr fröhlich neue Ausgaben zusagen und entstehende Etatlöcher stopfen, ohne den Rotstift ansetzen und Ausgaben kürzen zu müssen. Die Koalition will 2013 etwa das unsinnige Betreuungsgeld für Kleinkinder einführen oder die teure Zuschussrente für arme Senioren. Für beide neuen Dauer-Projekte mehr...

  • Rheinische Post: Ampel für NRW? Düsseldorf (ots) - Realistisch betrachtet gibt es nur drei Möglichkeiten, wie nach dem 13. Mai die neue Landesregierung aussehen könnte. Denkbar wäre eine Neuauflage von Rot-Grün. Dazu müssten beide Parteien diesmal allerdings über die Mehrheit im Landtag verfügen, in den wohl auch die Piraten einziehen werden. Eine Fortsetzung der rot-grünen Minderheitsregierung wäre niemandem zuzumuten. Der große Unsicherheitsfaktor sind die kleineren Parteien. Schafft die FDP, was keineswegs ausgemacht ist, den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde, mehr...

  • Rheinische Post: Frankreichs Qual Düsseldorf (ots) - Wenn die Franzosen am Sonntag zur ersten Runde der Präsidentenwahl an die Urnen schreiten, können sie sich noch einmal austoben. Insgesamt zehn Kandidaten stehen zur Auswahl, darunter auch Bewerber, die den Mars besiedeln wollen oder den Bau einer Brücke zwischen Europa und Asien fordern. Solche Skurrilitäten mag man belächeln. Aber auch die Programme der seriöseren Anwärter auf das höchste Staatsamt gäben Anlass zur Heiterkeit, wäre die Lage der zweitgrößten Volkswirtschaft Europas nicht so ernst. Die linken Matadore mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht