(Registrieren)

BERLINER MORGENPOST: Kein Grundrecht auf eine globale Horror-Show - Leitartikel von Hajo Schumacher

Geschrieben am 17-04-2012

Berlin (ots) - Man mag es sich kaum vorstellen, wie der Irre in
seiner Zelle seit Monaten die eitlen Posen einstudiert hat, die
Sprüche, den Blick. "Jetzt beginnt die Propaganda", soll Anders
Breivik bei seiner Festnahme gesagt haben. Er hat Wort gehalten. So
kaltblütig, wie er den Massenmord plante, so gnadenlos zieht er nun
seine offenkundig auf Wirkung hin eingeübte Show ab. Er weiß: Die
Welt schaut zu. Die Medien machen mit. Die Menschen weiden sich. Er
ist der Star des Grauens. Die Tat war womöglich eine Art Bühnenbau,
nicht Ende, sondern Anfang eines teuflischen Plans, der gleichwohl
viel Einsicht in die widersprüchlichen Mechanismen moderner, offener
Gesellschaften zeigt. Das haben wir nun begriffen. Redakteure,
Eltern, Psychologen, Demokraten fragen sich seither: Wie umgehen mit
diesem Prozess, diesen Bildern, diesem triumphierenden Schwachkopf?
Wo sind die Grenzen von Recht und Anstand und Qual und Wahnsinn?
Natürlich hat die Öffentlichkeit ein Recht darauf, über das Massaker
informiert zu werden. Für Angehörige, so sagen Trauma-Forscher, könne
das Verfolgen des Prozesses sogar eine positive Wirkung entfalten.
Das Grauen wird noch einmal erlebt, der Täter zugleich aber bestraft
und somit ein formaler Schlussstrich gezogen, der zumindest die
Chance auf ein emotionales Verarbeiten ermöglicht. Dass Breivik sich
in zweideutigen Gesten übt, wird beim Bewältigen nicht helfen. Auf
der anderen Seite steht Breivik selbst, und er hat die Falle weithin
sichtbar aufgestellt. Selbst in einem Moment, da das normale
menschliche Empfinden Anflüge von Reue erwartet, Einsicht, Mitgefühl,
da brüllt der Mörder die Welt frech an: Spielt doch Euer Spiel; ich
aber spiele meines. Und in Wirklichkeit spielt ihr alle mit. Leider
hat er Recht. Keine Zeitung, kein Sender, der ihm nicht das gab, was
er wollte - Aufmerksamkeit. Bei allem Respekt vor den tapferen
Norwegern und ihrem besonnenen Regierungschef Stoltenberg, die sich
von ihren demokratischen und liberalen Traditionen auch durch einen
Breivik nicht abbringen lassen wollen, täten die Entscheider in
Norwegen gut daran zu überlegen, ob die breite Öffentlichkeit nicht
ausgeschlossen wird aus dem Gerichtssaal. Angehörige und Menschen mit
einem berechtigten persönlichen Interesse dürfen der Verhandlung
natürlich weiterhin beiwohnen. Bilder allerdings oder Einlassungen in
Echtzeit braucht die Welt nun wirklich nicht. Es gibt
Gerichtszeichner, es gibt Protokollführer, es gibt genügend Quellen,
aus denen die Öffentlichkeit sich bedienen kann. Dem Grundrecht auf
Informationsfreiheit ist mithin genüge getan. Live-Show ist nicht
nötig. Es wäre der Liberalität zuviel, Breivik weiterhin auf den Leim
zu gehen. Natürlich weiß eine selbstbewusste Gesellschaft, den Hohn
und die Verachtung einzuordnen. Aber um den therapeutischen Effekt
für uns alle geht es nicht länger. Wichtiger wäre es nun, dem Täter
das zu entziehen, was ihm am meisten bedeutet: Millionen Zuschauer in
aller Welt. Es gibt kein Grundrecht auf eine globale Horror-Show.
Deswegen sollte man sie einfach verhindern.



Pressekontakt:
BERLINER MORGENPOST
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

389997

weitere Artikel:
  • Schwäbische Zeitung: Fußball-TV bleibt rätselhaft - Leitartikel Leutkirch (ots) - Wahrscheinlich haben gestern die Champagnerkorken geknallt in der Frankfurter DFL-Zentrale, bei allen Fußball-Profiklubs und beim Bezahlsender sky sowie in den Büros der ARD: Der Bundesliga-Fußball wird wie bisher übertragen, die "Sportschau" muss nicht sterben und die Klubs erhalten wesentlich mehr Geld. Im Managerdeutsch heißt das "win-win-Situation". Auf Umgangsdeutsch "Königsweg". Das Dumme an Königswegen ist nur, dass sie so selten sind wie Einhörner. Meistens ist doch irgendwo noch ein Haken versteckt. mehr...

  • Schwäbische Zeitung: Enttäuschend - Kommentar Leutkirch (ots) - Sie hätte Anwältin einer neuen Generation werden können. Mit 32 Jahren hatte sie sich an die Spitze des Ministeriums hochgearbeitet, vorbei an zahlreichen Männern, vorbei auch an ihrem Gatten, der Staatssekretär ist. Als erstes Kabinettsmitglied überhaupt hat Kristina Schröder ein Kind bekommen. Allein, die Hoffnung wird enttäuscht. Nach gut zwei Jahren im Amt weiß niemand so wirklich, wofür Schröder eigentlich steht. Für eines sicherlich nicht: für eine moderne Familienpolitik. Statt dass die Ministerin für mehr...

  • Schwäbische Zeitung: Besser mit Verfassungsänderung - Kommentar Leutkirch (ots) - Kritiker sehen in einer stärkeren Bürgerbeteiligung die Gefahr, dass es noch schwieriger wird, rechtzeitig Entscheidungen zu treffen und umzusetzen. Argwöhnische Zeitgenossen fürchten, auch weitere Klagemöglichkeiten würden das Land eher blockieren denn voranbringen. Beides muss nicht sein, wenn die Politik zwei Dinge beachtet. Zum einen muss sie ganz einfach belastbare, überzeugende Lösungen entwickeln. Zum anderen muss sie mit Blick auf die von Grün-Rot angekündigte direkte Verfassungsbeschwerde darauf achten, mehr...

  • Rheinische Post: Die Lehren vom Impfen Düsseldorf (ots) - Der Drei-Komponenten-Kleber war diesmal zu schwach. Zwei der drei Bestandteile des derzeitigen Grippe-Impfstoffs will die Weltgesundheitsorganisation vor der nächsten Grippewelle austauschen. Man kann auch sagen: Der aktuelle Impfstoff hat eine Saison zu lange auf dem Spielplan gestanden. Ein Drama ist das nicht. Trotzdem gibt uns die Angelegenheit lehrreiche Weisheiten auf den Weg. Etwa diese: Eine Impfung ist keine Vollkasko-Versicherung und kann Infektionen nicht immer verhindern. Andersherum wird ebenfalls Statistik mehr...

  • NRZ: Klischees überdenken - Kommentar von Denise Ludwig Essen (ots) - Die Studie zum anonymen Bewerbungsverfahren ist keine Revolution. Ein Jahr lang wurden 8550 Bewerbungen anonymisiert. Das heißt, auf die Angabe persönlicher Merkmale, die auf Geschlecht, Alter oder Herkunft schließen lassen, wurde verzichtet. 246 Stellen wurden besetzt. Eine große Ausbeute ist das nicht gerade. Hinzu kommt: Gerade mal acht Arbeitgeber haben sich an dem Projekt beteiligt. Die Aussagekraft der Studie hält sich also in Grenzen. Doch eine Tendenz lässt sich heraus lesen: Anonyme Bewerbungen vergrößern mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht