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Landeszeitung Lüneburg: Unter dem Druck des Westens scharen sich die Iraner um die Flagge / Prof. Henner Fürtig: Militärschlag Israels hat zweifelhafte Erfolgsaussichten und brächte Teherans Regime Zu

Geschrieben am 15-03-2012

Lüneburg (ots) - 2011 stand der Nahe Osten im Zeichen des
arabischen Frühlings, 2012 dürfte der Streit um Irans Atomprogramm
dominieren. Während Israel immer lauter mit dem Säbel rasselt, tobt
im Iran ein Machtkampf. Prof. Henner Fürtig vom GIGA-Institut in
Hamburg warnt vor einem Waffengang: "Er bringt wenig und setzt
nebenbei eine ganze Region in Flammen."

Hat die Welt nur noch die Wahl zwischen einer Atommacht Iran und
einem Krieg mit Iran?

Prof. Dr. Henner Fürtig: Das bleibt eine offene Frage. Die Frage,
ob Iran sich atomar bewaffnet ist keine, die sich nur aus aktuellen
Entwicklungen des Jahres 2012 speist, sondern letztendlich so alt wie
die Islamische Republik Iran selbst ist. Die ersten Debatten über
eine mögliche iranische Atombombe gab es bereits 1979. Ich möchte
deshalb davor warnen, dieser Frage eine zu große tagespolitische
Brisanz zuzubilligen.

Könnte die Welt mit einem atomar bewaffneten Iran leben?

Prof. Fürtig: Am Ende werden die politischen Entscheidungsträger
abwägen müssen, ob sie unter Prüfung aller Vor- und Nachteile einen
Militärschlag gegen den Iran wagen, um einer möglichen Atombombe
zuvorzukommen. Aus meiner Sicht sprechen eher viele Argumente dafür,
dass auch ein atomar bewaffneter Iran eine politische Größe ist, mit
der man lernen kann umzugehen. Selbstverständlich wäre es
schmerzhaft, wenn die Weiterverbreitung von Atomwaffen nicht
unterbunden würde. Aber obwohl dies etwa auch im Falle Pakistans
ebenfalls nicht gelang, blieb dessen Regime eine berechenbare Größe.
Die Alternative ist ein Krieg. Und nach den Erfahrungen im Irak und
in Afghanistan kann ich mir nur schwer vorstellen, dass irgendjemand
im Westen eine militärische Option ernsthaft bevorzugt.

Im Falle Pakistans und Indiens wirkt das atomare Patt
stabilisierend. Würde eine Atommacht Iran nicht die Türkei,
Saudi-Arabien und Ägypten bewegen, nachzuziehen?

Prof. Fürtig: Die Gefahr besteht in der Tat. Einige Politiker
dieser Länder haben sich bereits entsprechend geäußert. Aber aus der
Sicht Irans sieht die strategische Lage gänzlich anders aus - und
zwar nicht nur aus der Sicht der Staatsführung, sondern auch großer
Teile der Bevölkerung. Selbst, wenn wir seit 2009, seit den
umstrittenen Präsidentschaftswahlen, von einer verschärften
innenpolitischen Krise sprechen müssen, gibt es eine einzige Frage,
in der in Iran gräbenübergreifend Einheit hergestellt werden kann:
Nämlich, dass Iran das souveräne Recht hat, Atomenergie zu nutzen. Im
offiziellen Diskurs wird natürlich nur die friedliche Nutzung der
Atomenergie genannt. Aber selbst bei der Frage der atomaren
Bewaffnung, verweisen viele Menschen darauf, dass das Land von
Atommächten umzingelt sei, und deshalb schon aus Gründen der
Gleichberechtigung nachziehen müsse.

Hat das Ende Gaddafis Teherans möglichen Willen zur Bombe
gestärkt? Der Libyer gab 2003 sein Atomwaffenprogramm auf und wurde
angreifbar.

Prof. Fürtig: Wir bewegen uns hinsichtlich iranischer
Aufrüstungsambitionen natürlich im Bereich der Spekulation. Die
letzte halboffizielle Einschätzung amerikanischer Geheimdienste kam
2007 noch zu dem Schluss, dass Teheran sein Atombombenprogramm 2002
eingestellt hätte. Wenn Iran tatsächlich im Geheimen an der Bombe
baut, dann aber weniger wegen Gaddafi, sondern wegen George W. Bush.
Nachdem dieser den Irak, Nordkorea und Iran auf einer sogenannten
"Achse des Bösen" verortet hatte, wurde der Nachbarstaat angegriffen,
Saddam Hussein gestürzt. Nordkorea blieb ungeschoren. Die Lehre
daraus könnte lauten, dass nur die Bombe Unangreifbarkeit verleiht.

In den vergangenen Jahrzehnten verpufften Sanktionen des Westens.
Kann das Öl-Embargo Erfolg haben, solange China, Russland und Indien
es unterlaufen?

Prof. Fürtig: Die Sanktionen haben durchaus einen erheblichen
Effekt auf die iranische Wirtschaft. Die ohnehin prekäre Lage nach
Jahrzehnte währender Isolation ist noch verschärft worden. Dennoch
ist fraglich, dass ein Öl-Embargo die Führung zum Einlenken bringen
könne. Vielmehr scharen sich die Bürger auch aufgrund sehr negativer
geschichtlicher Erfahrungen mit ausländischer Bevormundung um die
Flagge, wenn der Staat unter Druck gesetzt wird. Es ist dem Regime
relativ leicht möglich, die Verelendung vieler Bürger als Folge eines
westlichen Manövers zur Aushebelung des iranischen
Selbstbehauptungswillens darzustellen.

Kann ein Öl-Embargo über einen explodierenden Ölpreis auf den
Westen zurückschlagen?

Prof. Fürtig: Der Anteil iranischen Öls auf dem Weltmarkt ist
nicht so groß, dass global ernsthafte Erschütterungen zu befürchten
sind - zumal Saudi-Arabien angekündigt hat, für ausfallende
Lieferungen die eigene Förderung zu erhöhen. Es träfe die
Verbraucherländer sehr unterschiedlich: Deutschland kaum, China und
Indien stärker.

Sie schilderten, dass internationaler Druck geeignet ist, dass
sich die zersplitterte iranische Gesellschaft in einem Burgfrieden
eint. Gibt es denn einen Hebelpunkt, um die Zersplitterung der
Gesellschaft auszunutzen?

Prof. Fürtig: Das hat man in der Vergangenheit vielfach vergeblich
versucht. Die islamische Revolution ist eine der großen
Massenrevolutionen der Neuzeit, vergleichbar mit der Französischen
und der Russischen Revolution. Umwälzungen dieser Größenordnung
entwickeln vergleichbare Verhaltensmuster: Werden derartige
Revolutionen etwa von außen angegriffen, entwickeln sie trotz aller
internen Machtkämpfe ein erstaunliches Maß an Widerstandskraft. Wurde
in der Vergangenheit versucht, auf Oppositionsbewegungen Einfluss zu
nehmen - unmittelbar nach der Revolution etwa auf die Royalis"ten,
heute auf die Grüne Bewegung - spielte das dem Regime in die Hände,
weil die Opposition als Handlanger ehemaliger Hegemonialmächte
diffamiert werden konnte.

Muss Israel einen nuklearen Holocaust befürchten oder sind das nur
leere Teheraner Drohungen?

Prof. Fürtig: Ich kann nachvollziehen, dass Israels Regierung und
Bevölkerung angesichts ständiger Drohungen aus Teheran in höchster
Besorgnis leben. Es ist aus israelischer Sicht ein Alptraum, dass
Iran über Atomwaffen verfügt. Die Frage ist halt nur - und darauf
läuft es am Ende bei der Entscheidungsfindung hinaus -, ob ein
Militärschlag gegen Irans Atomanlagen das Risiko für Israel
verringert oder vergrößert? Und da sagt die Mehrheit der
Militärexperten, dass es extrem unwahrscheinlich wäre, mit einem
Militärschlag Irans atomare Kapazitäten vollständig zu zerstören. Man
könnte einen aufschiebenden Effekt erzielen, aber das Wissen bliebe
erhalten und in paar Jahren stünde man vor der selben Situation. En
passant hätte man aber eine ganze Region in Brand gesetzt.

Seit Monaten führt Israel einen Schattenkrieg gegen den Iran -
Wissenschaftler werden liquidiert, Computerviren legen Zentrifugen
lahm. Nimmt Israel auch die letzte Eskalationsstufe?

Prof. Fürtig: Die Gefahr ist real. Anders wäre nicht zu erklären,
dass der gerade aus dem Amt geschiedene Mossad-Chef sich öffentlich
vehement gegen einen Militärschlag ausspricht. Wer, wenn nicht der
Ex-Geheimdienstchef Israels hat Einblick in den Stand des iranischen
Atomprogramms? Je direkter die Spezialisten in den Konflikt um Irans
Ambitionen eingebunden sind, desto deutlicher sprechen sie sich gegen
einen Militärschlag aus.

Doch schon einmal setzte sich Israel über Bedenken hinweg - auch
solche der USA - beim Luftschlag gegen Syrien. Wagt Israel den
Alleingang?

Prof. Fürtig: Natürlich wird Israel als souveräner Staat seine
Entscheidung letztlich alleine fällen - wie Netanjahu das ja auch
jüngst in Washington betont hat. Ich kann mir aber nicht vorstellen,
dass es bei einer derart wichtigen Frage nicht zu entscheidenden
Konsultationen mit Washington kommt. Letztlich würde der nächste
Nahost-Krieg vom Zaun gebrochen; in einer Region, die durch den
arabischen Frühling extrem instabil geworden ist. Das ist etwas
anderes als einen Reaktor in Syrien anzugreifen.

Das Interview führte Joachim Zießler



Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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