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Soziale Aufstiegschancen in Deutschland besonders schlecht - Parteien streiten über Lösungswege

Geschrieben am 24-01-2012

Berlin (ots) -

In kaum einem anderen industrialisierten Land sind die Chancen auf
sozialen Aufstieg so ungleich verteilt wie in Deutschland. Neue
wissenschaftliche Expertise beschreibt die größten Aufstiegshürden im
Lebensverlauf. Auf Einladung der Vodafone Stiftung Deutschland und
der stiftung neue verantwortung diskutierten erstmals führende
Vertreter aller Parteien über Auswege aus der Misere. Hermann Gröhe
(CDU) fordert: "Bildungssystem, das Leistung fordert und fördert".
Andrea Nahles (SPD): "Gebührenfreie Bildung von der Kita bis zur
Uni". Cem Özdemir (Die Grünen): Betreuungsgeld und Bildungspaket gibt
"genau die falschen Antworten".

Deutschland ist das Land mit der geringsten sozialen
Durchlässigkeit, verglichen mit den europäischen Nachbarn und
Nordamerika. Wer in eine bestimmte soziale "Klasse" hineingeboren
wird, hat wenig Chancen, im weiteren Lebensverlauf in die nächste
höhere Klasse aufzusteigen. Dies ist das Ergebnis einer aktuellen
Expertise, die Dr. Reinhard Pollak vom Wissenschaftszentrum Berlin
für Sozialforschung im Auftrag der Vodafone Stiftung Deutschland
erstellt hat und die am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde. In der
Nachkriegszeit schafften besonders viele Menschen einen sozialen
Aufstieg, was in Westdeutschland nicht nur am "Wirtschaftswunder"
lag, sondern auch an einer zunehmend chancengleicheren Gesellschaft,
so Pollak. Heute hingegen gäbe es in Deutschland deutlich mehr
soziale Abstiege als früher. Gleichzeitig sei es gerade für die
Menschen, die am unteren Ende der Gesellschaft leben, besonders
schwierig geworden aufzusteigen.

Die Ursachen für die mangelnden Aufstiegschancen, so der Forscher,
sind klar. Die Antworten der Politik jedoch sind völlig
unterschiedlich. Dies zeigte sich bei einer Diskussionsrunde der
Vodafone Stiftung und der stiftung neue verantwortung, bei der
führende Vertreter aller Parteien mit den Ergebnissen dieser neuen
Expertise konfrontiert wurden.

Zunächst die Ursachen: Laut der Expertise des
Sozialwissenschaftlers ließen sich in allen Lebensphasen - im
Kleinkindalter, in der Schulzeit, in der Jugend, aber auch im
Erwachsenenalter - Hürden für den sozialen Aufstieg ausmachen.

Aufstiegshürde Nr. 1: Bildungs- und Erziehungsdefizite im
Elternhaus blockieren Entwicklung im Kleinkindalter

In den ersten Lebensjahren entwickeln Kinder die Eigenschaften,
die für ihren späteren Werdegang von entscheidender Bedeutung sind.
Hierzu zählen sowohl Sprachfähigkeit und rechnerische Fähigkeiten als
auch soziale Kompetenzen, Motivation und Selbstdisziplin. Die
Vermittlung all dieser Eigenschaften erfolgt in Deutschland im
Wesentlichen durch die Eltern. Viele Eltern können aber diese
wichtiger werdenden Grundkompetenzen heute nicht mehr ausreichend
vermitteln. Viele Kinder haben daher von vornherein schlechte
Startchancen.

Aufstiegshürde Nr. 2: In der Schulzeit werden Schulwechsel
blockiert

Während der ersten Schuljahre werden die Leistungsunterschiede
zwischen Kindern aus niedriger und hoher sozialer Herkunft immer
größer. Dies liegt häufig auch daran, dass es keine geeignete
Nachmittagsbetreuung gibt, bei der die Kinder aus niedriger sozialer
Herkunft ihre Nachteile zumindest teilweise ausgleichen könnten. Nach
der Grundschule besuchen viele Kinder aus benachteiligten
Verhältnissen nicht das Gymnasium, obwohl ihre schulischen Leistungen
bzw. ihre kognitiven Fähigkeiten dafür ausreichen würden. Dies liegt
an mangelnder häuslicher Förderung und den Bildungsentscheidungen der
Eltern, die je nach Schichtzugehörigkeit unterschiedlich ausfallen.
Lehrer lassen sich zudem durch die soziale Herkunft der Kinder
beeinflussen, insbesondere bei der Notengebung und beim Verfassen der
Schulempfehlungen. Auch dadurch werden die Aufstiegschancen dieser
Kinder blockiert. Im weiteren Verlauf der Schulzeit geht das
Leistungsniveau der unterschiedlichen Schulformen so stark
auseinander, dass ein späterer Wechsel auf eine höhere Schulform kaum
möglich ist.

Aufstiegshürde Nr. 3: In der Jugend werden die Berufschancen
blockiert

Jugendliche, die einen sehr guten mittleren Schulabschluss und
eine Berufsausbildung haben, können sich zwar theoretisch durch ein
Hochschulstudium weiterqualifizieren, praktisch wird diese
Möglichkeit jedoch vielfach nicht genutzt, da Vorkenntnisse aus der
Schulzeit und eine gezielte Förderung fehlen. Hauptschulabsolventen
oder Jugendliche ohne Abschluss werden voreilig als nicht
ausbildungsreif abgestempelt und haben somit kaum Chancen auf einen
Ausbildungsplatz.

Aufstiegshürde Nr. 4: Im Erwachsenenalter werden Karriereschritte
blockiert

Ein bestimmter Qualifikationsabschluss ist häufig unverzichtbar,
um einen bestimmten Beruf oder eine bestimmte Lohngruppe zu
erreichen. Die große Bedeutung von Abschlüssen und nicht von
tatsächlichen Leistungen im Beruf blockiert aber die Karrierechancen
von vielen Menschen in Deutschland. Dies wiegt besonders schwer, weil
das Nachholen eines Abschlusses hierzulande besonders schwierig ist.
Es fehlen hierfür klare Rahmenbedingungen und eine ausreichende
finanzielle Förderung. In vielen Teilen Deutschlands sind zudem nur
unzureichende Kinderbetreuungseinrichtungen vorhanden, um die Eltern
während einer Weiterbildungsphase zu entlasten.

Die Problemlage wird von keiner der politischen Parteien in
Deutschland geleugnet, die Meinungen über die politischen
Schlussfolgerungen gehen indes auseinander. Auf der
Diskussionsveranstaltung der Vodafone Stiftung und der stiftung neue
verantwortung äußerten sich hochrangige Vertreter aller Parteien zu
den Herausforderungen.

CDU Generalsekretär, Hermann Gröhe, setzte auf "ein
Bildungssystem, das Leistung fordert und fördert." Deshalb, so Gröhe,
"bauen wir die frühkindliche Bildung aus, indem wir
Ganztags-Kindergärten anbieten ebenso wie Ganztags-Schulen, gerade in
sozialen Brennpunkt-Quartieren. Gleichzeitig wollen wir ein
differenziertes, aber durchlässiges Bildungssystem."

Dagegen übte der Grünen-Vorsitzende, Cem Özdemir, jedoch deutliche
Kritik: "Das geplante Betreuungsgeld und ein bürokratisches
Bildungspaket sind genau die falschen Antworten. Die Mittel müssen
vielmehr direkt in den quantitativen und qualitativen Ausbau von
Kitas und Ganztagsschulen, in denen gerade auch junge Menschen aus
sozial benachteiligten Milieus die notwendige Förderung in einem
sozial und kulturell anregenden Umfeld erfahren."

Der designierte Generalsekretär der FDP, Patrick Döring, betonte,
genau wie sein Amtskollege von der CDU, die Bedeutung von
Arbeitsplätzen. "Gutes, starkes Wachstum", so Döring, schaffe "die
besten Chancen für Arbeit und Aufstieg."

Gerade im Bereich von Wirtschaft und Beschäftigung sieht SPD
Generalsekretärin, Andrea Nahles, jedoch großen Handlungsbedarf. Sie
forderte im Vorfeld der Veranstaltung wieder mehr "Ordnung auf dem
Arbeitsmarkt mit einer Stärkung des Normalarbeitsverhältnisses und
weniger prekärer Beschäftigung". Nahles forderte im Vorfeld der
Diskussion weiterhin, "mehr Chancengleichheit im Bildungssystem durch
besondere Förderung und gebührenfreie Bildung von der Kita bis zur
Uni."

Der stellvertretende Bundestagsfraktionsvorsitzende der Linken,
Dr. Dietmar Bartsch, betonte, die geringe Chancengleichheit in
Deutschland sei "das Ergebnis von Politik". Er setzte sich daher für
eine "Umverteilung von Lebenschancen und Macht" als "zentralen Aspekt
der Gesellschaft" ein.

Einig waren sich nahezu alle Vertreter der Parteien, dass die
Bildung von Benachteiligten besonders gefördert werden sollte, um die
sozialen Aufstiegschancen in Deutschland zu erhöhen.

Die Vodafone Stiftung Deutschland und die stiftung neue
verantwortung arbeiten gemeinsam an einem Think Tank Projekt zur
Verbesserung der sozialen Aufstiegschancen in Deutschland.

Über die Vodafone Stiftung Deutschland

Die Vodafone Stiftung ist eine der großen unternehmensverbundenen
Stiftungen in Deutschland. Unter dem Leitmotiv "Erkennen. Fördern.
Bewegen." unterstützt die Stiftung als gesellschaftspolitischer
Thinktank insbesondere Programme in den Bereichen Bildung,
Integration und soziale Mobilität mit dem Ziel, Impulse für den
gesellschaftlichen Fortschritt zu geben, die Entwicklungen einer
aktiven Bürgergesellschaft zu fördern und gesellschaftliche
Verantwortung zu übernehmen. Dabei geht es der Stiftung vor allem
darum, benachteiligten Kindern und Jugendlichen den sozialen Aufstieg
zu ermöglichen.

Über die stiftung neue verantwortung

Die stiftung neue verantwortung fördert das interdisziplinäre und
sektorübergreifende Denken entlang der wichtigsten
gesellschaftspolitischen Themen und Herausforderungen im 21.
Jahrhundert. Durch ihr Fellow- und Associate-Programm bringt die
Stiftung junge Experten und Vordenker aus Wissenschaft, Wirtschaft,
Politik und Gesellschaft zusammen, die im Rahmen zeitlich befristeter
Projekte kreative Ideen und Lösungsansätze entwickeln und diese
mittels verschiedener Publikations- und Veranstaltungsformate in den
öffentlichen Diskurs einbringen. Die stiftung neue verantwortung ist
gemeinnützig, unabhängig und überparteilich.

Wichtiger Hinweis: Die Expertise, die Dr. Reinhard Pollak vom
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung im Auftrag der
Vodafone Stiftung Deutschland erstellt hat, sowie die dazugehörigen
druckfähigen Grafiken und hochauflösende Fotos der Veranstaltung
stehen Ihnen zum kostenfreien Download im Internet auf
www.vodafone-stiftung.de bereit.



Pressekontakt:
Vodafone Stiftung Deutschland gemeinnützige GmbH
Danyal Alaybeyoglu
Tel.: 0211 / 533-6786
Mobil: 0172-2403359
Fax: 0211 / 533-1898
danyal.alaybeyoglu@vodafone.com
www.vodafone-stiftung.de

stiftung neue verantwortung
Lars Zimmermann
Tel.: 030 / 81 45 03 78 80
Fax: 030 / 81 45 03 78 97
lz@stiftung-nv.de
www.stiftung-nv.de


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