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HAMBURGER ABENDBLATT: Hamburger Abendblatt zu Griechenland

Geschrieben am 03-11-2011

Hamburg (ots) - Ein Kommentar von Christoph Rybarczyk

Wegen des deutschen Hickhacks um die Euro-Rettung ist das Wort
"Eiertanz" ins englische Krisenvokabular aufgenommen worden. Nach der
Absage des Volksentscheides zum Hilfspaket dürfte es auch einen
Eintrag in die griechischen Wörterbücher finden. Dieses Drama war
eine Bankrotterklärung eines ohnehin mittellosen Landes.
Ministerpräsident Giorgos Papandreous Machtpfeiler sind eine marode
Wirtschaft, ein aufgebrachtes Volk, eine wackelige Koalition und
abtrünnige Minister. Da konnte dem trickreichen Regierungschef nur
ein Wink des Volkes helfen. Das Alles-oder-nichts-Spiel um die
Abstimmung hätte Papandreou eine Gewissheit gebracht: Entweder wäre
er gestürzt oder neu gestützt worden. Jetzt soll eine
Übergangsregierung zeigen, wie eng das Schicksal von Papandreou und
Opposition und Volk miteinander verknüpft sind. Ob das weitere
Krawalle verhindert, ist ungewiss. Ob es Papandreou im Amt hält,
ebenso. Die Horrorszenarien von einem Austritt aus dem Euro-Raum und
bürgerkriegsähnlichen Zuständen sind nicht gebannt. Die Chronik eines
angekündigten Todes für das Referendum zeigt: Mit dem Volkswillen
darf man nicht spielen. Es untergräbt die Legitimation der Politik,
wenn sie erst direkte Demokratie zulässt und dann die Ergebnisse
ignoriert. In Hamburg entschieden sich die Bürger 2004 gegen den
Verkauf der öffentlichen Krankenhäuser. Dann wurden sie dennoch
privatisiert. Das Gesetz wurde geändert, nun sind Volksentscheide
verbindlich. Der Bürger geht auf die Straße, wenn er ahnt, dass seine
Volksvertreter völlig anders ticken als er. Wenn sie sehenden Auges
die nächste Bankenrettung planen, ohne einen Rettungsschirm über
Kleinsparer zu spannen. In den USA, wo Millionen ihre Altersvorsorge
in Immobilien-Blase und Lehman-Pleite platzen sahen, haben viele
genug vom ungezähmten Markt. So auch in Deutschland. Doch hier fühlt
sich eine Mehrheit noch angemessen vertreten von einer Kanzlerin, die
- trotz vieler Volten - vom Primat der Politik spricht. Das bedeutet,
dass nicht die Finanzmärkte die Kanzlerin und ihre Gipfelstürmer in
Europa treiben, sondern umgekehrt. Ironischerweise hatte auch
Griechenlands Ministerpräsident Papandreou den Spieß beinahe
umgedreht. Doch die Finanzmärkte spielten verrückt, als er das Volk
ins Spiel brachte. Das Volk hat viele Gesichter. Es ist sittsam und
besonnen, wenn wie in Deutschland das Modell von sozialer
Marktwirtschaft Unternehmen und Gewerkschaften, die kapitalistische
Freiheit und den Sozialstaat als Einheit sieht. Das Volk ist zornig,
wenn es seine Abneigung gegen "die da in Europa" kanalisieren kann.
Vor allem, wenn es im Dilemma steckt, wie die Griechen das nennen.
Papandreou ködert die Bürger mit der Abstimmung und suggeriert, sie
hätten eine Wahl. Tatsächlich könnten sie dem Hilfspaket der EU nur
zustimmen. Keine Frage, dass diese Wahllosigkeit die Griechen in
Wallung bringt. In Deutschland gibt es auf Bundesebene nur begrenzte
direkte Demokratie. Mit gutem Grund wurde 1990 nicht einmal das Volk
zur Wiedervereinigung befragt. Die Populisten und Scharfmacher hätten
bei einer Volksabstimmung eine viel zu große Bühne bekommen. Deshalb
wird es auch in Deutschland keine Volksabstimmungen über die
Bundeswehr, den Euro oder andere wegweisende Fragen geben. Das kann
Griechenland, die Wiege der Volksherrschaft, von den modernen
Demokratien noch lernen.



Pressekontakt:
HAMBURGER ABENDBLATT
Ressortleiter Meinung
Dr. Christoph Rind
Telefon: +49 40 347 234 57
Fax: +49 40 347 261 10
christoph.rind@abendblatt.de meinung@abendblatt.de


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