(Registrieren)

WAZ: Mauer, Morde, Kalter Frieden. Leitartikel von Dietmar Seher

Geschrieben am 12-08-2011

Essen (ots) - Das Lied der DDR-Grenztruppen ist zynisch. Und es
enthält eine bedeutende Falschaussage. Vom bevorstehenden Mauerbau
haben 1961 viele gewusst. Im Westen haben ihn die Geheimdienste bis
auf die Woche vorausgesagt, nahmen ihn Regierungen bewusst hin. Eine
Mauer sei letztlich besser als der Atomkrieg, hat John F. Kennedy
aufgeatmet. Ihr Bau signalisierte: Jede der bis zum Overkill
hochgerüsteten Weltmächte darf auf ihrer Seite machen, was sie will.
Sie darf nur nicht der anderen in die Quere kommen.

Es war die stille Übereinkunft zwischen Washington und Moskau, die
im Kalten Krieg den Menschen ein Überleben sicherte. Die Westmächte
griffen folgerichtig nicht ein. Ganz besonders die Berliner mussten
mit der Teilung 28 lange Jahre einen hohen Preis für diesen Kalten
Frieden zahlen. Dies ist der eine Teil der Wahrheit um die Mauer.

Der andere: Nichts rechtfertigt die Mittel des Mordes und des
Terrors, mit denen die SED-Diktatur, besorgt um ihren maroden
"Sozialismus", den menschenfeindlichen Wall verteidigt hat. Nach
Peter Fechter, der eineinhalb Stunden im Todesstreifen verblutete,
starben noch Hunderte im Kugelhagel. 70 000 Flüchtlinge büßten
ihre Freiheitsliebe in den Stasi-Gefängnissen.

Wenig davon wurde nach der wiedergewonnenen Einheit juristisch
aufgearbeitet. Zu Ermittlungen gegen die Todesschützen oder ihre
Befehlsgeber kam es selten - und wenn, endeten sie noch seltener mit
einem angemessenen Urteil. Täter und Opfer der Mauer begegnen sich
heute offen auf der Straße. Letztere fühlen sich doppelt gestraft.

Die tödliche Grenze ist längst gefallen. Es ist also Zeit, über
solche Versäumnisse des Rechtsstaats zu sprechen. Fast alle
funktionierenden Demokratien neigen dazu, totalitäre Phasen der
Geschichte "altersmilde" zu behandeln. Gerecht ist das nicht, und
auch kein Vorbild. Wer im 21. Jahrhundert Mauern und Mord für ein
Instrument der Politik hält, verdient keine Schonung.

Fazit: Die Klappe, die die Grenzer besangen, ist wieder auf. Die
Demokratie darf den Sieg über totalitäre Strukturen feiern. Dass die
Verbrechen an der Mauer nicht geahndet wurden, bleibt aber ein Makel.



Pressekontakt:
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Zentralredaktion
Telefon: 0201 / 804-6528
zentralredaktion@waz.de


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

347044

weitere Artikel:
  • Rheinische Post: Kirchenproteste Düsseldorf (ots) - Ein Kommentar von Lothar Schröder: Die spanische Jugend hat einen Lauf. Gerade erst trug sie ihren Unmut gegen die Wirtschaftspolitik des Landes auf die Straße, da kündigt sich der nächste Vertreter einer als reklamationswürdig empfundenen Institution an: Papst Benedikt XVI. soll beim Weltjugendtag ab Donnerstag in Madrid mit öffentlichen Kuss-Orgien an die unzeitgemäße Sexualmoral der katholischen Kirche erinnert werden. Der Protest der Jugend ist jedoch keine Erscheinung nur unserer Zeit, weil Jugend an sich mehr...

  • WAZ: Freude über jedes Kind. Kommentar von Gudrun Büscher Essen (ots) - Der liebe Gott freut sich über jedes Kind. So kommentierte Franz Beckenbauer vor Jahren das Ergebnis eines Seitensprungs. Und damit war die öffentliche Debatte für ihn beendet. Das ist gut so. Denn wer mit wem warum wie viele Kinder bekommt oder nicht - das ist etwas sehr Privates. Der Staat hat nur die Rahmenbedingungen für eine kinder- und familienfreundliche Gesellschaft zu schaffen. Ob die Eltern miteinander verheiratet sind oder nicht, ist nebensächlich. Auch fürs Kind. Kinder brauchen Liebe, Schutz und Zuverlässigkeit. mehr...

  • Rheinische Post: Die wahre Krise Düsseldorf (ots) - Ein Kommentar von Michael Bröcker: Im Schatten der Turbulenzen an den Aktienmärkten und der europäischen Schuldenkrise findet die humanitäre Katastrophe in Ostafrika viel zu wenig Beachtung. Der Hungersnot in Somalia sind nach US-Angaben in nur drei Monaten allein knapp 30 000 Kinder zum Opfer gefallen, Zehntausende Menschen sind insgesamt gestorben. Die perfiden Angriffe somalischer Milizen auf Flüchtlingskonvois erschweren Hilfslieferungen, Berichte von massenhaften Vergewaltigungen machen die Runde. Die mehr...

  • Stuttgarter Nachrichten: zu Mauerbau und EU Stuttgart (ots) - Ohne Rumänien, Polen und Tschechien wäre auch die deutsche Revolution nicht vorstellbar gewesen. Heute sind wir mit diesen Ländern in der Europäischen Union vereint. Die Glücksgefühle halten sich darüber in Grenzen, und das ist kein gutes Zeichen. Doch im Kern ist die EU keine Währungs-, sondern eine Freiheitsgemeinschaft - das Gegenteil des mauergeteilten Ost-West-Zustands. Pressekontakt: Stuttgarter Nachrichten Chef vom Dienst Joachim Volk Telefon: 0711 / 7205 - 7110 cvd@stn.zgs.de mehr...

  • Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Mauerbau Bielefeld (ots) - Der 13. August 1961 gehört zu den tiefsten Einschnitten in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Die Mauer zerriss Berlin in Ost und West, festigte die Teilung Deutschlands und ist Symbol des Kalten Kriegs. Sie kostete Menschen das Leben, verbreitete Leid und steht für Unmenschlichkeit. Einer Umfrage zufolge weiß aber jeder Dritte der unter 30-Jährigen nicht, was am 13. August 1961 geschah. Das macht nachdenklich - und verweist zum einen auf eine schlichte Tatsache: Für eine stetig wachsende Zahl der Deutschen ist die mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht