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Mittelbayerische Zeitung: Der Unlaute Christian Wulff ist seit einem Jahr Bundespräsident. Er macht seinen Job gut - aller Kritik zum Trotz.

Geschrieben am 29-06-2011

Regensburg (ots) - Als am 30. Juni, also vor einem Jahr, Christian
Wulff nach stundenlanger Hängepartie im dritten Wahlgang gewählt
wurde, war das für alle so etwas wie ein Omen. Wulff, der Kandidat
der schwarz-gelben Koalition, sei beschädigt von Anfang an, hieß es.
Mit ihm auch noch die gesamte bürgerlich-liberale Koalition dazu. Von
diesen Aussagen ist nur die letztere richtig. Die Wahl war blamabel.
Aber Wulff hat das keinen Schaden zugefügt. Er hat sich schnell vom
Makel eines unbeliebten Kandidaten einer schwierigen Koalition
befreit und sich der Funktion zugewandt, die er für sich ausgesucht
hat: die des Brückenbauers. Viel von sich hören lassen hat Wulff in
den vergangenen zwölf Monaten nicht. Wer das als Manko ansieht,
vergisst, dass viele Schlagzeilen nicht unbedingt ein Beweis für gute
Arbeit sein müssen. Die Koalition, die ihn ins Amt gehoben hat, sorgt
für viele Nachrichten. Die wenigsten davon sind gut. Wulff hat sich
darauf zurückgezogen, zu repräsentieren. Das ist per Definition seine
Aufgabe. Und die erfüllt er gut. Als er einmal für eine Schlagzeile
sorgte, bekam ihm das schlecht: Zum Tag der Deutschen Einheit sagte
der Bundespräsident, der Islam sei Teil Deutschlands. Die wütenden
Reaktionen und die Kritik folgten unmittelbar. Deutschland
diskutierte über Werte, Religion und Inte-gration, schalt den
Bundespräsidenten oder lobte sein Bekenntnis zu einer integrativen
Gesellschaft. Wulff zog sich nach dem Wirbel, den seine Rede
ausgelöst hatte, nicht zurück. Bei seinem Türkei-Besuch erneuerte er
sein Bekenntnis zur Inte-gration. Nur vermied er es, weiter für
Wirbel zu sorgen. Wulff ist Politiker genug, um zu wissen, wann es
genug ist. Das unterscheidet ihn ebenso von seinem Vorgänger Horst
Köhler wie die Fähigkeit, Kritik - auch harte - wegzustecken. Durch
seine Vergangenheit als Ministerpräsident weiß er, was
Regierungsverantwortung heißt. Das dürfte auch erklären, warum Wulff
sich nicht in die Tagespolitik einmischt. Dass ihm dies als Nachteil
angerechnet wird, liegt aber weniger an ihm selbst, als an der
derzeitigen Bundesregierung. Schwarz-Gelb unter Angela Merkel hat ein
Erklärdefizit - und nach wie vor ein Glaubwürdigkeitsproblem. Union
und FDP schreiten Seit' an Seit', aber nicht miteinander. Der
gesellschaftliche Großkonflikt über die Atomkraft mag gelöst sein,
der innerkoalitionäre Großkonflikt über Steuersenkungen ist es nicht.
Blockadehaltungen und Misstrauen zwischen den Parteien sind virulent.
Beizeiten ist das einzig erkennbare Ziel der Bundesregierung der
Selbsterhalt. Auf der Strecke bleiben dabei viel zu oft die Bürger.
Gründe für Verunsicherung gibt es genug: Euro-Krise,
Griechenland-Hilfen, Energiesicherheit sind nur die wichtigsten
Schlagwörter. Aber es gibt niemanden, der den Menschen erklärt, warum
es nötig ist, den Euro zu retten. Warum wir vor einem halben Jahr die
Atomenergie noch als Brückentechnologie begrüßen sollten, während
heute diese Brücke bereits hinter uns brennt. Vielleicht wäre ein
klares Wort des Bundespräsidenten nötig, eben weil die Vermittlung
Sache dieser Bundesregierung nicht ist. Wulff könnte diese Lücke
füllen. Er hat das schon einmal getan und Sarrazin-Land zurück zu
einer guten, richtigen Debatte über Integration verholfen. Wulff hat
das diesmal nicht getan. Vielen Bundesbürgern ist das Anlass gewesen,
ihn als zu still zu kritisieren. Doch das ist falsch. Die fehlende
Vision, die fehlenden Antworten, auf die viele Menschen warten, sie
schlummern nicht in Schloss Bellevue, sondern im Kanzleramt.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de


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