(Registrieren)

HAMBURGER ABENDBLATT: Vorabmeldung, Ehemaliger Finanzsenator Wilhelm Nölling (SPD) fordert seine Partei auf, die Studiengebühren nicht abzuschaffen

Geschrieben am 08-05-2011

Hamburg (ots) - Der Wirtschaftswissenschaftler Wilhelm Nölling,
ehemaliger Hamburger Finanzsenator, Ex-Landesbank-Nord-Chef schreibt
in einem Autorenbeitrag im Hamburger Abendblatt: Die in Hamburg 2007
eingeführten Studiengebühren sollen wieder abgeschafft werden. So
wollen es die im Rathaus regierenden Sozialdemokraten. Verbleibt noch
Zeit zum Nachdenken, ob wirklich alle Argumente dafür und dagegen
sorgfältig abgewogen wurden? Im Zuge der Vorbereitung auf die
Währungsunion ist in Deutschland der Anteil der öffentlichen
Investitionen am Sozialprodukt - um die Staatsverschuldung zu
reduzieren - etwa halbiert worden (von rund drei Prozent auf rund
anderthalb Prozent). Darunter haben die Investitionen in die
Hochschulen maßgeblich gelitten, Ausbau und Modernisierung wurden
stark vernachlässigt. Unsere Hochschulen bleiben besorgniserregend
"unterfinanziert". Gegenwärtig werden in Hamburg, Bayern,
Baden-Württemberg und Niedersachsen Studiengebühren erhoben. In
Hessen, im Saarland und in Nordrhein-Westfalen sind sie bereits
beseitigt. Insgesamt erzielten die Länder durch Studiengebühren mehr
als 870 Millionen Euro (2008), die sie zur Verbesserung der
Studienbedingungen eingesetzt haben. Es geht also nicht um "kleine
Fische", und die Gefahr ist groß, dass bei einer Streichung der
Gebühren die Staatsschulden weiter steigen oder anderswo gekürzt
werden muss. Wo Studiengebühren erhoben werden, tragen sie zwischen
3,5 und etwa sieben Prozent zu den Kosten bei, die für jeden
Studierenden im Schnitt bei 7300 Euro jährlich an "Grundmitteln"
betragen. Dabei muss beachtet werden, dass sich die soziale
Schichtung der Studierenden außerordentlich stark zugunsten der
gesellschaftlich "oberen" Klassen verschoben hat: Die Statistik zeigt
unter der Rubrik Herkunftsgruppe "hoch" eine Anteilzunahme von 17
Prozent auf 38 Prozent (1988 bis 2006), während in der Gruppe
"niedrig" der Anteil von 23 auf 18 Prozent sank. Der Anteil der
BAföG-Bezieher hat sich von 33 Prozent Anfang der 90er-Jahre auf 25
Prozent stark verringert - auch ohne Studiengebühren! Die
Benachteiligung im Kampf um Chancengleichheit ist daran gut
abzulesen. Wird sich daran etwas ändern, wenn Hamburg die
Studiengebühren, die 34 Millionen Euro jährlich erbringen, abschafft?
Ich rufe ins Gedächtnis, dass ein kostenfreies Studium für jene,
deren Vermögenshintergrund die Zahlung der Gebühren problemlos
ermöglicht, weit mehr als die Hälfte aller Studierenden begünstigt,
was aber die Interessenvertreter der Arbeitnehmerschaft unbeeindruckt
lässt. Die Grünen, als Klientelpartei ihrer meist oberen
Wählerschichten, haben sich angehängt und freuen sich, dass auch ihre
Kinder auf Kosten der Allgemeinheit, auch aller steuerzahlenden
Arbeitnehmer, studieren können. Die Erfahrungen in Hamburg zeigen,
dass die Hälfte aller Zahlungspflichtigen die "nachgelagerte" Zahlung
der Gebühren nicht in Anspruch nimmt, sie zahlen also anstandslos zu
Beginn des Semesters. Um den studierwilligen und -fähigen Nachwuchs
von Arbeitnehmern mit Studiengebühren nicht zu bedrücken, lassen es
meine Partei und die Gewerkschaften zu, dass die Kinder der
"glücklichen Besitzenden" von einer Beteiligung an den öffentlichen
Investitionen in ihre private bessere Zukunft befreit werden. Diese
"Lösung" widerspricht allen Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit.
Gibt es vernünftige Auswege? Das Hamburger Modell bedeutet, dass ein
Studierender nach zehn Semestern eine "Zukunftsbelastung" von 3750
Euro nur zurückzahlen muss, wenn er nach dem Studium dazu in der Lage
ist. Das Modell ließe sich durch Abstufungen je nach BAföG-Höhe und
Herabsetzung einer Kappungsgrenze für die Gesamtverschuldung eines
Studierenden aus sozialen Gründen in akzeptabler Weise verbessern.
Jeder sollte sich im Klaren sein, dass mit der Abschaffung der
Studiengebühren eine maßvolle Mitfinanzierung durch die Begünstigten
verhindert wird und die Heranziehung von Hunderttausenden
Studierenden unterbleibt, die sich, wenn sie ehrlich sind, nicht
genug wundern können, dass ihre Interessen von der SPD so wunderschön
mitvertreten werden. Als ob es nicht genug Fantasie und Möglichkeiten
gäbe, einen Kompromiss zu finden. Wo Studiengebühren effizient
verwendet werden, haben sich die Studienbedingungen spürbar
verbessert und zur Attraktivität des Studiums beigetragen. Die SPD
sollte sich an Karl Marx erinnern: "Wenn auch höhere
Unterrichtsanstalten unentgeltlich sind, so heißt das faktisch nur,
den höheren Klassen ihre Erziehungskosten aus dem allgemeinen
Steuersäckel zu bestreiten." Ein Zitat aus dem Jahre 1875.



Pressekontakt:
HAMBURGER ABENDBLATT
Ressortleiter Meinung
Dr. Christoph Rind
Telefon: +49 40 347 234 57
Fax: +49 40 347 261 10
christoph.rind@abendblatt.de meinung@abendblatt.de


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

330463

weitere Artikel:
  • Weser-Kurier: Zur Lage der FDP Bremen (ots) - Mehr als die Hälfte der 93 Abgeordneten sind Neulinge - viele von ihnen vergleichsweise jung -, die erst seit der Wahl 2009 im Bundestag sitzen. Manche von ihnen treibt die berechtigte Sorge um, dass ihre politische Karriere angesichts der stabil negativen FDP-Umfragewerte in zwei Jahren einen abrupten Knick bekommen könnte. "Wir müssen durchstarten", so hat Homburger am Wochenende versucht, sich und ihrer Partei in einem Interview Hoffnung zu machen. Nur scheint momentan niemand in der FDP so recht zu wissen, wohin mehr...

  • Märkische Oderzeitung: Zur Euro-Debatte meint die Märkische Oderzeitung Frankfurt (Oder): Frankfurt/Oder (ots) - Das Konstrukt Euro braucht daher tiefgreifende Reformen: Als die gemeinsame Währung ohne gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik eingeführt wurde, ahnte man wohl nicht, wie unterschiedlich sich die Volkswirtschaften entwickeln können. Und ganz unvorstellbar schien, dass jemand Euro-Land wieder verlassen möchte oder gar sollte. Der Reformbedarf ist also groß. Aber man kann nur reformieren, was es noch gibt. Und da zählt derzeit jede Stunde. +++ Pressekontakt: Märkische Oderzeitung CvD Telefon: 0335/5530 mehr...

  • HAMBURGER ABENDBLATT: Inlandspresse, Hamburger Abendblatt zu Bin Laden Hamburg (ots) - Ein Kommentar von Thomas Frankenfeld Im Frühjahr 1961 beobachtete die jüdische Gelehrte Hannah Arendt, geboren in Hannover, zwangsemigriert in die USA, als Reporterin in Israel den Prozess gegen Adolf Eichmann, den Organisator des millionenfachen Mordes an den Juden während der NS-Zeit. Angesichts der unfassbaren Verbrechen hatte sie erwartet, mit einem diabolischen Monstrum konfrontiert zu werden - doch sie fand nur eine erbärmliche, kleinkarierte Gestalt, die eifrig jede Schuld leugnete. Unter diesem Eindruck mehr...

  • Märkische Oderzeitung: Agenturmeldung der Märkischen Oderzeitung Frankfurt (Oder) Frankfurt/Oder (ots) - Präsident der Gesellschaft für Strahlenschutz erhebt schwere Vorwürfe gegen UNO Frankfurt (Oder). Der Physiker Sebastian Pflugbeil wirft den Vereinten Nationen vor, die Folgen nuklearer Katastrophen zu verharmlosen. Die UNO hätte bereits nach Tschernobyl versucht, die Zahl der Opfer herunterzuspielen, sagt der Präsident der Gesellschaft für Strahlenschutz der Märkischen Oderzeitung. "Die von der UNO sanktionierten Zahlen liegen im dreistelligen Bereich. Wenn man aber allein die Angaben über Rentenzahlungen mehr...

  • Südwest Presse: Kommentar zur FDP Ulm (ots) - Knapper geht es kaum. Und wie weit es reicht, ist lange noch nicht ausgemacht. Ja, Birgit Homburger hatte am Samstag die Nasenspitze vorn, wenn auch nicht einmal die Hälfte des FDP-Parteitags hinter sich als wiedergewählte Landesvorsitzende. Der Frust der Südwest-Liberalen sitzt eben richtig tief. Noch bei der Bundestagswahl im Herbst 2009 durften sie sich in einem Allzeit-Hoch sonnen, Ende März aber wären sie um ein Haar aus dem Landtag gewählt worden. Die Enttäuschung macht sich in erster Linie fest am misslichen bundesweiten mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht