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Mittelbayerische Zeitung: Reden über Fukushima Leitartikel zur Atomkraft

Geschrieben am 30-03-2011

Regensburg (ots) - Wir werden noch sehr lange reden müssen über
Fukushima. Nicht alleine aufgrund der Tatsache, dass noch sehr, sehr
lange sehr, sehr wenige Wahrheiten gleich bekannt wurden. So, wie
sich die radioaktive Brühe langsam durch den Boden der
Reaktorbehälter frisst, so wird sich auch die Realität erst langsam
einen Weg durch das beredte Schweigen der japanischen Regierung
bahnen müssen. Und durch die Halbwahrheiten des Atomkonzerns Tepco,
denen eine ebenso kurze Halbwertzeit beschert ist, wie den
verglühenden Brennelementen in den zertrümmerten Reaktorgebäuden. Wir
werden noch lange über das reden, was am 11. März geschah, weil es
ein Ende darstellt: Das Ende des Atomzeitalters. Das Ende der
Erzählung vom Fortschritt. Die moderne, westliche Zivilisation
basiert seit der Aufklärung auf dem Glauben an eine Entwicklung hin
zum Besseren. Sie fußt auf der Vorstellung, dass der Mensch dank
seines Verstandes der Natur überlegen ist, sie sich nutzbar machen
kann und darf. Bis heute ist das der Grundglaube der
Fortschrittsgesellschaften. Zwar ist der eingebremst worden durch die
Feststellung, dass eine Ausbeutung der Natur eben jenen Fortschritt
in dem Moment behindert, wenn sie die Lebensgrundlage der Menschen
bedroht. Und dennoch - oder vielleicht gerade deswegen - hat die
Atomkraft dieser grundlegenden Erzählung vom Fortschritt in den
vergangenen 60 Jahren einen neuen Antrieb gegeben. Auf einmal war es
möglich, ohne Dreck, ohne Lärm, ohne Staub und Ruß ungeahnte Energie
in schier unerschöpflicher Menge zu produzieren. Und mit dieser
Energie schien es plötzlich möglich, alles technisch denkbare
umzusetzen. Städte konnten wachsen, Industrien neu entstehen, Kriege
konnten auf eine neue Art geführt - oder verhindert - werden. Dieser
Glaube ist grundlegend erschüttert worden. Zwar nicht erst durch
Fukushima. Aber im Todeskampf des Kraftwerks offenbart sich in
vielleicht einmaliger Weise, wie machtlos selbst hoch technisierte
Gesellschaften gegenüber der Katastrophe sind. Tschernobyl war für
Europa die vielleicht prägendste Krise der vergangenen 40 Jahre. Aber
dahinter stand die Vorstellung, das so etwas nur "im Osten", hinter
der Mauer, quasi in einer anderen Welt so hat geschehen können. Japan
beweist gerade, dass es anderswo nicht besser ist, sondern dass dort
nur besser und länger gelogen wird. Welche Folgen Fukushima hat,
lässt sich schon jetzt in Deutschland erkennen, und zwar aus einem
sehr speziell deutschen Grund. Die Bundesrepublik hat drei große
Erzählungen, die sie geprägt haben: Da ist zum einen der Krieg, der
aus Deutschland kam und aus dessen Trümmern zwei Teile Deutschland
entstanden. Es ist diese Gewissheit, die von der Idee der Bundeswehr
bis hin zu den Auslandseinsätzen unsere Gesellschaft prägt. Sie hat
sie zu einer pazifistischen gemacht. Dann gibt es die Erzählung der
68er, die eng mit dem Krieg verbunden ist, weil sie unsere
Gesellschaft darauf aufmerksam gemacht hat, dass der
Nationalsozialismus kein Betriebsunfall war. Und dann gibt es noch
die Erzählung der Anti-Atomkraftbewegung in Deutschland. Mit der
Erfahrung der Atombombe und der Angst vor ihr in Zeiten des Kalten
Krieges hat sich in Deutschland eine Skepsis gegenüber der Atomkraft
verbreitet, die sich in den Protesten in der Asse oder gegen die WAA
Luft machte. Diese Grundhaltung ist nie verschwunden. Sie war lange
Zeit sehr leise geworden. Mit dem Atomkonsens, der unter Rot-Grün
geschlossen wurde, und der die größten Gegner und die größten
Befürworter befriedete, war das Aufbegehren unnötig geworden. Man
kann das rot-grüne Gerede vom "gesellschaftlichen Großkonflikt", der
wieder aufgebrochen sei, als Schwarz-Gelb den Atomkonsens
aufschnürte, für überzogen halten: Ganz falsch ist es nicht. Denn
wenn sich nun, nach Fukushima, zeigt, dass sogar die FDP sagt, sie
habe verstanden, warum die Wähler Grün wählten, wenn sogar die CSU
ihren Markenkern plötzlich in einer atom-kritischen Haltung sieht:
Dann ist klar, wie groß der Konflikt ist, der nun wieder aufgebrochen
ist. Nicht nur, weil sich die Grünen endgültig als dritte große
Volkspartei etablieren, nicht nur, weil wir einen gesellschaftlichen
Linksruck erleben, nicht nur, weil wir uns darauf einstellen müssen,
dass Strom teurer, Landschaften im Zuge des Ökostromausbaus verändert
werden, sondern weil am 11. März sich die Welt vor allem für
Deutschland verändert hat, werden wir noch lange über Fukushima
reden.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de


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