(Registrieren)

BERLINER MORGENPOST: Kommentar zu "Taifun-Mentalität" der Japaner

Geschrieben am 13-03-2011

Berlin (ots) - Sechsundsechzig Jahre liegt es zurück, dass Kaiser
Hirohito seine Untertanen bat, "das Unerträgliche zu ertragen und zu
erleiden, was unerleidbar ist". Hirohito (1901-1989) meinte den
"Schmerz der Kapitulation", und er verteidigte seinen furchtbaren
Angriffskrieg noch einmal mit dem Bemühen, "Japans Selbsterhaltung zu
sichern". Wenn der japanische Premierminister Naoto Kan nun seine
Landaleute auffordert, "die schwerste Krise der Nachkriegsgeschichte"
besonnen und vereint durchzustehen, hallen die Worte Hirohitos nach.
Japan wird abermals das Unerträgliche ertragen müssen. Und es wird es
in einer Haltung tun, die Befremden und Bewunderung zugleich auf sich
zieht. Viel wird in den nächsten Wochen gesagt und geschrieben werden
zu dieser Haltung, die der frühere US-Botschafter Edwin Reischauer
einst als "Taifun-Mentalität" rühmte. Der Begriff soll eine Metapher
für ein schicksalergebenes, mindestens nach außen ruhiges Verhältnis
zu den sein. Wahr ist daran, dass seit Menschengedenken das
japanische Lebensgefühl von der Bedrohung durch Vulkane, Taifune,
Erdstöße, Erdrutsche, Tsunami geprägt ist. Nichts ist ganz sicher,
nichts für die Ewigkeit gebaut auf diesem Archipel. Das heiligste
Gebäude des Schintoismus wird alle 20 Jahre abgerissen und neu
aufgebaut, als Verneigung vor der Vergänglichkeit alles Irdischen.
Doch hüte man sich, in einen positiven Rassismus zu verfallen, und
den zur Schau getragenen Gleichmut als Gefühlsarmut misszuverstehen.
Menschen, die in ihrem Leiden anders wirken als wir, unser Mitleid
vorzuenthalten, wäre nicht nur Unsinn - es wäre Unrecht. Zugleich ist
nicht zu bestreiten, dass in den ersten Stunden nach dem Beben - so
weit wir es wissen können - keine Läden geplündert und keine
Einbrüche beobachtet wurden. Die Menschen teilen Reis und Wasser,
Nachbarn helfen einander, alte Menschen werden von jüngeren durch die
Verheerung getragen. Es herrscht nicht, das verzweifelte Recht des
Stärkeren, wie 1995 bei der Flutkatastrophe in New Orleans. Wer sich
vor dem Erdstoß, den Feuern, dem Tsunami retten konnte, schloss sich
einer Gruppe an und unterstellte sich deren Interesse. Es mag in
Japan mitunter an politischer Führung fehlen, an Gemeinsinn und
Opferbereitschaft mangelt es nie. Ohne diese früh ausgebildeten
sozialen Reflexe wäre nicht nur eine Krise dieses kaum fassbaren
Ausmaßes nicht zu überstehen - schon der Alltag in der Megametropole
Tokio/Yokohama/Kawasaki, die 37 Millionen Menschen in einem
50-Kilometer-Radius zusammendrängt, wäre kaum erträglich. Fukushima
wird der Angst vor der Atomkraft einen neuen Namen geben, nach
Harrisburg und Tschernobyl. So wie einst Minamata der Ursünde der
rücksichtslosen Industrialisierung und einer Quecksilber-Vergiftung
den Namen gab. Noch gibt es Hoffnung, dass es nicht zum Super-GAU
kommen muss. Noch stehen auch die auf den Pazifik wehenden Westwinde
über dem Reaktor von Fukushima günstig. Noch müssen wir nicht das
Allerschlimmste für die Menschen der Region befürchten. Auch wenn
"Kamikaze" - was "göttliche Winde" bedeutet - den Japanern im 20.
Jahrhundert nur Verheerung gebracht hat. Es heißt, in Tokio seien
Fahrräder ausverkauft. Die Menschen rüsteten sich zur Flucht nach
Süden. Für den Tag, wenn Züge, Flugzeuge, Autos versagen. Möge er nie
kommen.



Pressekontakt:
BERLINER MORGENPOST

Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

320608

weitere Artikel:
  • Neue OZ: Kommentar zu Japan/Atomkraft/erneuerbare Energien Osnabrück (ots) - Verzerrte Wahrnehmung Die doppelte Katastrophe, die Japan überrollt, verzerrt die Wahrnehmung. Die Welt sieht zwar die Folgen des Erdbebens. Fernsehbilder vermitteln das Leid und die Verwüstungen. Viele Länder sind dem Gebot der Menschlichkeit gefolgt und schicken Helfer. Aber im Fokus steht die Katastrophe im AKW Fukushima. Sie löst weltweit ein anderes Beben aus. Die Atomkraft steht wieder auf dem Prüfstand. In Japan ist passiert, was eigentlich bei friedlicher Nutzung dieser Technik (fast) nie mehr...

  • Neue OZ: Kommentar zu Israel Osnabrück (ots) - Macht ohne Nutzen In diesem abgrundtief scheußlichen Verbrechen gegen Israelis lag politisch sogar eine Chance. Regierungschef Benjamin Netanjahu lässt sie verstreichen. Kein politisches Motiv der Welt rechtfertigt es, eine Familie niederzumetzeln, wie es mutmaßlich palästinensische Täter im Westjordanland getan haben. Selbst in arabischen Gesellschaften, in denen Israel verhasst ist, darf diese Bewertung des Massakers von Itamar weithin vorausgesetzt werden. In einer Phase, in der so viele arabische mehr...

  • Neue OZ: Kommentar zu deutscher Atomdebatte Osnabrück (ots) - Merkels Restrisiko Das war klar: Die Katastrophe in Japan befeuert die deutsche Atomdebatte. Unmittelbar vor wichtigen Landtagswahlen wie in Baden-Württemberg ist das nicht ohne Brisanz. Denn die Laufzeitverlängerung deutscher Atommeiler, mit der die gegenwärtige Bundesregierung rot-grüne Beschlüsse der Vergangenheit aufweichte, war von Beginn an ein Zugeständnis an die Energiewirtschaft, nicht an Basis und Wähler. Die sind weit kritischer als das Führungspersonal von Union und Liberalen. Selbst Befürworter mehr...

  • Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel "Mittelbayerische Zeitung" (Regensburg) zu Japan Regensburg (ots) - Die furchtbare Katastrophe in der Katastrophe droht. Japan wurde von einem der schlimmsten Erdbeben seiner Geschichte erschüttert und der folgende Tsunami hat womöglich Tausende Menschenleben gefordert. Die schrecklichen Bilder aus dem Land der aufgehenden Sonne machen auch uns im halbwegs von derartigen Naturkatastrophen verschonten Mitteleuropa betroffen. Um wie vieles schlimmer ergeht es den Menschen vor Ort, die Angehörige, Freunde und ihr ganzes Hab und Gut verloren haben. Es gibt kein fremdes Leid. Die Welle mehr...

  • Stuttgarter Nachrichten: Kommentar zu Japan: Stuttgart (ots) - Ob CDU und FDP in den letzten beiden Wochen des Landtagswahlkampfs die Auswirkungen des japanischen GAUs unbeschadet überstehen, ist zu bezweifeln. Zum einen lagen vor den Kernschmelze-Meldungen aus Fernost beide Lager - Schwarz-Gelb hier, Rot-Grün da - bereits fast gleichauf. Die Atomdebatte könnte in einem Land, in dem mit Neckarwestheim I und II sowie Philippsburg I und II vier Atommeiler liegen, womöglich knapp den Ausschlag für den Regierungswechsel geben. Pressekontakt: Stuttgarter Nachrichten Chef mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht