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Landeszeitung Lüneburg: Weltpolizist als gefesselter Gulliver -- Experte Dustin Dehéz: Polarisierung im Kongress nach den Zwischenwahlen kann die US-Außenpolitik lähmen

Geschrieben am 02-12-2010

Lüneburg (ots) - Bei den Kongresswahlen wurde Barack Obama auf
Normalmaß zurechtgestutzt. Er verlor seine Mehrheit im
Repräsentantenhaus. Einerseits kann das die US-Außenpolitik lähmen,
meint der sicherheitspolitische Experte Dustin Dehéz von der FU
Berlin, etwa bei der Klimapolitik und dem neuen START-Abkommen.
Andererseits kann die Niederlage auch befreiend wirken. So dürfte
Obama bei den Republikanern leichter eine Mehrheit für einen längeren
Verbleib von US-Truppen im Irak und Afghanistan finden.

Es ist normal, dass US-Präsidenten bei Zwischenwahlen abgestraft
werden. Wieso wird jetzt die Gefahr eines Stillstandes beschworen?

Dustin Dehéz: Das liegt vor allem daran, dass die midterm
elections den Kongress gespalten haben. Das Repräsentantenhaus wird
klar dominiert von den Republikanern. Im Senat haben die Demokraten
noch eine leichte Mehrheit. Mit anderen Worten: Alles, was der
Kongress mitentscheiden kann, muss überparteilich ausgehandelt
werden.

Die Unzufriedenheit der Wähler betrifft vor allem die
wirtschaftliche Lage. Welchen Stellenwert hat Außenpolitik jetzt in
der US-Politik?

Dehéz: Einen nachrangigen. Bei Wählerbefragungen wurde als
wichtigstes außenpolitisches Thema Afghanistan genannt -- das aber
insgesamt erst auf Platz neun oder zehn rangiert. Die Innenpolitik
hatte Vorfahrt. Das ist aber bei Kongresswahlen normal, denn die
Senatoren und die Abgeordneten des Repräsentantenhauses haben
innenpolitische Entscheidungen zu treffen. Der Präsident stand nicht
zur Wahl.

Aber bei den Zwischenwahlen 2006 spielten die Themen Irak und
Afghanistan durchaus eine Rolle. Deutet die aktuelle Tendenz auf eine
isolationistische Haltung in der US-Politik hin?

Dehéz: Das ist ein bisschen überinterpretiert. Die nun gewählten
Republikaner sind zwar zum Teil Anhänger der Tea Party mit
fiskalkonservativen Ansichten und aus Sparsamkeit gespeisten
Abzugsneigungen. Sie befürchten eine Überforderung in Irak und
Afghanistan und fordern ein nation building zu Hause in den USA. Aber
das ist eine Minderheit. Die Mehrheit sind klassische Republikaner,
die sich über nationale Sicherheit und aktive Außenpolitik
definieren. Einige sind auch in verteidigungspolitischer Hinsicht
klassisch konservativ, betonen, die USA müssten sich auf die nächsten
großen Auseinandersetzungen vorbereiten, etwa mit Russland und China.
Aus Sicht neokonservativer Denker wie Robert Kagan ist der Krieg in
Afghanistan nicht zu verlieren, weil die Taliban dem westlichen
Modell nichts entgegenzusetzen haben. Deshalb gelte es, sich auf die
Kriege danach vorzubereiten, etwa mit China. Das alles verlangt --
und hier ist die Bruchlinie zwischen der Tea Party und den
klassischen Republikanern -- selbstverständlich viel mehr Geld für
die Streitkräfte.

Die Republikaner sind durch Tea-Party-Vertreter nach rechts
gerückt. Wird der Kongress lahmgelegt?

Dehéz: Jein. Zum einen muss man ein Fragezeichen dahintersetzen,
dass die Republikaner nach rechts gerückt sind. Viele Anhänger der
Tea Party sehen sich als Anhänger eines libertären, kleinen Staates.
Konservativ sind dementgegen eher Vertreter der Bush-Linie eines big
government. Die Problematik ist eher, dass es auch innerhalb der
Republikaner eine ganz starke Polarisierung zwischen diesen Polen
gibt. Die einen, die die USA in der Rolle des Weltpolizisten sehen,
die "das Versprechen Amerikas in die Welt hinaustragen wollen", und
den anderen, die sagen, das können wir uns nicht mehr leisten und
müssen uns deshalb auf die Heimat konzentrieren. Ein ausgewiesener
Isolationist ist der Texaner Ron Paul -- doch er steht alleine da. Zu
vermuten ist ohnehin, dass der Tea-Party-Bewegung nun die Kraft
ausgeht. Die von ihr gestützten Senatoren werden bei Abstimmungen die
Richtung bekräftigen, auf die es immer hinauslief: mehr Geld
auszugeben. Die Verringerung des Defizits rückt so in weite Ferne.

Gegenüber dem aufsteigenden China verfolgt Obama einen
kooperativen Ansatz. Wird der Kongress künftig auf härtere Bandagen
drängen?

Dehéz: Sowohl als auch. In wirtschaftspolitischer Hinsicht, etwa
beim Währungskrieg, wird der Kongress stärker als Obama betonen, dass
Chinas künstlich niedrig bewertete Währung die USA benachteiligt.
Außen- und sicherheitspolitisch wird sich nicht sehr viel verändern.
Bereits George W. Bush hat in Asien extrem viel bewegt, für ein
deutlich besseres Verhältnis zu Pakistan, Indien und China gesorgt.
Was sich aber geändert hat und in Europa oft nicht wahrgenommen wird,
ist, dass sich das Kräfteverhältnis bereits verschoben hat. Die Zeit
ist vorbei, in der die USA bei einem Konflikt um Taiwan nur zwei
Flugzeugträgergruppen entsenden mussten, um die Insel gegen
Festlandchina verteidigen zu können. Washington weiß aufgrund der
Analysen seiner Experten, dass Peking die Fähigkeit hat, den USA den
Zugang zur Straße von Taiwan zu verweigern. Diese Verschiebung des
strategischen Machtverhältnisses ist allerdings noch nicht im
politischen Diskurs angekommen.

Am 31. Juli 2011 soll der US-Abzug aus Afghanistan beginnen.
Werden sich die Republikaner hier als Hardliner profilieren oder
lieber die Hände von der heißen Kartoffel lassen?

Dehéz: Konsens dürfte im Kongress sein, dass sich Barack Obama mit
diesem Abzugstermin keinen Gefallen getan hat. Zumal die Amerikaner
weit über diesen Zeitpunkt hinaus in Afghanistan verbleiben müssen,
wollen sie ihre neue Strategie der gezielten Ausschaltung der Köpfe
des Aufstandes zum Erfolg führen. Deshalb dürften die neuen
Mehrheitsverhältnisse Obama in die Karten spielen. Es wird ihm
leichter fallen, den Republikanern mehr Geld für Afghanistan
abzuringen als seiner eigenen Partei. Auch bei Vorstößen für mehr
Freihandelszonen kann der US-Präsident auf Beistand von den
Republikanern hoffen. Deshalb kann man das klassische Muster nach den
Kongresswahlen erwarten: die Hinwendung des Präsidenten zur
Außenpolitik.

Sie haben die Vorteile skizziert, die Obama aus den neuen
Mehrheitsverhältnissen erwachsen. Aber es drohen auch Nachteile:
Haben die Halbzeitwahlen eine ambitionierte Klimapolitik der
Obama-Administration beerdigt?

Dehéz: Ja, der Klimaschutz ebenso wie das neue Abrüstungsabkommen
mit Russland. Das hat weniger damit zu tun, dass nun die Republikaner
die Mehrheit im Repräsentantenhaus haben, als damit, dass auch
überparteilich kein Konsens in diesen beiden Feldern zu erzielen ist.

Ist die leichte Entspannung zwischen Moskau und Washington
gefährdet, wenn auf Nachbesserungen bei der atomaren Abrüstung
gedrängt wird?

Dehéz: Ja, gefährdet ist vor allem die Verabschiedung des New
Start, des neuen Abrüstungsvertrages. Das liegt vor allem daran, dass
eine Reihe sehr einflussreicher Senatoren deutlich gemacht haben,
dass sie keinesfalls einer bloßen Reduktion der eigenen
Atomraketenarsenale zustimmen werden, sondern diese verknüpft wissen
wollen mit einer Modernisierung dieser Waffensysteme. Die Erneuerung
einiger teilweise seit Jahrzehnten stationierten Raketen würde
natürlich eine Unmenge Geld kosten. Kritik gibt es auch daran, dass
der neue START-Vertrag Russland sogar noch weitere Aufrüstung
erlauben würde, weil die Obergrenzen so hoch angesetzt wurden, dass
Moskau mit seinen Arsenalen darunterliegt. Das missfällt natürlich
Republikanern, die nicht abrüsten wollen, während Russland
theoretisch weiter aufrüsten kann.

Wie kann die neue, konsensual zwischen Kongress und Weißem Haus
definierte Außenhandelspolitik aussehen?

Dehéz: Die entspricht im Wesentlichen dem überparteilichen
Kompromiss, der schon seit 20 Jahren existiert: Alle Präsidenten
betonten den Stellenwert des Freihandels für die USA, bezeichneten
ihn gar als Gegenstück zur Demokratie. Für Barack Obama heißt das
konkret, dass er sich in Südkorea und Kolumbien mit neuen
Freihandelszonen positionieren wird. Dafür ist republikanische
Unterstützung und eine Mehrheit in Senat und Repräsentantenhaus
sicher.

Kriegt er die auch, wenn er Strafzölle gegen chinesische Produkte
erheben will?

Dehéz: Das wird ein bisschen schwieriger. Ich denke aber ohnehin,
dass er so etwas höchstens als rhetorisches Zugeständnis gegenüber
den Hardlinern verkünden würde, nicht aber es ernsthaft durchsetzen
will. Das wäre auch fatal, denn China muss einen Überschuss
produzieren, um das amerikanische Defizit zu finanzieren. Die USA
haben also ein nationales strategisches Sicherheitsinteresse daran,
dass China einen Handelsüberschuss erwirtschaftet. Nur der erlaubt
ihnen die weitere Verschuldung. Es hat einen tieferen Sinn, dass
chinesische Ölfirmen einen Großteil der Förderrechte im Irak
ergattern konnten. Die USA haben ein Interesse daran, dass der
chinesische Aufschwung nicht wegen Ressourcenmangel endet.

Haben die Europäer Einfluss auf die US-Außenpolitik?

Dehéz: Kaum. Wir sahen es bei Guido Westerwelle, der vor den
Zwischenwahlen auf ein Ende der nuklearen Teilhabe Deutschlands
drängte, also den Abzug der hier stationierten Atomwaffen und
gleichzeitig eine weltweite atomare Abrüstung verlangte. Das war eine
verheerende Fehleinschätzung. Jetzt steht der Außenminister völlig
isoliert da. Barack Obama wird seine Außenpolitik daran ausrichten,
was er im Senat ratifizieren kann, nicht danach, was Europa wünscht.

Das Interview führte

Joachim Zießler

Originaltext: Landeszeitung Lüneburg
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/65442
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_65442.rss2

Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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