WAZ: Die Seltersbude und die Heimat. Kommentar von Rolf Potthoff
Geschrieben am 12-11-2010 |
Essen (ots) - Ganz Deutschland hat schon Feierabend und die Läden
geschlossen. Ganz Deutschland? Nein! Im Ruhrgebiet haben die von
unermüdlichen Menschen betriebenen Büdchen auch noch abends sowie an
Sonn- und Feiertagen geöffnet und sie verkaufen wie eh und je Bier,
Klümkes, aber mittlerweile auch tiefgefrorene Brötchen, die mal eben
schnell in der Mikrowelle hinten in der Ecke frisch aufgebacken
worden sind.
Müsste nicht so das noch zu schreibende große Epos der stillen,
verborgenen Helden des Revier beginnen? Das Loblied auf die
"Seltersbude" oder schlicht "Bude", die auf Hochdeutsch auch "Kiosk"
genannt wird? Das Gedenken an Knickerwasser, Drops und Lakritz? An
den über ein Jahrhundert alten Treffpunkt, der Stahlarbeiter und
Kumpel nach der Schicht hier vereinte, es sei denn, sie hockten
gerade in der Kneipe?
Jetzt, da seelenlose Supermärkte und 24-Stunden-Tankstellen immer
mehr Büdchen verdrängen, seien Nostalgie und Wehmut erlaubt. Wo die
Bude noch lebt, da ist Heimat; da ist Revier-Identität.
Übrigens ist Knickerwasser eine rote oder grüne Brause mit diesem
oder jenem Geschmack mit einer Glasmurmel darin. Nachgeborene wissen
ja gar nicht, was ihnen in ihrem modernen Leben alles entging.
Originaltext: Westdeutsche Allgemeine Zeitung
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