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LVZ: Zerklüftete Sprachwelt

Geschrieben am 31-07-2007

Leipzig (ots) - Von Armin Görtz
Wer den, die oder das Gams - alle drei Varianten sind seit jeher
erlaubt - in freier Wildbahn bestaunen will, muss hoch hinauf,
braucht stramme Waden und Glück. Die Sprachexperten aber, die in den
80er Jahren zur Tour über steile Berge aufbrachen, hatten sich ein
unerreichbares Ziel gesteckt. Sie wollten sich nicht damit begnügen,
aus Gemsen Gämsen zu machen und so der Logik einen Sieg zu
verschaffen. Sie hatten sich vorgenommen, das Regelwerk der
Rechtschreibung grundlegender zu vereinfachen. Jene Expedition, die
über Jahre für Aufregung sorgte, findet heute ihren Abschluss. Die
Germanisten sind mit zerschrammten Knien zurückgekehrt. Ihre Mission
ist weitgehend missglückt. Statt sich beim Aufstieg die Hände zu
reichen, stellten sich die Fachleute gegenseitig Beine. Ein gequälter
Versuch, die Rechtschreibung zu ändern, stieß auf breiten
Widerspruch. Der erzwang eine Reform-Reform, die nun verbindlich
gilt.
Ein paar Dinge sind plausibler geworden, zugleich hat das Hin und Her
Verwirrung gestiftet. Wirrwarr aber ist so alt wie die Sprache
selbst. Wohl niemand konnte vor den Neuerungen behaupten, die
Orthographie bis ins letzte begriffen zu haben. Nun wird Letzte groß
geschrieben, und neben der Orthographie gibt es die Orthografie -
doch die ist und bleibt schwer vermittelbar. Denn Sprache ist ein
schroffes und unübersichtliches Gelände. Einerseits wird es von
bröckelnden Spalten uralter Entwicklungen durchzogen, andererseits
von neuen Einflüssen aufgewühlt. Dass es in dieser Wildnis 1901
gelang, eine - wenn auch komplizierte - Einheitlichkeit bei der
Rechtschreibung zu schaffen, verdient Respekt. Ohne Standards wäre
Verständigung schwierig, auch wenn man gewiss nicht alles so starr
regeln müsste, wie seinerzeit geschehen. Immerhin vermochten es die
damaligen Reformpolitiker, den Trotz des Kaisers zu brechen. Der
Widerspruchsgeist der Untertanen hielt sich ohnehin in Grenzen.
Jene umfassende Leistung bleibt unwiederholbar. Das Thema ist zu
schwierig, als dass die Fachleute sich auf eine tief greifende
Überarbeitung des alten Regelwerks einigen könnten, die den Beifall
der Politik und des Bürgers fände. Zwar bleibt es notwendig, die
Orthografie weiterzuentwickeln. Doch fortan werden sich die Experten
- wie schon vor der Reform - wieder mit leisen Schritten begnügen.
Bei jener Korrekturtour könnte es erneut auf schroffe Berge gehen:
Bayerns Kultusminister Zehetmair behält als Chef des
Rechtschreibrates die Gämse im Blick. Sollte die Öffentlichkeit an
der momentan unzulässigen Gemse festhalten, plädiert der Mann für
deren Wiedereinführung. Der Gams, die Gams, das Gams sowie Gemsen und
Gämsen - in der zerklüfteten Welt der Sprache wäre Platz genug für
alle.

Originaltext: Leipziger Volkszeitung
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/6351
Pressemappe via RSS : feed://www.presseportal.de/rss/pm_6351.rss2

Pressekontakt:
Rückfragen bitte an:
Leipziger Volkszeitung
Redaktion

Telefon: 0341/218 11558


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