(Registrieren)

Landeszeitung Lüneburg: Katz-und-Maus-Spiel der Energiekonzerne Interview mit Dr. Hermann Scheer, Träger des Alternativen Nobelpreises

Geschrieben am 05-07-2007

Lüneburg (ots) - Der Energiegipfel sollte das Klimakonzept der
Zukunft skizzieren. Hat er das Ziel erreicht?
#Dr. Hermann Scheer:# Nein, er konnte es auch gar nicht erreichen.
Die Erwartungen an den Energiegipfel waren überdimensioniert. Zum
einen handelte es sich hier nicht um ein entscheidungsfähiges
Gremium. Zum anderen sind die Positionen und die dahinter stehenden
Interessen zu weit auseinander liegend. Es geht nicht um die
Erzielung eines Konsenses, sondern um Entscheidungen, um
Wegbahnungen. Und diesen steht ein extrem strukturkonservatives
Verhalten der heutigen Energiewirtschaft gegenüber. Es ist eine
Illusion anzunehmen, dass es in der Frage der künftigen
Energiestruktur zu einer Einigung kommen könnte.

Größere Energieeffizienz und dezentrale Blockheizkraftwerke
mindern die Profite der Stromkonzerne. Blockieren sie deshalb eine
Energiewende?
#Scheer:# Ja. Basis des Energiekonfliktes ist, dass die herkömmlichen
Energieversorger um die Aufrechterhaltung ihres Anbietermonopols
kämpfen. Und dieses Anbietermonopol ist nicht aufrechtzuerhalten bei
einer wirklichen Umorientierung auf erneuerbare Energien und eine
effiziente Kraft-Wärme-Kopplung. Beides erfordert dezentrale
Strukturen, also den Wechsel von wenigen GroÞanlagen und damit
wenigen Eigentümern zu vielen mittleren und kleinen Anlagen, die in
ihrer Summe die wenigen GroÞen ersetzen und logischerweise eine sehr
pluralistische Eigentümerstruktur haben werden. Das macht den
eigentlichen Energiekonflikt aus.
Davon wird immer nur abgelenkt mit Argumenten, die die
Wirtschaftlichkeit oder technische Machbarkeit von Alternativen
bestreiten. Diese Argumente sind größtenteils fadenscheinig oder
verraten doppelte Maßstäbe.

Muss die Marktmacht der Konzerne zerschlagen werden?
#Scheer:# Ich glaube, dass eine wirkliche marktwirtschaftliche
Orientierung auf der Basis herkömmlicher Energieversorgung gar nicht
möglich ist. Was aber nicht heiÞt, dass man nicht wenigstens etwas
versuchen sollte, um das Problem zu lindern. Die wirkliche
Problemüberwindung wird durch die neuen Energien kommen. Denn die
fossile und atomare Energieversorgung speist sich aus nur wenigen
Quellen auf der Welt. Und von diesen wenigen Orten mit groÞen
Vorkommen erfolgt dann das Knüpfen der Energiebereitstellungskette
bis in das kleinste Dorf, weil Energieverbrauch immer dezentral ist.
Das heißt: Der Konzentrationsprozess der Energiewirtschaft ist schon
von der Quelle her vorgegeben. Je länger man an diesen Energien
festhält und je mehr Quellen sich erschöpfen, desto stärker wird die
Konzentration. Die Versorgung der Welt erfolgt von immer weniger
Plätzen, die Bereitstellungskosten der Energie steigen und das bei
einem wachsenden Energiebedarf. Diesen Prozess können nur noch
transnationale Konzerne organisieren. Die Folge ist, dass komplette
Gesellschaften abhängig werden. Die transnationalen Konzerne können
mit Regierungen Katz und Maus spielen. Eine Situation, die den
demokratischen Verfassungsstaat elementar gefährdet. Die Abhängigkeit
von wenigen Förderländern und wenigen transnationalen Konzernen ist
schon jetzt alarmierend hoch. Längst werden für die Interessen dieser
Energiewirtschaft Kriege geführt. Ausführende sind dann Staaten. Es
hätte weder den Golf- noch den Irakkrieg gegeben, wenn auf der
Arabischen Halbinsel Bananen angeboten würden statt Erdöl.

Wo läge der Vorteil von erneuerbaren Energien?
#Scheer:# Bei erneuerbaren Energien haben wir es dementgegen mit
einem breiten natÏrlichen Energieangebot zu tun, dass es -- in
unterschiedlicher IntensitÌt -- überall auf der Welt gibt. Während
die herkömmlichen Energien zwangsläufig zu einer Entkoppelung der
Räume der Energieförderung von denen des -verbrauchs führen, haben
wir bei erneuerbaren Energien die einzigartige Chance, auf Dauer die
Räume der Energiegewinnung mit denen der Nutzung zu verkoppeln.
Dieser Strukturwandel ist der größte seit Beginn der
Industrialisierung.

Mit welchem Ergebnis?
#Scheer:# Am Ende wird es Gewinner und Verlierer geben. Letztere sind
die heutigen Energiekonzerne. Schon deshalb, weil es gar nicht
möglich ist, vom größten Einzelgeschäft der Welt -- dem
Primärenergiehandel -- in die Rolle des Verkäufers von Wind und
Sonnenstrahlen zu wechseln. Mit dem Wechsel von kommerziellen
Primärenergiequellen -- Öl, Gas, Kohle und Uran -- zu
nichtkommerziellen, wird die Primärenergiewirtschaft verschwinden.
Das Interesse eines Energiekonzerns kann daher nur sein, so lange
weiterzumachen wie es irgendwie geht und den zwingend notwendigen
Wechsel zu erneuerbaren Energien möglichst um Jahrzehnte
aufzuschieben. Aus ihrer Sicht ist eine solche Strategie
verständlich, für die Gesellschaft ist das unerträglich.

Die auf dem Energiegipfel präsentierten Modellrechnungen
suggerierten: Klimaschutz lässt sich leichter und billiger erreichen,
wenn Atomkraftwerke weiterlaufen dürfen. Verlangt das Klima ein
Comeback der Kernkraft?
#Scheer:# Nein. Diese Rechnungen sind ungenügend, weil sie die
tatsächlichen Kosten schlicht und einfach unterschlagen. Die Kosten
der Stromproduktion werden einbezogen, die Folgekosten nicht -- etwa
die sich zuspitzende Wasserproblematik. Die weltweit größten
Wasserverbraucher sind die Betreiber von Atomkraftanlagen. Nicht
berücksichtigt werden auch kostenlose Privilegien der
Atomkraftindustrie, etwa die faktische Befreiung von angemessener
Haftpflicht.
Solch eingeengte Kostenrechnungen müssen auch bei fossilen Energien
zurückgewiesen werden. Hier werden beispielsweise die immensen
Gesundheitsschäden durch fossile Energieversorgung unterschlagen. Die
Europäische Umweltagentur in Kopenhagen hat jetzt ermittelt, dass es
allein in der EU durch Gas-, Kohle- und Ölemissionen jährlich 350000
vorzeitige Todesfälle gibt. Dazu kommen zahllose Atemwegserkrankungen
und Allergien.
Die Kosten von Katastrophen durch den Klimawandel sind ebenfalls
ausgeblendet worden.
Berücksichtigt man all diese Aspekte, sind Atomenergie und fossile
Energien teurer als erneuerbare Energien.
Wir könnten mit einer Schadstoffsteuer die herkömmlichen Energien so
verteuern, dass deren soziale Kosten mitbezahlt werden. Die wären
dann aber so teuer, dass es sozial unverträglich wäre. Oder wir
privilegieren die erneuerbaren Energien, damit sie die alten ablösen.

Wurden diese Punkte beim Klimagipfel ignoriert, weil kein
Umweltschützer eingeladen war?
#Scheer:# Es ist schon problematisch, den Energiekonzernen eine
überproportional große Rolle einzuräumen. Die Konzerne haben keinen
Verfassungsrang. Auch wenn sie sich bisweilen wie ein Staat im Staate
aufführen und etwa der Bundeskanzlerin ein Ultimatum stellen.
Nirgends steht im Grundgesetz, dass alles, was mit Energie
zusammenhängt, nur von ihnen realisiert werden kann. Vieles der
künftigen Energieerzeugung geht den klassischen Energieversorger gar
nichts mehr an: Etwa das Solar-Haus, das seine benötigte
Sonnenenergie kostenlos empfängt. Und potentiell kann jedes Haus
komplett auf erneuerbare Energien umgestellt werden.

Nicht jeder Standort ist für jede erneuerbare Energie geeignet.
Braucht Europa ein entsprechendes Management?
#Scheer:# Nein, diese Überlegungen sind viel zu sehr eine Kopie der
heutigen Strukturen der Energiewirtschaft. Die ökonomische
Besonderheit erneuerbarer Energien ist, dass man sie dezentral ernten
kann. Kosten, die beim herkömmlichen Energiesystem unvermeidlich
sind, fallen weg -- für Brennstoff und Infrastruktur etwa.
Wie sehr ein verengter Blickwinkel in die Irre führen kann, zeigt die
Offshore-Debatte. Ûber Jahre hieß es, Windkraftanlagen sollten vor
den Küsten stationiert werden, weil dort mehr Wind wehe. Bei
wirtschaftlicher Betrachtung ist aber etwas ganz anderes
entscheidend: Der Kostenaufwand für die Technikbereitstellung im
Verhältnis zum Ertrag. Die deutlich höheren Installations- und
Wartungskosten auf offenem Meer müssen in Rechnung gestellt werden.
Deswegen ist klar: Windkraft an Land ist billiger, selbst wenn dort
weniger Windenergie einzufangen ist.
Die Idee, Sonnenenergie in Südeuropa zu ernten, Windenergie am
Atlantik oder Bioenergie in der Ukraine, ist falsch.
Abgesehen davon: Warum sollen wir eigentlich eine Energieabhängigkeit
durch eine andere ablösen, wenn wir die Chance haben, es selbst zu
machen?

Wird der Verbraucher den Umbau der Versorgungsstruktur ganz allein
bezahlen müssen?
#Scheer:# Jede Energie wird doch vom Verbraucher bezahlt. Sogar auf
zweifache Weise: Es gibt die direkte Energierechnung der Versorger
und die indirekte, die eröffnet werden muss zur Kompensation der
sozialen Schäden. Man kann hier nicht zwischen Bürgern und
Energieverbrauchern trennen. Man muss hier von einem umfassenderen
Bild des Bürgers ausgehen, von einem Bürger, der Werte hat,
Sicherheitsinteressen und das Bedürfnis nach einer intakten Umwelt.

O.k., nehmen wir den Bürger in den Blick: Die Angst vorm
Klimawandel ist allgemein, trotzdem häuft sich der Protest gegen die
Errichtung von Windkraftanlagen ...
#Scheer:# ...dann muss man mit den Menschen reden, ob ihre Kritik
verhältnismäßig ist. Atomenergie und fosssile Energien sind eine
Gefahr für die Menschheit. Erneuerbare Energien erlauben dementgegen
emissionsfreie Energiebereitstellung auf Dauer. Für jede verhinderte
Stromproduktion aus Windkraft werden weiterhin fossile oder
Atomkraftwerke angezapft. Das ist der Vergleichsmaßstab. Nicht die
vermeintlich unberührte Landschaft. Diese wird durch Braunkohleabbau,
Ölförderung, Uranabbau, Pipelines, Hochspannungsleitungen, sauren
Regen und Treibhaustemperaturen ohnehin weit stärker belastet als
durch Windkraftanlagen.

Das Interview führte Joachim ZieÞler

Originaltext: Landeszeitung Lüneburg
Digitale Pressemappe: http://presseportal.de/story.htx?firmaid=65442
Pressemappe via RSS : feed://presseportal.de/rss/pm_65442.rss2

Pressekontakt:
Rückfragen bitte an:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

80254

weitere Artikel:
  • Allg. Zeitung Mainz: Eine Bankrotterklärung (zu Fachkräftemangel) Mainz (ots) - Viele Jahre hat dieses Land auf wirtschaftliche Besserung gewartet, nun ist der Aufschwung da, die Konjunktur läuft unter Hochdruck, und es ist nicht zu befürchten, dass sie an Schwung verliert. Alles bestens also? Leider nein, denn nach kurzer Zeit gehen uns schon die Fachleute aus. Das passiert ausgerechnet einer Nation, deren wirtschaftlicher Erfolg allein darin begründet liegt, dass sie Produkte besser, stabiler und vor allem innovativer zu entwickeln und herzustellen vermag, als nahezu jede Konkurrenz auf diesem Erdball. mehr...

  • Lausitzer Rundschau: Diskussion über Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan Mehr Verantwortung zeigen Cottbus (ots) - Endlich wird diskutiert über Afghanistan. Wer die kritischen Debatten vor allem in der SPD-Fraktion für ein Zeichen der Schwäche hält, irrt. Schwach war, wie der Bundestag seit 2002 alljährlich eine Verlängerung des Mandates ohne große Bedenken durchgewunken hat. Schwach war, wie wenig Wissen und Engagement mit den Entscheidungen verbunden war, die Tausende von Bundeswehrsoldaten und zivile Helfer in das Land schickte. Und manche in den Tod. Aus der aktuellen Auseinandersetzung entsteht nun vielleicht endlich so etwas wie mehr...

  • Lausitzer Rundschau: Olympische Winterspiele 2014 finden in Sotschi statt Fragwürdige Entscheidung Cottbus (ots) - Die russische Schwarzmeer-Stadt Sotschi hat den Zuschlag für die Olympischen Winterspiele 2014 bekommen. Genauso gut hätte das Internationale Olympische Komitee (IOC) einem Zwölfjährigen eine Weltrekordprämie zusagen können - obwohl der junge Mann noch nicht einmal mit dem Training begonnen hat. Denn in Sotschi mag bisher zwar Wladimir Putins Ferienvilla stehen, sehr viel mehr aber nicht. Tatsächlich ist dort noch keine einzige Sportanlage fertiggestellt. Bisher existiert alles nur als Computer-Animation. Zwar gibt es mehr...

  • Der Tagesspiegel: Anwälte haben Bedenken gegen Offenlegungspflicht der Parlamentarier Berlin (ots) - Nach der Statistik des Deutschen Bundestags sind derzeit fast ein Viertel aller Abgeordneten Juristen. Zumindest die Zahl der Anwälte unter ihnen könnte sich in Zukunft verringern. Durch die Offenlegungspflicht ihrer Nebeneinkünfte sehen sich diese im Konflikt mit den Geheimhaltungspflichten gegenüber ihren Mandanten. Diese Geheimhaltung aber zählt zu den Hauptpflichten eines Anwalts. Kommt er ihr nicht nach, kann er sich strafbar machen. Der Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer, Bernhard Dombek, steht dem Gesetz daher mehr...

  • Lausitzer Rundschau: Marco in der Türkei vor Gericht Zügig und fair entscheiden Cottbus (ots) - Wenn heute der 17-jährige Marco im türkischen Antalya vor Gericht erscheinen muss, werden sich Reporter vor der Tür drängen. Dass sie nicht in den Saal dürfen, in dem es um den Vorwurf sexuellen Missbrauchs einer Minderjährigen geht, ist gut und richtig. Auch in Deutschland wird über Jugendliche nicht öffentlich zu Gericht gesessen. Und im Fall des deutschen Schülers hat die Debatte in Deutschland in den vergangenen Wochen ohnehin schon teilweise die Bodenhaftung verloren. Die Tatsache, dass gegen den Jugendlichen überhaupt mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht