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AKW-Debatte: Die Schlachten von vorgestern beenden

Geschrieben am 02-09-2010

Berlin (ots) - Neue Details zur Ausgestaltung der
Laufzeitverlängerung zeigen, dass die Bundesregierung nicht nur bei
der Umgehung des Bundesrats die Verfassung strapaziert - Statt um
Schutz der Bevölkerung soll es in Wahrheit um Schutz der
Atomkraftwerksbetreiber vor Nachrüstungen gehen - Deutsche
Umwelthilfe nennt Szenarienrechnungen unseriös, weil sie den
heraufziehenden Systemkonflikt zwischen Erneuerbaren Energien und
allenfalls bedingt steuerbaren Atomkraftwerken ignorieren -
Erneuerbare Energien werden gegenüber früheren Prognosen der
Regierung ausgebremst

Die Deutsche Umwelthilfe hat die Spitzen von Union und FDP
aufgefordert, in der Energiepolitik nicht länger als
Lordsiegelbewahrer der marktbeherrschenden Atomkonzerne aufzutreten.
Die monatelang angekündigten Energieszenarien hätten vor allem
bewiesen, dass Laufzeitverlängerungen von Atomkraftwerken nicht die
ökonomischen und schon gar nicht die ökologischen Vorteile erbringen,
die die Regierung seit ihrem Amtsantritt immer wieder versprochen
habe. Dies sei umso eindrücklicher als mit jedem Tag neue fragwürdige
Details der Untersuchungsvorgaben ans Licht kämen, die einen
gemeinsamen Nenner haben: Alle sollten offenbar das Potenzial der
erneuerbaren Energien herunter- und die vermeintlichen Vorteile der
Atomkraft heraufrechnen. Für die Durchsetzung opulenter
Laufzeitverlängerungen und die Zementierung der Marktdominanz der
Atomkonzerne schrecke die Regierung "offenbar auch nicht vor einem
klaren Bruch der Verfassung zurück", erklärten der Leiter Politik und
Presse der Deutschen Umwelthilfe, Gerd Rosenkranz und die Leiterin
Klimaschutz und Energiewende, Cornelia Ziehm mit Blick auf neue
Details zur von der Bundesregierung vorbereiteten Novellierung des
Atomgesetzes.

Rosenkranz nannte es einen Skandal, dass weder die Gutachter noch
die Regierung bei ihren Schlüssen aus den Szenarienrechnungen, den
Systemkonflikt zwischen fluktuierend ins Stromnetz einspeisenden
erneuerbaren Energien aus Sonne und Wind und trägen oder nur begrenzt
steuerbaren Großkraftwerken thematisieren. Der Systemkonflikt wird
inzwischen in einer Reihe wissenschaftlicher Gutachten - unter
anderem des Sachverständigenrats für Umweltfragen (SRU) der
Bundesregierung - als zentral für den Übergang in das regenerative
Zeitalter erkannt. "Entweder wissen die Bundesregierung und ihre
Gutachter davon nichts, dann bewegen sie sich irgendwo zwischen
Ignoranz und partiellem Autismus oder sie umschiffen die Diskussion
bewusst, um zu verhindern, dass die Debatte über den Vorrang der
erneuerbaren Energien zu früh aufbricht", sagte Rosenkranz. Wer heute
die Laufzeiten der Atomkraftwerke verlängere, müsse morgen die
vorrangige Einspeisung von Ökostrom bekämpfen, weil sonst das
Stromsystem nicht mehr funktioniert. Rosenkranz: "Man kann nicht,
wenn vormittags der Wind kräftig weht und mittags die Sonne scheint,
Atomkraftwerke abschalten und sie, wenn gegen Abend der Wind abflaut
und die Sonne untergeht wieder hochfahren". Atomkraftwerke brauchen
ca. 50 Stunden, um nach einer Abschaltung wieder angefahren zu
werden. Sie seien deshalb nicht nur gefährlich, sondern im Übergang
in das regenerative Zeitalter auch eine Bedrohung der
Versorgungssicherheit. Deshalb müssten für eine Übergangszeit
flexibel steuerbare Kraftwerke die trägen Großmeiler auf Basis von
Uran und Kohle ersetzen. Statt die Schlachten von gestern immer und
immer wieder neu auszufechten, gehe es jetzt darum, die Stromnetze
umzubauen, den Stromverbrauch effizienter zu gestalten und eine neue
Generation von Stromspeichern zu entwickeln.

Rosenkranz warf der Bundesregierung vor, einen bevorstehenden
Einbruch des Ausbaus der erneuerbaren Energien bewusst
einzukalkulieren. Ein Blick in die Szenarien zeige, dass der Ausbau
schon vor dem Jahr 2020 gebremst und danach massiv heruntergefahren
werden solle. Die Ausbauziele sämtlicher Szenarien für Sonne und Wind
lägen deutlich unter dem, was die Bundesregierung vor nicht einmal
einem Monat in ihrem Aktionsplan für erneuerbare Energien an die
EU-Kommission nach Brüssel gemeldet habe. "Der angebliche Eintritt
der Bundesregierung in das regenerative Zeitalter beginnt mit einer
Vollbremsung", sagte Rosenkranz.

Das gesamte Energiekonzept werde, wie schon lange gemutmaßt, um
die Laufzeitverlängerung herumgestrickt. Dazu passe auch die geplante
Ausgestaltung des Atomgesetzes, die nach Informationen der DUH in
bemerkenswerter Weise mit dem Grundgesetz kollidiert. Ziehm: "Die
Verfassung und die höchstrichterliche Rechtsprechung scheinen für die
Bundesregierung nicht mehr zu gelten."

- Die Regierung will die AtG-Novelle in zwei Stufen
novellieren. In einem ersten Schritt soll lediglich die
Tabelle, in der die von jedem Reaktor noch zu
produzierenden Strommengen festgelegt sind, entsprechend
angepasst werden. In einem zweiten Schritt soll dann mit
einem neuen Paragrafen unter anderem festgelegt werden,
welche Nachrüsterfordernisse für die Laufzeitverlängerung
anzusetzen sind. Es ist jedoch verfassungsrechtlich
zulässig, isoliert eine Laufzeitverlängerung zu
beschließen, ohne gleichzeitig die dann fälligen
Anforderungen an die Sicherheitstechnik und den Schutz vor
Terrorangriffen gesetzgeberisch zu definieren. Die
beabsichtigte willkürliche Aufspaltung bedeutet eine
verfassungswidrige Umgehung des Bundesrates.

- Mit der Prüfung des Risikos terroristischer Anschläge, der
Prüfung und Genehmigung der Änderung baulicher Nachrüstungen
und der anschließenden Überprüfung der Umsetzung der
Nachrüsterfordernisse wird der den Ländern im Wege der
Bundesauftragsverwaltung übertragenen Aufgabe als
unmittelbare und mithin untrennbare Folge einer
Laufzeitverlängerung ein neuer Inhalt und eine wesentlich
andere Bedeutung und Tragweite verliehen. Damit bedarf die
beabsichtigte Laufzeitverlängerung vom ersten Tag an der
Zustimmung des Bundesrates. Der Begriff "moderat" ist keine
verfassungsrechtliche Kategorie. Die abstrakte Diskussion um
Jahreszahlen führt in die Irre. Eine Laufzeitverlängerung
ist vom ersten Tag an zustimmungspflichtig.

- Die von Röttgen verfolgte Verpflichtung zur Nachrüstung
alter Atomkraftwerke zum Schutz gegen Terrorangriffe, soll
nach Informationen der Deutschen Umwelthilfe so ausgestaltet
werden, dass sie die Schutzrechte der Bevölkerung aushebelt,
statt sie zu befördern. Zum einen soll danach die Pflicht
zur Nachrüstung erst 10 Jahre nach Inkrafttreten des
Gesetzes erfüllt werden müssen. Bis dahin dürften auch die
ältesten Atomkraftwerke ohne größere Nachrüstungen
weiterlaufen. Zum anderen soll der Schutz ausdrücklich
als "über die erforderliche Vorsorge hinaus" gehende
Maßnahme zur "weiteren Vorsorge gegen Risiken für die
Allgemeinheit" ausgestaltet werden. Damit würde sich die
Bundesregierung über ein Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts hinwegsetzen, das Terrorangriffe
aus der Luft wegen der Erfahrung des 11. September 2001
gerade nicht mehr dem unentrinnbaren Restrisiko zugeordnet
hat, sondern dem Gefahrenbereich, gegen den eine - von
betroffenen Anwohnern von Atomkraftwerken einklagbare -
Schutzpflicht des Staates besteht. Sollte es zu einer
solchen Regelung kommen, wäre sie verfassungswidrig.

- Schließlich setzt sich die Bundesregierung noch in einem
weiteren Punkt über die Schutzrechte der Anwohner von
Kernkraftwerken hinweg. Das Oberwaltungsgericht Lüneburg hat
erst kürzlich in dem Verfahren zum Brennelemente-
Zwischenlager Unterweser gefordert, dass bei der Ermittlung
der erforderlichen Schutzmaßnahmen die größten in Betrieb
befindlichen Passagierflugzeuge zugrunde gelegt werden
müssen. Das Gericht verlangte dementsprechend die Berechnung
der Auswirkungen eines gezielt herbeigeführten Absturzes
einer Passagiergroßraummaschine vom Typ Airbus A 380. Eine
Nachrüstung auf den Stand der ebenfalls schon über zwanzig
Jahre alten so genannten Konvoi-Anlagen, also zum Schutz
gegen kleinere Passagiermaschinen etwa vom Typ A 320 reicht
mithin nicht aus.

"Offenbar will die Regierung die vom Bundesverwaltungsgericht den
Bürgerinnen und Bürgern zugesprochenen Schutzrechte nun auf
gesetzlichem Wege wieder aushebeln", sagt Ziehm. Das Vorgehen sei
"perfide, weil es im Ergebnis bedeutet, dass der Staat seine
Schutzpflichten gegenüber seinen Bürgern in eine Schutzpflicht
zugunsten der Anlagenbetreiber umkehrt. Die Sicherheit der
Bevölkerung wird verkauft".

Unter
http://www.duh.de/pressemitteilung.html?&tx_ttnews[tt_news]=2375
finden Sie das Hintergrundpapier zum Download.

Originaltext: Deutsche Umwelthilfe e.V.
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/22521
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_22521.rss2

Pressekontakt:
Dr. Cornelia Ziehm, Leiterin Klimaschutz und Energiewende, Hackescher
Markt 4, 10178 Berlin; Mobil: 0160 94182496;
Tel.: 030 2400867-0, E-Mail: ziehm@duh.de

Dr. Gerd Rosenkranz, Leiter Politik und Presse, Hackescher Markt 4,
10178 Berlin; Mobil: 0171 5660577, Tel.: 030 2400867-21,
E-Mail: rosenkranz@duh.de


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