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Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Thema Volksentscheide

Geschrieben am 23-07-2010

Bielefeld (ots) - Nach den erfolgreichen Volksentscheiden in
Bayern (Einführung eines generellen Rauchverbots) und Hamburg
(Ablehnung einer sechsjährigen Primarschule) hat die direkte
Demokratie mal wieder Hochkonjunktur. Der Wunsch der Bürger nach mehr
unmittelbarer Teilhabe ist vor allem ein Zeichen für den Verdruss
über die Politik im Allgemeinen und die Parteien im Besonderen.
Dieser Ärger hat seine Berechtigung, wo das politische Personal
versagt. Das passiert oft, aber nicht so oft wie vermutet. Wer nun
jedoch Volksbegehren und Volksentscheide als Allheilmittel gegen
Politik- und Politikerverdrossenheit propagiert, der irrt. Die
direkte Demokratie ist der repräsentativen Demokratie nicht per se
überlegen. Bürgerentscheidungen sind weder zwangsläufig besser
legitimiert, noch müssen sie sachgerechter sein. Ob stetig sinkender
Wahlbeteiligung rechnet mancher gern vor, dass Parlamentsmehrheiten
gemessen an den Wahlberechtigten oft nur starke Minderheiten sind.
Das muss bei Volksentscheiden nicht anders sein. In Hamburg stimmten
491 600 der 1,2 Millionen Wahlberechtigten ab. Das entspricht einer
Wahlbeteiligung von 39 Prozent. Die Initiative »Wir wollen lernen«
bekam 276 304 Stimmen - mit 58 Prozent eine klare Mehrheit, aber
zugleich auch nur eine Zustimmung von 23 Prozent der
Wahlberechtigten. Hinzu kommt, dass Volksentscheide in erster Linie
eine Frage der Organisation sind. Nur wer für sein Vorhaben
mobilisieren kann, hat Erfolgsaussichten. Mobilisierung wiederum
erfordert Kreativität, Ausdauer und Geld. Wer über all das verfügt,
wird die direkte Demokratie effektiv nutzen können. Am Ende setzen
sich hochmotivierte Gruppen kraftvoll für ihr Partikularinteresse
ein, ohne dem gesamtgesellschaftlichen Kontext Rechnung tragen zu
müssen, geschweige denn zu wollen. Tendenziell scheinen dafür
destruktive Vorhaben, die wie in Hamburg politische Beschlüsse
zurückdrehen, besonders geeignet. Es ist immer leicht, gegen etwas zu
sein. Erst recht, wenn man es damit »den Politikern da oben« mal so
richtig zeigen kann. Zum Entscheid aufgerufen werden dürften in
erster Linie Fragen, die sich auf ein Ja oder Nein reduzieren lassen.
Dabei sind die meisten politischen Prozesse zu komplex für einfache
Antworten. Daraus resultieren ja viele der Probleme, die die Parteien
haben. Zweifelsohne fehlt es ihnen an Bürgerbeteiligung.
Ortsvorsitzende und Kreisgeschäftsführer können aber auch ein Lied
davon singen, wie schwer es ist, Menschen zur Mitarbeit zu bewegen.
Wahr ist, dass die Parteien die politische Meinungs- und
Willensbildung nicht nur mitbestimmen, wie es das Grundgesetz
vorsieht, sondern dominieren. Doch wahr ist auch, dass eine
Gesellschaft, die sich zu oft als Zuschauerdemokratie versteht,
dieser Entwicklung Vorschub geleistet hat. Das zu ändern, sind alle
aufgerufen, die an einem lebendigen Gemeinwesen interessiert sind.
Die Mühe ist es allemal wert - mit Volksentscheiden, aber auch ohne.

Originaltext: Westfalen-Blatt
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/66306
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_66306.rss2

Pressekontakt:
Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261


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