(Registrieren)

FZ: Köhlers Rücktritt ist keine Katastrophe Kommentar der Fuldaer Zeitung

Geschrieben am 31-05-2010

Fulda (ots) - Horst Köhler galt bislang in der Öffentlichkeit als
vorbildlich besonnener und bescheidener Mann; einer, der nicht gleich
ausflippt, wenn ihm die sprichwörtliche Laus über die Leber läuft;
einer, der Pflichtbewusstsein über persönliche Befindlichkeiten
stellt. Kurzum: ein Präsident, zu dem man über Parteigrenzen hinweg
respektvoll aufschaute. Umso mehr überrascht seine
Kurzschlussreaktion, alles hinzuwerfen und vom höchsten Staatsamte
zurückzutreten. Das Volk steht - auch angesichts der offensichtlichen
Politikmüdigkeit seiner Elite - unter Schock, gelähmt von inflationär
auftretenden Rücktritten und verwirrenden Begründungen. Galt schon
der Rückzug von Bischöfin Käßmann wegen ihrer Trunkenheitsfahrt
vielen als Überreaktion, so sind die Zweifel bei Horst Köhler
ungleich größer: Tritt der erste Mann im Staat wirklich wegen einer
Lappalie zurück? Zumal nicht einmal der ärgste politische Feind die
Forderung nach Amtsaufgabe erhoben hatte. Was also ist passiert in
den zehn Tagen, seit Köhler auf dem Rückweg von einer Asien-Reise mit
ausgeprägt wirtschaftlichem Schwerpunkt Station bei den deutschen
Soldaten in Afghanistan machte und einem Reporter eine sehr
realistische Einschätzung der Sicherheitspolitik des 21. Jahrhunderts
ins Mikrofon diktierte? Nämlich dass "im Notfall" auch militärischer
Einsatz notwendig sein kann, um unsere wirtschaftlichen Interessen zu
wahren. Nichts anderes steht auch im Bundeswehr-Weißbuch, in dem die
große Koalition 2006 die Aufgaben der Streitkräfte definierte. Und
nichts anderes geschieht zum Beispiel am Horn von Afrika, wo die
Bundesmarine mithilft, die Handelswege auf See vor Piraten zu
schützen. Nein, wer aus Köhlers Äußerungen herausliest, der Präsident
sehe im Afghanistan-Einsatz auch einen Krieg zur Sicherstellung
unserer wirtschaftlichen Interessen und er halte nicht vom
Grundgesetz gedeckte Militäreinsätze für konform, der sollte lieber
an die Existenz von Ufos glauben, denn das ist realistischer. Und so
bleibt erst recht die Frage nach dem Warum. War der Präsident doch
viel dünnhäutiger und sensibler als gedacht? Hat ihn die Kritik der
Presse, die in ihm zuletzt den "Schwadroneur im Schloss Bellevue"
("Süddeutsche Zeitung") sah und einen "dramatischen Autoritätsverlust
des Staatsoberhaupts" ("Spiegel") attestierte, wirklich so
mitgenommen? Oder steckt mehr dahinter, vielleicht die mangelnde
Unterstützung der Kanzlerin in den letzten Wochen? Das Volk wird es
wohl nie erfahren - und folgt fassungslos dem Science-Fiction-haften
Schauspiel im Schloss Bellevue, in dem der Protagonist mit Tränen in
den Augen seinen Abschied verkündet. Doch Tränen sind nicht
angebracht: Sollte tatsächlich die Kritik aus der linken Ecke, wie er
vorgibt, Köhler k. o. geschlagen haben, so wäre dies ein
Armutszeugnis, eine für einen Politiker beispiellose
Bankrotterklärung. Und dann hätten nicht die Kritiker das Amt des
Bundespräsidenten beschädigt, sondern er selbst. Der Politikbetrieb
mag manchmal zwar ein Kindergarten sein, ist aber nie eine
Krabbelgruppe, in der man lernt, liebevoll miteinander umzugehen.
Hier wird mit harten Bandagen um Positionen gekämpft. Schloss
Bellevue ist da kein Hort der Glückseligkeit. Der Präsident ist zwar
qua Verfassung ein zahnloser Tiger, doch seine Waffe ist sein Wort,
mit dem er Teil der politischen Debatte ist. Ergo muss er sich auch
Kritik stellen - und damit leben. Als auf fünf Jahre gewählter
oberster Repräsentant des Staates hat er schließlich eine
Verantwortung, aus der er sich nicht wegen ein paar verbaler
Tiefschläge stehlen kann. Wenn auch die Ratlosigkeit über seinen
Schritt groß ist, so gab es bei Köhler in den vergangenen Monaten
zumindest Anzeichen für eine Veränderung. Nach seinem Amtsantritt im
Juli 2004 eroberte er binnen kürzester Zeit die Herzen der Menschen.
Weil er gegenüber den Regierenden in Berlin unbequem war, den von der
Verfassung vorgeschriebenen Auftrag der Überparteilichkeit ernst nahm
wie kaum einer vor ihm, wurde er zu einem Präsidenten des Volkes.
Doch vieles, was Köhler in den vergangenen fünf Jahren anmahnte, ist
verhallt. Seine Aufforderungen an die Regierenden, richtige Reformen
statt kleine Korrekturen in Angriff zu nehmen, blieben ohne Resonanz.
Vielleicht führte das zu innerer Resignation. Jedenfalls blieb er in
den vergangenen Monaten blass. So gesehen ist der Abtritt auch keine
Katastrophe für das Land. Ohne Zweifel: Als Repräsentant unseres
Systems, als Bindeglied zwischen Regierung und Volk oder einfach nur
als beharrlicher Mahner für Reformen hat der Bundespräsident wichtige
Funktionen. Doch die, die jetzt eine Staatskrise herbeireden,
überschätzen das Amt. Eine Katastrophe wäre es, wenn Köhlers Beispiel
Schule machen würde: Sich davonzuschleichen, Problemen aus dem Weg zu
gehen und unbequeme Aufgaben anderen zu überlassen, das ist etwas,
was Deutschland derzeit gar nicht braucht.

Originaltext: Fuldaer Zeitung
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/79740
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_79740.rss2

Pressekontakt:
Fuldaer Zeitung
Bernd Loskant
Telefon: 0661 280-445
Bernd.Loskant@fuldaerzeitung.de


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

271459

weitere Artikel:
  • Rheinische Post: Familienministerin will Elterngeld kürzen Düsseldorf (ots) - Als Beitrag zu den Konsolidierungsbemühungen im Bundeshaushalt schlägt Familienministerin Kristina Köhler (CDU) eine pauschale Kürzung des Elterngelds um 70 Euro pro Monat vor. Diesen Vorschlag habe das Ministerium am Montag Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) überbracht, berichtet die in Düsseldorf erscheinende "Rheinische Post" (Dienstagsausgabe) unter Berufung auf Regierungskreise. Das würde Einsparungen von jährlich rund 200 Millionen Euro bringen, hieß es. Der Mindestsatz würde demnach auf 230 Euro, mehr...

  • Rheinische Post: SPD-Seeheimer schlagen Steinbrück als Bundespräsident vor Düsseldorf (ots) - Der Sprecher des pragmatischen Seeheimer Kreises in der SPD, der SPD- Bundestagsabgeordnete Garrelt Duin, hat den ehemaligen Bundesfinanzminister und früheren NRW-Ministerpräsidenten Peer Steinbrück (SPD) als Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten vorgeschlagen. "Peer Steinbrück hat Format. Er ist international erfahren, hat den Mut, Impulse zu geben, und wird parteiübergreifend anerkannt", sagte Duin der in Düsseldorf erscheinenden "Rheinischen Post" (Dienstagausgabe). Deutschland brauche jetzt einen mehr...

  • LVZ: CDU-Führung wirbt bei Köhler-Nachfolge für Ursula von der Leyen Leipzig (ots) - In der CDU gibt es, nach einem Bericht der "Leipziger Volkszeitung" (Dienstag-Ausgabe), starke Kräfte in der Parteiführung, die für eine Kandidatur von Ursula von der Leyen für das Amt des Bundespräsidenten werben. Mit Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU), einer mit der Kanzlerin und CDU-Vorsitzenden Angela Merkel ausgesprochen vertrauten Politikerin, stünde eine der beliebtesten deutschen Politikerinnen vor einem weiteren Karrieresprung. Die siebenfache Mutter aus Hannover, Tochter von Niedersachsens mehr...

  • Neue Westfälische (Bielefeld): Millionen-Hilfe für Arminia Bielefeld Glücksspiel-Unternehmer Gauselmann steigt ein - Zweitligist vor Rettung in letzter Sekunde Bielefeld (ots) - Der finanziell angeschlagene Fußball-Zweitligist Arminia Bielefeld steht unmittelbar vor seiner Rettung. Nach Informationen der in Bielefeld erscheinenden Neuen Westfälischen" (Dienstagausgabe) will sich der Lübbecker Unternehmer Paul Gauselmann mit einem siebenstelligen Betrag bei dem Fußball-Zweitligisten engagieren. Der Chef des Lifestyle-Konzerns Gerry Weber sagte der Zeitung, er sei "sehr erfreut, dass mir heute telefonisch seitens der Gauselmann AG die Zusage gegeben worden ist, dass man mit einem siebenstelligen mehr...

  • Saarbrücker Zeitung: FDP-Pläne für Hartz-IV-Empfänger kosten bis zu 1,4 Milliarden Euro Saarbrücken (ots) - Die Pläne der FDP zur Ausweitung der Hinzuverdienstmöglichkeiten für Hartz-IV-Empfänger würden nach einem Bericht der "Saarbrücker Zeitung" (Dienstag-Ausgabe) zusätzliche Kosten von bis zu 1,4 Milliarden Euro verursachen. Das Blatt beruft sich dabei auf die Stellungnahme des Bundesarbeitsministeriums zu einer Anfrage der Linksfraktion im Bundestag. Auf ihrem jüngsten Bundesparteitag in Köln hatten die Liberalen zwei Modelle beschlossen, die den Anreiz zur Aufnahme einer Existenz sichernden Beschäftigung mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht