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Landeszeitung Lüneburg: ,,Schleichende Öko-Katastrophe naht" -- Interview mit dem GKSS-Biologen Carlo von Bernem zur Ölpest im Golf von Mexiko

Geschrieben am 20-05-2010

Lüneburg (ots) - Der verzweifelte Kampf gegen die Ölpest im Golf
von Mexiko droht zu scheitern. Der Ölteppich wird durch eine
Meeresströmung Richtung Kuba und Florida geschwemmt. An den Küsten
wird eine Katastrophe erwartet. Nach dem Sinken der "Deepwater
Horizon" strömen täglich Tausende Liter Öl ungehindert ins Meer.
Carlo van Bernem, Biologe am GKSS-Forschungszentrum in Geesthacht,
erwartet, dass künftig stärker auf die Einhaltung der
Sicherheitsauflagen geachtet wird. Gerade jetzt rüsten die Ölmultis
zu Tiefseebohrungen in der bald eisfreien arktischen See.

Nachdem viele Optionen platzten, gelang es BP jetzt, ein
Absaugrohr nahe der Ölquelle im Golf zu installieren. Kann eine
ökologische Katastrophe ganz neuer Dimension noch verhindert werden?

Carlo van Bernem: Das Ausmaß der ökologischen Katastrophe hängt
ganz stark vom Grad der Verschmutzung mit Öl ab. Je weniger Öl ins
Wasser und an die Küste gelangt, desto geringer die Schädigung der
Lebensgemeinschaften.

Die zuletzt genannten Zahlen waren erschreckend: Bis zu 600000
Liter Öl sollen täglich ins Meer fließen. Kann diese Menge noch
abgefangen werden?

Van Bernem: Man hofft, dass man in den kommenden Tagen die Quelle
mit unterschiedlichen technischen Mitteln verstopfen kann. Gelänge
das, wäre viel erreicht. Gleichwohl stellt das Öl, das bereits im
Wasser treibt, eine erhebliche Gefahr dar. Je nach Windrichtung sind
das Mississippi-Delta und die umgebenden Buchten und Inseln
gefährdet.

Welche Ökosysteme sind dort besonders bedroht?

Van Bernem: Das sind allesamt höchst empfindliche Sys"teme: Zum
ersten die vorgelagerten Korallenriffe, die durch frei im Wasser
treibendes Öl stark geschädigt werden. Dann die Mangroven selbst.
Denn ihre Luftwurzeln werden durch Öl benetzt und verstopft. Im
Ergebnis können die Mangrovenwälder flächendeckend absterben. Zudem
kann das Öl auch in Wohnhöhlen von Organismen eindringen, die im
Sediment der Mangrovenwälder leben. Dort wird es kaum abgebaut, weil
im Schlick unter Luftabschluss anaerobe Verhältnisse vorherrschen.
Die Mangroven selbst sind Brutstätten für kleine Krebse und Fische.
Neben den ökologischen Schäden wird vor allem die Fischerei auch
einen wirtschaftlichen Einbruch erleiden.

Es gab ja schon Präzedenzfälle: Wie lange brauchen Mangrovenwälder
zur Regeneration?

Van Bernem: Eine der am besten untersuchten Ölunfälle geschah 1986
vor Panama. Damals lief Rohöl aus dem Vorratstank einer Raffinerie
aus und verschmutzte die benachbarten Mangroven. Folgeschäden waren
noch 20 Jahre später feststellbar. Das waren aber insgesamt nur 10000
Tonnen -- also deutlich geringere Mengen im Vergleich zum aktuellen
Fall.

Ölsperren aus Menschenhaar sollten das Desaster fernhalten. Jetzt
zeigt sich: Die größte Menge des Öls bewegt sich unter der
Wasseroberfläche. Drohen Todeszonen in der Tiefe?

Van Bernem: In der Tiefe wohl eher nicht. Zunächst mal kann sich
das Öl wohl nur deswegen in der Wassersäule bewegen, weil es sich
beim Austritt aus dem Bohrloch mit Sediment verbunden hat.
Anderenfalls würde das sehr viel leichtere Öl grundsätzlich auf der
Wasseroberfläche treiben. Treibt das Öl in der lichtdurchfluteten
Zone des Wassers, werden vor allem die Korallenriffe bedroht -- denn
in diesem Bereich befinden sich die lebenden Korallen.

Korallenriffe gelten als Kinderstube vieler Arten. Welche
Lebewesen sind am stärksten betroffen?

Van Bernem: Das beginnt bei Mikroalgen, die in Symbiose mit
Korallen leben, über Weichtiere bis hin zu standorttreuen Fischen. Es
kommt zwar nicht zu einem Artensterben, aber die lokalen Bestände
können vernichtet werden. Diese können sich erholen, wenn benachbarte
Regenerationszonen erhalten bleiben, von denen Individuen den vom
Unfall betroffenen Bereich später wieder besiedeln können. Insgesamt
sind die Schäden an den Korallenriffen zwar als gravierend anzusehen,
insgesamt aber nicht so katastrophal wie die in den Mangroven.

In wenigen Wochen beginnt die Hurrikan-Saison. Droht eine
nachhaltige Vergiftung auch der Böden im Hinterland oder eine
Verteilung des Öls im Ozean?

Van Bernem: Wenn südliche Winde vorherrschen, wird das Öl in die
Mangroven getrieben, was diese absterben lässt. Damit büßen die
Mangroven ihre Küs"tenschutz-Funktion ein. Das Land hat der Erosion
kaum noch etwas entgegenzusetzen. In der Folge wird das Öl noch
weiter ins Landesinnere gelangen. Im anderen Fall zerschlagen
hochenergetische Ereignisse wie Hurrikane den Ölteppich. In kleineren
Einheiten damit kann das Öl leichter von Mikroorganismen abgebaut
werden, weil die Angriffsfläche größer ist.

Also droht keine schleichende, Jahrzehnte dauernde Katastrophe
aufgrund der Menge des schon im Meer befindlichen Öls?

Van Bernem: Doch, die droht schon. Nämlich, wenn das Öl den
Bereich der Mangroven erreicht, der den Gezeiten ausgesetzt ist. Denn
dort kann das Öl in den Boden eindringen, etwa in die Wohnhöhlen von
Schlickbewohnern. Da überdauert das Öl in fast frischem Zustand, wird
nicht abgebaut, und sorgt so für eine chronische Ölverschmutzung in
dem lokal betroffenen Bereich.

Vermutlich sind verseuchte Mangrovenwälder auch kaum mechanisch zu
reinigen...

Van Bernem: In der Tat, das weiß jeder, der mal in den
Mangrovenwäldern war. Diese sind extrem unzugänglich. Großes Gerät
hat da keinen Raum, selbst mit kleinem Gerät würde es schwierig. In
den Bayous, den Kanälen des Deltas, wird man noch einiges tun können,
aber in der Mangrove selbst so gut wie nichts.

Trotz "Deepwater Horizon" träumen Ölkonzerne von der Förderung im
bald eisfreien arktischen Meer. Wie würden die arktischen Ökosysteme
auf einen Ölunfall reagieren?

Van Bernem: In der Arktis dauert der Ölabbau durch
Mikroorganismen, wie er im Golf von Mexiko stattfindet, wesentlich
länger. Im Golf finden sich zum einen angepasste Mikroben in hoher
Zahl, weil es dort schon seit Jahrzehnten leichtere bis starke
Verschmutzungen durch Öl gibt. Diese an das Öl gewöhnte mikrobielle
Gesellschaft fehlt in der Arktis, wo die Kälte den Abbau zusätzlich
verlangsamt. Die Ökosysteme im arktischen Meer mögen im Einzelnen
nicht ganz so empfindlich sein wie Korallenriffe und Mangroven, aber
der Abbau des Öls würde extrem langsam verlaufen.

Welche Folgen hätte ein vergleichbarer Unfall in der Nordsee?

Van Bernem: Für die deutsche Nordseeküste hat die GKSS ein
spezielles Empfindlichkeitsraster entwickelt, das der Vorsorgeplanung
dient. Das Wattenmeer ist ähnlich verletzlich wie die Mangroven. Auch
hier gibt es Schlick, in dessen Hohlräume Öl einsickern könnte -- das
wirkt wie ein Schwamm. Bei Muschelbänken hätte dies verheerende
Folgen. Das Öl könnte metertief eindringen und auf Jahre hinaus den
Bereich verschmutzen. Brutvögel schwimmen im Wattenmeer zu bestimmten
Zeiten zu Tausenden auf dem Wasser. Ein Ölteppich würde eine ganze
Generation auslöschen.

Ist das von Ihnen entwickelte Raster angesichts der Dimensionen
möglicher Schäden nicht Augenwischerei?

Van Bernem: Nein, das ist aus zwei Gründen keine Augenwischerei:
Zum ersten ist es extrem schwierig, in Flachwassergebieten mit
hochtechnisiertem Gerät zur Ölbekämpfung zu arbeiten. Da man also
niemals die gesamten Mangrovenwälder oder die gesamte Wattenmeerküste
schützen kann, muss man sich etwas einfallen lassen, um zumindest
einzelne lokale Bereiche zu schützen. Diese können dann im Falle
einer Katastrophe als Regenerationszonen dienen, um die
Wiederbesiedelung der betroffenen Gebiete zu beschleunigen. Zweitens
ist ein entsprechendes Raster wichtig für Schadenersatzleistungen.
Nur, wenn man weiß, was vor Ort war, kann das für die Havarie
verantwortliche Unternehmen in entsprechendem Umfang zur Kasse
gebeten werden.

Sind Großtechnologieprojekte im noch so weitgehend unverstandenen
Ozean nicht grundsätzlich zu riskant?

Van Bernem: Zumindest birgt jede derartige Technik ein erhebliches
Risiko in sich, wie "Deepwater Horizon" zeigte, eine der modernsten
Offshore-Anlagen der Welt. Das Positive an einem solchen Unfall wie
dem im Golf von Mexiko ist, dass die Sicherheitsauflagen garantiert
verstärkt werden. Denn im Golf wurden einige Sicherheitsauflagen
nicht eingehalten oder nur ungenügend geprüft. Tiefseebohrungen
können nie ohne Risiko sein, aber sie müssen strengen Kontrollen
unterliegen.

Das Interview führte Joachim Zießler

Originaltext: Landeszeitung Lüneburg
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/65442
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_65442.rss2

Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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