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Berliner Morgenpost: Märkte ersetzen keine Politik (Leitartikel)

Geschrieben am 10-05-2010

Berlin (ots) - Money is a veil" - Geld ist lediglich ein Schleier
- und etwas Bedeutungsloseres als Geld kann es in der Welt der
Wirtschaft kaum geben. Nein, diese erfrischende These stammt nicht
von Oskar Lafontaine und nicht aus einem Grundsatzpapier von Attac.
Diese luftige Einsicht verdanken wir John Stuart Mill, einem
Säulenheiligen des Liberalismus im 19.Jahrhundert. Und an die
politische Kraft dieser Erkenntnis sollte man sich dieser Tage einmal
kurz erinnern. Denn was man weder am Verhandlungstisch in Brüssel
noch am Stammtisch um die Ecke gerne hört: Wer ihn einmal hebt, den
Schleier des Geldes und der großen Zahlen, der findet darunter
knallharte ökonomische Fakten - nämlich die von Haben und
Nicht-Haben. Die viel bemühte schwäbische Hausfrau weiß das - und die
Kanzlerin scheint es endlich auch begriffen zu haben: Man kann sich
viel Geld leihen, aber am Ende eben nicht mehr konsumieren, als man
tatsächlich erwirtschaftet. Damit halten die Krisenwochen mit
Nachtsitzungen und fröhlichem Milliarden-Stemmen zwei Lehren für uns
bereit. Erstens: Die Märkte funktionieren! Ja, selbst Guido
Westerwelle mag diese Einsicht ein wenig steil finden, aber sie ist
wahr: Ohne die Finanzmärkte, die von weiter oben betrachtet eben doch
wirken wie Naturgesetze, ohne sie hätten Griechenland, Spanien,
Portugal - aber vor allem wir selber - so weitermachen können wie
bisher. Kein Sparen, sondern Leben auf Pump; Wachstum heute durch
gigantische Schulden für morgen finanzieren. Das funktioniert nicht -
und Märkte "wissen" das. Also fließt die ökonomische Kraft
unaufhaltsam bergab - und reißt brutal politisches Geröll und Schutt
mit sich, die der wirtschaftlichen Vernunft entgegenstehen. Die
zweite Lehre aber lautet: Märkte ersetzen nicht Politik! In jedem
volkswirtschaftlichen Hauptseminar der Neunzigerjahre wurden Referate
darüber gehalten, warum eine gemeinsame Währung eine gemeinsame
Wirtschafts- und Finanzpolitik nicht ersetzt, sondern voraussetzt.
Das muss nicht Sonnenkönig-Dirigismus à la Sarkozy bedeuten. Aber es
bedeutet eben, dass eine Ungleichheit der Lebensverhältnisse - und
der dahinter stehenden Wirtschafts- und Haushaltspolitik - auf Dauer
jede Union sprengt. Money is a veil - und der hübsche Schleier des
Euro allein wird die Gemeinschaft nicht zusammenhalten. Keiner weiß
das besser als wir. Auf Dauer kann auch im Föderalismus nicht ein
Bundesland aasen, während alle anderen sparen. Aber es heißt auch,
dass man regional unterschiedliche Belastungen im Zweifel und an
harte Bedingungen geknüpft gemeinsam solidarisch zu schultern hat.
Das wird wohl auch für die EU gelten müssen! Diese zweite Lehre muss
politisch gewollt und durchgesetzt werden. Mit Besonnenheit im Maß,
Härte in der Konsequenz und leidenschaftlicher Überzeugung in der
Sache. Die Absage der Kanzlerin an Steuergeschenke ist ein erster
Schritt. Stellt sich die Frage: Ist die deutsche Politik reif für die
weiteren Schritte dieser Lehre - Sparen und Abspecken? Sie wird es
nur sein, wenn wir selbst es sind und eine solche Politik auch
wählen.

Originaltext: Berliner Morgenpost
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/53614
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_53614.rss2

Pressekontakt:
Berliner Morgenpost

Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de


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