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WAZ: Wahlen in Nordrhein-Westfalen - Schwarz-Gelb scheint am Ende - Leitartikel von Ulrich Reitz

Geschrieben am 06-05-2010

Essen (ots) - Rot-Grün, Schwarz-Grün, Große Koalition unter
Führung von Hannelore Kraft oder Jürgen Rüttgers: Aus der politischen
Mitte betrachtet, muss einen keine dieser Möglichkeiten nervös
machen. Mulmig kann einem nur werden mit Blick auf die Linkspartei,
die nicht nur für Bürgerliche in Union und FDP ein tiefrotes Tuch
ist, sondern auch für mindestens die Bürgerlichen in der SPD. Darauf
weist der Parteivorsitzende Gabriel seit längerem hin. Wer einst in
die SPD ging unter dem Eindruck der Niederschlagung des Prager
Frühlings oder weil Willy Brandt als Berliner Bürgermeister
leidenschaftlich die Freiheit gegen den Kommunismus verteidigte,
teilt dieses grundsätzliche Unbehagen. In der SPD und in
Nordrhein-Westfalen erst recht sind das viele. Es sind jene, von
denen etwa die eine Generation jüngeren Grünen abschätzig als
"Untote" sprechen. Diese Genossen, darunter so mancher
Alt-Bürgermeister, befürworten eine Große Koalition. Ihr Motiv ist
nicht nur die biografisch gelernte Furcht vor der Linkspartei,
sondern auch die Sorge um eine SPD, die ein solches Wagnis eingehen
könnte. "Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten." Solche
unverschämten Plakate werden mancherorts von Tiefroten geklebt. Es
ist die Erinnerung an Stalins Sozialfaschismus-Vorwurf, der der
Vernichtung der Sozialdemokratie durch die Kommunisten vorausging.
Wem die SPD am Herzen liegt, der kann für Rot-Rot nicht sein, nicht
einmal aus taktischen Erwägungen. Wobei ebenso befremdlich ist, dass
die Grünen, die sich sonst gerne auf ihre libertären Wurzeln berufen,
eher mit Tiefroten als mit Liberalen regieren würden. Schwarz-Gelb
erscheint inzwischen als die unwahrscheinlichste Variante. Das ist
angesichts der Stimmung noch vor einem knappen halben Jahr wirklich
bemerkenswert. Es gibt mehrere Gründe für diesen beispiellosen
Abstieg. Alle sind hausgemacht. Rüttgers hat keinen Amtsbonus mehr.
Das liegt weniger an der juristischen Qualität der größeren und
kleineren Affären, sondern ihrer politischen Wirkung: Sie haben ihn
augenscheinlich sein mühsam aufgebautes Landesvater-Image gekostet.
Einmal ganz abgesehen davon, dass sein Johannes-Rau-Nacheifern in
seiner eigenen Partei niemals ankam. Weshalb sollte sich seine Union
auch plötzlich für jemanden begeistern, den man jahrelang ohnmächtig
bekämpft hatte? Dann natürlich Schwarz-Gelb in Berlin. Diese
Koalition verstieß lange Zeit gegen das urbürgerliche Versprechen,
solide zu regieren. Und schließlich die Griechenland-Krise. Plötzlich
zweifeln viele an den Macher-Qualitäten der Kanzlerin, laden die
Furcht um ihr Geld bei der Regierungschefin ab und planen den
Denkzettel für Düsseldorf. Je mehr Parteien, desto mehr
Möglichkeiten. Ein Stück Berechenbarkeit, alte bundesrepublikanische
Sicherheit geht dabei verloren, gewiss. Doch ob das schlecht ist,
muss sich erst noch zeigen. Es wäre allerdings verdienstvoll, wenn
sich Demokraten einig wären in der Absage an Scheindemokraten.

Originaltext: Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/55903
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_55903.rss2

Pressekontakt:
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Zentralredaktion
Telefon: 0201 / 804-6528
zentralredaktion@waz.de


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