(Registrieren)

WAZ: Vorratsdatenspeicherung gekippt - Ein wenig schmeichelhaftes Urteil - Leitartikel von Miguel Sanches

Geschrieben am 02-03-2010

Essen (ots) - Die Richter haben auf die Reset-Taste gedrückt. Das
Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung ist gekippt. Aus. Nun sollte sich
die Regierung Zeit für eine solide Analyse lassen, und die Medien
sollten nicht den Fehler begehen, das gestrige Urteil des
Verfassungsgerichts zum Akt einer Oper zu machen. Wenn überhaupt, ist
es ein Akt der Normalität. Es zeigt: Die Gewaltentrennung
funktioniert, der Bürger ist nicht schutzlos. Schlechte Politik ist
korrigierbar!
Das Urteil überrascht nicht. Nicht nach dem konkreten Vorlauf, auch
nicht nach der Vorgeschichte. In Karlsruhe haben sie bereits im Jahr
1983 das Recht auf informationelle Selbstbestimmung kreiert. Die
Datenschützer haben einen Stein im Brett. Es liegt in der Kontinuität
der Rechtsprechung, dass nun die anlasslose Speicherung von
Verbindungsdaten verworfen wurde. Dass man über die Daten Profile
erarbeiten kann und die Bevölkerung nicht unter Generalverdacht
stellen darf, liegt auf der Hand. Oder?
Offenbar nicht. Beschämend ist, dass die Politik die Abwägung
zwischen Freiheit und Sicherheit zu oft schleifen ließ. Beispiel
Online-Durchsuchung, Beispiel Luftsicherheitsgesetz. Warum? Nach
2001, nach dem Anschlag auf das World Trade Center, wurde vieles im
Affekt gemacht. In den letzten vier Jahren kam Dickfelligkeit dazu.
Die Große Koalition war sich selbst genug. Sie hätte sich ernsthafter
mit Einwänden befassen müssen.
Eine Besonderheit des Urteils ist der Europa-Bezug. Denn die
Vorratsdatenspeicherung geht auf eine EU-Richtlinie zurück. Jahrelang
sah die Praxis so aus: (Innen)Minister haben sich in Brüssel die
Sachzwänge bestellt und abgeholt, die ins Konzept passten. Das Urteil
sollte zum Umdenken zwingen. Man darf weder in Brüssel noch danach in
Berlin nichts durchwinken, was das Grundgesetz strapaziert.
Hätte Karlsruhe die Speicherung per se für verfassungswidrig erklärt,
wäre der Europäische Gerichtshof pikiert. Man könnte auf den Gedanken
kommen, europäische Fragen gleich dem EuGH zu überlassen. Gestern
haben sie in Karlsruhe das delikate Konkurrenzverhältnis elegant
ausgeblendet.
Für das Parlament sind die Korrektur-Urteile nicht schmeichelhaft. Es
sollte der ganze Stolz Abgeordneter sein, Gesetze zu entwickeln, die
wasserfest sind. Nun kommt es umso mehr darauf an, ein sauberes
Werkstück zu liefern, sich nicht unter Zeitdruck zu setzen und die
Sinnfrage ehrlich zu beantworten: Müssen die Daten der Kommunikation
gespeichert werden? Geht's nicht ohne?

Originaltext: Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/55903
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_55903.rss2

Pressekontakt:
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Zentralredaktion
Telefon: 0201 / 804-6528
zentralredaktion@waz.de


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

254661

weitere Artikel:
  • Frankfurter Neue Presse: zum Urteil über die Vorratsdatenspeicherung. Datenschutz: Die Türen stehen offen. Leitartikel von Michael Kluger Frankfurt am Main (ots) - Das Karlsruher Urteil ist allenfalls eine Etappe - und trifft ohnehin nur einen Ausschnitt der Wirklichkeit. Das Dilemma ist viel größer: Wir haben die Kontrolle über unsere persönlichen Daten längst verloren. Die Türen zu unserer Privatsphäre stehen sperrangelweit offen. (...) Heute ist nicht unbedingt der Staat die massivste Bedrohung. Der Suchmaschinen-Riese Google besitzt inzwischen wahrscheinlich genauere Personenprofile als jede Regierung dieser Welt. (...) Der Computer ist das Auge, das uns nicht loslässt. mehr...

  • Westdeutsche Zeitung: Das Bundesverfassungsgericht und seine zahlreichen Rollen - Richter, Gesetzgeber und Bürger-Anwalt Von Peter Kurz = Düsseldorf (ots) - Der Gesetzgeber sitzt zwar in Berlin. Doch die Entscheidungen fallen in Karlsruhe. Dass das Bundesverfassungsgericht zunehmend die politischen Fäden zieht, ist verfassungsrechtlich bedenklich. Und doch sollten wir froh darüber sein. Scharf kommen die Kommandos vom Richtertisch. Hartz IV: neu regeln. Vorratsdatenspeicherung: unzulässig. Der Bundestag muss diesen Eingriff in die Rechte der Bürger neu regeln - in den detailliert von den Richtern vorgegebenen Grenzen. Und als ob das noch nicht genug wäre: Die Regierung mehr...

  • Weser-Kurier: Der "Weser-Kurier" (Bremen) kommentiert in seiner Ausgabe vom 3. März 2010 das Karlsruher Grundsatzurteil zur Vorratsdatenspeicherung: Bremen (ots) - Aufgabe statt Ohrfeige von Joerg Helge Wagner Wenn Verfassungsrichter die Politik der Bundesregierung korrigieren, bemüht die Opposition gerne das Bild von der "schallenden Ohrfeige". Schräg ist das schon deshalb, weil so ein als fortschrittlich begrüßtes Urteil mit antiquierten Erziehungsmethoden gleichgesetzt wird. In Bezug auf die Vorratsdatenspeicherung ist es besonders unpassend, weil es um ein Gesetz der Vorgängerregierung geht, das von Juniorpartner der jetzigen Regierung nie mitgetragen worden ist. Haben die Richter mehr...

  • Ostthüringer Zeitung: Kommentar Ostthüringer Zeitung Gera Gera (ots) - Ostthüringer Zeitung Gera zu Vorratsspeicherung: Für das Parlament sind die Korrektururteile nicht gerade schmeichelhaft. Es sollte der ganze Stolz der Abgeordneten sein, Gesetze zu entwickeln, die wasserfest sind. Nun kommt es umso mehr darauf an, ein sauberes Werkstück zu liefern, sich nicht unter Zeitdruck zu setzen und die Sinnfrage ehrlich zu beantworten: Müssen die Daten der Kommunikation gespeichert werden? Geht's nicht ohne? Originaltext: Ostthüringer Zeitung Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/74527 mehr...

  • Westfalenpost: Mit Beißhemmung Hagen (ots) - Das Urteil zur Datenspeicherung Von Winfried Dolderer Man kann sich mittlerweile darauf verlassen, auf diesen Masochismus der Berliner Politik: Immer, wenn ihnen das Bundesverfassungsgericht ein Gesetz um die Ohren haut, brechen die dafür Verantwortlichen in reines Entzücken und Dankbarkeit aus. Gestern war dieses Phänomen besonders augenfällig bei der SPD, die es als "wesentliche Stärkung der Bürgerrechte" feiert, dass die Karlsruher Richter ein von einer SPD-Justizministerin fabriziertes Paragraphenwerk in die Tonne treten. mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht