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Energiekonzept der Bundesregierung muss Systemkonflikt vorbeugen

Geschrieben am 01-03-2010

Berlin (ots) - Längere AKW-Laufzeiten und zusätzliche
Kohlekraftwerke programmieren neuen Fundamentalkonflikt auf dem Weg
ins regenerative Zeitalter - Studie: Variable Erneuerbare Energien
und klassische Grundlastkraftwerke passen nicht zusammen in ein
Stromsystem - Erneuerbare Energien gehören in den Mittelpunkt der
Zukunftsdebatte - Energiekonzept der Bundesregierung bleibt "Muster
ohne Wert", wenn die Anpassung des konventionellen Kraftwerksparks an
wachsende Anteile Erneuerbarer Energien nicht geklärt wird

Längere Reaktorlaufzeiten und zusätzliche Kohlekraftwerke sind mit
dem im Koalitionsvertrag der Regierungsparteien vorgeschlagenen
Eintritt in das "Zeitalter regenerativer Energien" technisch
unvereinbar. Sie würden schon im kommenden Jahrzehnt den von der
Koalition ebenfalls versprochenen Vorrang von Strom aus Wind und
Sonne untergraben. Da die Klimaziele (minus 80 - 95% bis 2050) nur
mit einem vollständigen Umstieg auf Erneuerbare Energien zu erreichen
sind, käme der Klimaschutz unter die Räder. Das erläuterten heute im
Rahmen einer gemeinsamen Pressekonferenz der Bundesgeschäftsführer
der Deutschen Umwelthilfe (DUH), Rainer Baake, der Geschäftsführer
des Bundesverbandes Erneuerbare Energie (BEE), Björn Klusmann und der
Leiter Energiewirtschaft und Systemanalyse, Dr. Michael Sterner vom
Kasseler Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik
(IWES) auf Grundlage einer aktuellen Untersuchung. Die IWES-Studie
analysiert insbesondere die Rückwirkung zunehmender variabler
Einspeisung von Regenerativstrom auf den verbleibenden
Kraftwerkspark.

"Das Energiekonzept, das die Bundesregierung derzeit ausarbeiten
lässt, bleibt ein Muster ohne Wert, wenn es den Systemkonflikt
zwischen Erneuerbaren Energien und klassischen Großkraftwerken nicht
untersucht. Der Weg in das regenerative Zeitalter muss im
Regierungskonzept konkret und nachvollziehbar beschrieben werden",
sagte DUH-Bundesgeschäftsführer Rainer Baake. Andernfalls
programmiere die Regierung den nächsten energiepolitischen
Fundamentalkonflikt. Eine Laufzeitverlängerung werde sich nicht als
Brücke, sondern als Sackgasse für die regenerativen Energien
erweisen.

Michael Sterner vom Fraunhofer-Institut für Windenergie und
Energiesystemtechnik erläuterte, wie der zu erwartende Ausbau der
erneuerbaren Energien den Bedarf an klassischen Grundlastkraftwerken
bereits in den nächsten zehn Jahren drastisch senken wird. Im
Übergang in das regenerative Zeitalter werden die heutigen
Grundlastkraftwerke deutlich weniger Stunden im Jahr ausgelastet. Es
werden Kraftwerke benötigt, die vor allem flexibel der variablen
Einspeisung von Strom aus Wind und Sonne folgen können.

Schon bei einem Jahresanteil an der Stromversorgung von weniger
als 50 Prozent - als Grundlage dienten ein vom BEE erstelltes
Szenario und reale Daten des Wetterjahrs 2007 - decken die
erneuerbaren Energien bei stündlicher Betrachtung zwischen 15 und 110
Prozent des gesamten Strombedarfs ab. So werde ein zunehmender Anteil
der konventionellen Kraftwerke nur noch als "Backup" zur
jederzeitigen Absicherung des Strombedarfs benötigt. Ein
wirtschaftlicher Betrieb von Grundlastkraftwerken ist dadurch
unsicher und ein flexibler Betrieb noch technisch zu verifizieren.
Entscheidend für einen flexiblen Betrieb zur Integration erneuerbarer
Energien sind kurze Mindest-Stillstandzeiten, geringe Anfahrdauern
und kurze Mindest-Betriebszeiten. Gehe die aktuelle Ausbaudynamik der
erneuerbaren Energien weiter, könnten sie schon im Jahr 2020 mehrere
dutzend Stunden den gesamten Strombedarf Deutschlands allein
abdecken. Sterner: "Der klassische Grundlastbereich für
konventionelle Kraftwerke löst sich auf. Was wir in Zukunft
benötigen, sind flexible Kraftwerke für die Mittel- und Spitzenlast,
die schnell an- und abgefahren werden können und dabei robust
bleiben."

Je weiter man auf dem Weg in das regenerative Zeitalter
vorankomme, umso wichtiger werde darüber hinaus die Bereitstellung
von Ausgleichsmaßnahmen wie Stromtransport, Speicher und
Energiemanagement, erläuterte der Wissenschaftler. Besonders
konventionellen und neuartigen Stromspeichern komme hier große
Bedeutung zu. Zwar passten in Deutschland Stromnachfrage und
Einspeisung von beispielsweise Windenergie im Jahresverlauf
vergleichsweise gut zusammen. Massive Schwankungen und Abweichungen
zwischen Bedarf und Einspeisung könne es jedoch nach den Ergebnissen
der Untersuchung von Woche zu Woche geben. Deshalb müsse in der
Übergangsphase der Ausgleich über schnell reagierende Kraftwerke und
mehr großräumige auch transnationale Stromverbindungen sichergestellt
werden. Langfristig könne eine Stromversorgung mit Hilfe starker
Netze, Energiemanagement (Elektro-Kfz, gesteuerte Lasten,
Kombikraftwerke) und neuartiger Stromspeicher vollständig regenerativ
erfolgen. Zu den neuen Speichermöglichkeiten gehöre die Erzeugung von
Methan aus Windenergie, das dann im vorhandenen Erdgasnetz
gespeichert und in Gaskraftwerken genutzt werden kann.

BEE-Geschäftsführer Björn Klusmann betonte, dass sich der Anteil
der Erneuerbaren Energien an der Stromversorgung sehr viel schneller
entwickelt habe, als zum Zeitpunkt des Atomausstiegsbeschlusses
absehbar gewesen sei. 2020 rechne seine Branche mit einem Anteil von
47 Prozent. "Wer diese Dynamik nicht zur Kenntnis nimmt, ist entweder
nicht auf der Höhe der Zeit oder er entlarvt sich selbst als Bremser
und Modernisierungsverhinderer", sagte Klusmann mit Blick auf jüngste
Wortmeldungen in der Debatte um den Atomausstieg innerhalb des
Regierungslagers. Statt einen fruchtlosen Streit über längere
Laufzeiten von Atomkraftwerken neu aufzulegen, solle die Koalition
konkrete Maßnahmen zum Ausbau von Stromspeichern und regenerativen
Kombikraftwerken entwickeln: "Wer den Weg in das regenerative
Zeitalter gehen will, muss logischerweise die Erneuerbaren Energien
in den Mittelpunkt seines Energiekonzepts stellen, alles andere sät
Zweifel an der Ernsthaftigkeit dieser zentralen energiepolitischen
Aussage im Koalitionsvertrag von Union und FDP." Klusmann sagte, es
sei nicht ermutigend, dass die Bundesregierung verbal zu den
Erneuerbaren Energien stehe, aber gleichzeitig über
energiewirtschaftlich widersinnige Laufzeitverlängerungen für
Atomkraftwerke debattiere, neue Kohlekraftwerke befürworte und die
Vergütung für Solaranlagen rabiat kürzen wolle.

Dem in der IWES-Untersuchung auf Basis des BEE-Szenarios
ermittelten, verbliebenen Bedarf an konventionell erzeugter Grundlast
in Höhe von 27 Gigawatt (GW) steht im Jahr 2020 absehbar mindestens
folgende Grundlastleistung gegenüber: 15,6 GW aus jüngeren Stein- und
Braunkohlekraftwerken (Inbetriebnahme oder grundlegende Nachrüstung
seit 1990), 11,4 GW aus neuen, derzeit im Bau befindlichen Stein- und
Braunkohlekraftwerken (in der Summe: 27 GW); darüber hinaus die
derzeit unklare Leistung aus Atomkraftwerken (aktuell 21,5 GW). Das
Problem sei also nicht zu wenig Strom in der Grundlast, erklärte
Rainer Baake, sondern zuviel: "Jede Laufzeitverlängerung von
Atomkraftwerken und jeder weitere Zubau von Kohlekraftwerken führt
bereits innerhalb der nächsten zehn Jahre zu einem Überangebot von
Strom aus Kraftwerken, die für hohe Volllaststunden ausgelegt sind.
Je weiter der Ausbau der Erneuerbaren Energie vorankommt, umso mehr
wird sich der Systemkonflikt zwischen variabler Einspeisung von Wind-
und Solarstrom und inflexiblen Großkraftwerken zuspitzen."
Stattdessen müssten für den Übergang flexible, leicht regelbare
Gaskraftwerke die regenerative Stromversorgung absichern.

Schon im kommenden Jahrzehnt sei damit zu rechnen, dass die
Erneuerbaren Energien den Strombedarf immer häufiger vollständig
abdecken. In diesen Situationen müssten alle Kohle und auch alle
Atomkraftwerke vollständig abgefahren werden. Da jedoch ein
Wiederanfahren von Atomkraftwerken mehr als zwei Tage dauere, würde
ein solcher Abschaltvorgang regelmäßig die Versorgungssicherheit
gefährden. In der Konsequenz würden Windräder in steigender Zahl und
Häufigkeit aus dem Wind gedreht, der Einspeisevorrang des EEG würde
zunehmend unterlaufen. Baake: "Die Debatte um Laufzeitverlängerungen
und neue Kohlekraftwerke ist rückwärtsgewandt. Sie lenkt von den
wirklichen Herausforderungen ab. Im Kern ist sie ein Konflikt
zwischen denen, die Strukturen konservieren wollen und denen, die sie
modernisieren und zukunftsfähig machen wollen."

Alle Hintergrundmaterialien der Pressekonferenz finden Sie zum
Download unter:
http://www.duh.de/pressemitteilung.html?&tx_ttnews[tt_news]=2207

Originaltext: Deutsche Umwelthilfe e.V.
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/22521
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_22521.rss2

Pressekontakt:
Rainer Baake, Bundesgeschäftsführer, Deutsche Umwelthilfe (DUH),
Hackescher Markt 4, 10178 Berlin; Mobil: 0151 55016943,
Tel.: 030 2400867-0, E-Mail: baake@duh.de

Dr. Michael Sterner, Leiter Energiewirtschaft und Systemanalyse,
Fraunhofer Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES),
Königstor 59, 34119 Kassel, Tel.: 0561 7294-328 bzw. -319,
E-Mail: msterner@iset.uni-kassel.de

Dr. Gerd Rosenkranz, Leiter Politik und Presse, Deutsche Umwelthilfe
(DUH), Hackescher Markt 4, 10178 Berlin, Mobil: 0171 5660577,
Tel.: 030 2400867-21, E-Mail: rosenkranz@duh.de

Daniel Kluge, Referent für Medien und Politik, Bundesverband
Erneuerbare Energie (BEE), Tel.: 030 2758170-15, Fax -20,
E-Mail: daniel.kluge@bee-ev.de


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