(Registrieren)

Berliner Morgenpost: Der unnötige Rücktritt einer streitbaren Frau - Leitartikel

Geschrieben am 24-02-2010

Berlin (ots) - Schade. Der Rücktritt der obersten deutschen
Protestantin ist ein hoch nobler Schritt, der für
Verantwortungsgefühl und Konsequenz spricht. Aber womöglich erlebt
das Land hier auch ein Musterbeispiel an Überkonsequenz. Sicher, mit
1,5 Promille über eine rote Ampel zu fahren, das ist keine
Kleinigkeit. Aber mal ehrlich: Wie viele Autofahrer mögen mit einer
Mischung aus Schrecken und Erleichterung an die ein oder andere
eigene Promillefahrt gedacht haben, die unentdeckt blieb?
Margot Käßmann wird nach geltendem Recht bestraft, sie wird den
Führerschein abgeben, Strafe zahlen und womöglich sozialen Dienst
leisten müssen, was nicht frei von Alltagsironie wäre. Schuld und
Sühne, das Prinzip gilt auch im Verkehrsrecht. Wie alle anderen
Bürger muss selbst eine Bischöfin die Möglichkeit haben, einen Fehler
wiedergutzumachen, auch wenn sie vielleicht nicht im Sinne ihrer
eigenen Predigten gehandelt hat. Das Scheitern an hohen Maßstäben ist
die ewige Geschichte des Christentums, und es macht eine Kirche nicht
unglaubwürdiger, wenn auch ihre hohen Repräsentanten es an Perfektion
mangeln lassen. Fehlerfrei ist nur Gott im Himmel. Wichtig ist: Jeder
Mensch muss die Chance zur Rehabilitation haben. Ein einzelner
Fehltritt darf nicht ein ganzes Leben zerstören. Wenn in Deutschland
alle zurücktreten müssten, die täglich höchste moralische Latten
auflegen, dann blieben nicht nur Parlamente und Funktionärssessel
oftmals leer, sondern auch die Kommentarspalten der Zeitungen -
selbst diese hier.
Der Rücktritt der Bischöfin wirft eine zentrale Frage auf: Welche
Fehler will eine Gesellschaft bei ihren Anführern tolerieren? Reichen
schon Verkehrsdelikte? Wann wird die hysterische Öffentlichkeit den
ersten Falschparker zum Rücktritt zwingen? In den USA, teils auch in
Großbritannien, lässt sich beobachten, wie brutal selbst private
Verfehlungen öffentlich verfolgt werden. Eine - durchaus private -
Ehekrise, das getwitterte Gerücht über eine mögliche Verfehlung
genügen, um eine unangemessene Hatz ohnegleichen zu starten.
Das akribische Durchleuchten von Führungspersönlichkeiten hat weniger
einen reinigenden als viel eher einen kontraproduktiven Effekt: Jeder
qualifizierte und/oder nonkonforme Charakter wird sehr genau
überlegen, ob er sich in ein öffentliches Amt begibt. Die Diktatur
des mittelmäßigen Funktionärs wird sich fortsetzen.
Vergeben und Verzeihen, nicht nur anderen, auch sich selbst, gehören
zu den großen und ewigen Botschaften des Christentums. Es hätte gute
Gründe gegeben, dieser Kirchenfrau die Chance zur Buße zu geben.
Margot Käßmann war, ist und bleibt eine bemerkenswerte
Persönlichkeit: streitbar, manchmal querköpfig, bisweilen abwegig,
aber immer geradeaus. Dass diese Frau nach öffentlicher Scheidung und
halb öffentlich bekämpftem Krebs nun ausgerechnet durch eine
Alkoholfahrt erledigt wird, verdeutlicht verrückte Maßstäbe in diesem
Land. Für Mehrwertsteuerlügen oder mit Spenden erkaufte
Hoteliers-Boni tritt keiner zurück - aber für eine rote Ampel. Jesus
würde sich wundern.

Originaltext: Berliner Morgenpost
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/53614
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_53614.rss2

Pressekontakt:
Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

253502

weitere Artikel:
  • WAZ: Käßmanns Konsequenz. Kommentar von Walter Bau Essen (ots) - Es ist das Ende einer Alkoholfahrt; und es ist gleichzeitig das abrupte Ende einer strahlenden Karriere. Margot Käßmann, hoch angesehene Bischöfin, oberste Repräsentantin der Evangelischen Kirche in Deutschland und eine moralische Instanz im Lande, gibt ihre Ämter auf. War Käßmanns Rücktritt unvermeidlich? Schon die Stellungnahme der EKD-Spitze zur Causa Käßmann gestern Früh sprach Bände. Was als vermeintliche Rückendeckung daher kam, entpuppte sich bei genauerem Hinsehen als nahezu unverhohlene Aufforderung zum Abschied. mehr...

  • Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Berliner S-Bahn Bielefeld (ots) - Keine deutsche Stadt zieht jährlich so viele Touristen an wie Berlin. Es ist peinlich genug, dass ihnen dort kein funktionierendes öffentliches Verkehrssystem angeboten wird. Es ist unglaublich, dass - und deshalb steht der vorherige Satz im Passiv - es keinen Verantwortlichen gibt. Bahnchef Rüdiger Grube kann nicht der Verursacher sein. Dafür ist er noch nicht lange genug im Amt. Er ist aber dafür verantwortlich, herauszufinden, was seine Vorgänger wussten. Einem Untersuchungsbericht zufolge nichts. Erstaunlich, immerhin mehr...

  • WAZ: Ärger über Griechenland - Vorwürfe nicht entkräftet. Kommentar von Detlef Fechtner Essen (ots) - Ausgerechnet Griechenland: Der Ärger über statistische Taschenspielertricks und desolate Haushaltspolitik in dem Land ist auch deshalb so groß, weil in der EU gerade die Griechen am meisten kriegen. Kein anderes Land erhält nur annähernd so viel Zuwendungen aus der EU-Kasse. Wie gut der EU-Beitritt 1981 und die Aufnahme in die Euro-Zone 2001 der griechischen Wirtschaft getan hat, lässt sich beim Blick auf die Wachstumsziffern erahnen. Das Bruttoinlandsprodukt stieg seither meist um mehr als drei oder vier Prozent pro Jahr. mehr...

  • WAZ: Öko-Katastrophe in Italien - Rätselhaft. Kommentar von Christa Langen-Peduto Essen (ots) - Öl, das von Tankschiffen ins Meer abgelassen wird, damit hatte Italien schon des öfteren zu tun. Doch dass tonnenweise Öl offenbar von Kriminellen in einen Fluss abgeleitet worden ist, wie jetzt in der Nähe des norditalienischen Monza, das gab es noch nie. Die ersten Hilfsmaßnahmen zur Verringerung einer noch größeren Umweltkatastrophe spiegeln Ohnmacht wider. Trotz des verzweifelten Engagements der Helfer hat die Strömung die schwarze Öl-Welle vom Fluss Lambro schon in den Po weitergespült. Der finanzielle Schaden mehr...

  • Westdeutsche Zeitung: Margot Käßmanns Rücktritt = Von Christoph Lumme Düsseldorf (ots) - Für die evangelische Kirche ist der Rücktritt mehr als ein herber Verlust: Margot Käßmann hatte in den wenigen Monaten als EKD-Ratsvorsitzende das Gesicht ihrer Kirche geprägt, sie wird schwer zu ersetzen sein. Kaßmann stand für das Authentische, Geradlinige und Mutige. Sie entwickelte sich zum moralischen Gewissen der Nation, ohne dabei moralinsauer zu wirken; gerade weil sie ihre eigene Fehlbarkeit, ihre persönlichen Dramen - die Scheidung, das Krebsleiden - immer wieder öffentlich machte. Nun ist es diese von ihr bewusst mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht