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Südwest Presse: Kommentar zu Margot Käßmann

Geschrieben am 24-02-2010

Ulm (ots) - Margot Käßmann blieb nichts anderes übrig. Wer seine
Autorität - schon vor der Wahl zur Ratsvorsitzenden der Evangelischen
Kirche - so sehr aus der persönlichen Glaubwürdigkeit schöpft, wer
trotz aller auch immer wieder zum Ausdruck gebrachten Selbstzweifel
einen so hohen moralischen Anspruch geradezu verkörpert, der kann mit
einer solchen persönlichen Verfehlung nicht mehr weitermachen wie
bisher.
Zwar schlug sich in den Reaktionen auf die Alkoholfahrt der Bischöfin
auch Häme nieder. Vor allem manch' männlicher Zeitgenosse, der Frauen
in Führungspositionen, zumal so blitzgescheite wie Margot Käßmann,
immer noch als latente Verletzung seines Weltbildes betrachtet,
übertünchte mit salbungsvollen Worten und väterlichem Verständnis nur
seine klammheimliche Schadenfreude.
Doch damit sind nicht die Wogen öffentlichen Interesses am Fall
Käßmann zu erklären. Die Bischöfin ist in den vergangenen Jahren zum
Gewissen der evangelischen Kirche in Deutschland, wenn nicht zum
Gewissen der ganzen Nation geworden. Margot Käßmann nahm gern und oft
zu fast allen Dingen des Lebens Stellung, sie äußerte sich in
Talk-Shows und pflegte einen kurzen Draht zur Bild-Zeitung wie zu
anderen Massenmedien.
Und ihr Wort wurde gehört: Ob sie Position bezog zu kirchlichen
Problemen, zur Ökumene oder zur Babyklappe, oder ob sie sich in die
große Politik einmischt und den Afghanistan-Krieg geißelte. Nicht
zuerst Versöhnung und Beschwichtigung, sondern akzentuierte
Meinungsäußerung ist Ziel ihrer Botschaften. Und sie ist begabt
dafür, ihr Ansinnen in klarer, verständlicher Sprache auf den Punkt
zu bringen und entsprechend anzuecken bei den Andersmeinenden.
Auch das erklärt, warum eine zunächst vermeintlich private Straftat
kaum jemanden kaltlässt. Margot Käßmann, die besonnene, sympathische
und doch so energische Bischöfin ist zur Instanz in Deutschland
geworden, an die viele Menschen glauben und an der sie sich
festhalten - und nicht nur evangelische Christen. Viele solcher
anerkannten Instanzen gibt es hierzulande nicht. Auch deswegen ist
der selbstverschuldete Rücktritt der Kirchenfrau ein Jammer.
Doch sie hat mit ihrer Alkoholfahrt so viele Zweifel und kaum
beantwortbare Fragen aufgeworfen, dass sie weder ihr hohes Amt noch
ihre bisher so eindrucksvolle persönliche Rolle in der Öffentlichkeit
glaubwürdig weiter ausfüllen kann. Wer sich mit mehr als 1,5 Promille
ans Steuer setzt, wird nicht nur von seiner Umgebung schnöde im Stich
gelassen. Er gefährdet grob fahrlässig sich und andere und muss sich
eindringlich nach seinem persönlichen Umgang mit Alkohol fragen
lassen. Mit ein, zwei Gläsern Rotwein ist ein solcher Wert bei aller
Unwägbarkeit nicht zu erklären. Fachleuten zufolge muss jemand
regelmäßig viel trinken, um mit 1,5 Promille keine
Ausfallerscheinungen zu zeigen und sich, wie es die Polizisten in
Hannover schildern, in einer Stresssituation höflich und sachlich zu
verhalten.
Mit ihrem Rücktritt auch als Landesbischöfin demonstriert Margot
Käßmann noch einmal Geradlinigkeit und Konsequenz auch in eigener
Sache. Wer das mit dem schamhaft-unentschiedenen Umgang der
Repräsentanten der katholischen Kirche mit der schwerwiegenderen
Straftat des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen durch
Würdenträger aus ihren Reihen vergleicht, weiß es zu würdigen.
Für die evangelische Kirche wie für alle, die an kritischem und
offenen Diskurs in Deutschland interessiert sind, hinterlässt Margot
Käßmann nun vorerst eine schmerzliche Lücke. Dieses Land hat nicht so
viele große Vorbilder, als dass es leicht auf so eines verzichten
könnte.

Originaltext: Südwest Presse
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/59110
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_59110.rss2

Pressekontakt:
Südwest Presse
Lothar Tolks
Telefon: 0731/156218


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