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Der Tagesspiegel: Blüm: "Schwarz-gelbe Geisterfahrer" bei Gesundheit und Pflege

Geschrieben am 25-10-2009

Berlin (ots) - Der langjährige Arbeits- und Sozialminister Norbert
Blüm (CDU) hat die von der Koalition angekündigten Reformen bei
Gesundheit und Pflege scharf kritisiert. "Die Sozialpartnerschaft
wird langsam, aber stetig platt gemacht", schreibt Blüm in einem
Gastbeitrag für den Berliner "Tagesspiegel" (Montagsausgabe). Nach
der Riester-Rente werde "der schleichende Ausstieg aus der
gemeinsamen Verantwortung der Sozialpartner für den Sozialstaat" nun
auch bei der Pflegeversicherung fortgesetzt", schreibt Blüm. "Auf der
Strecke bleibt die subsidiäre Solidarität, wie sie in einer auf
Gegenseitigkeit angelegten und mit sozialem Ausgleich ausgestatteten
Sozialversicherung grundgelegt ist". Auch die für 2011 geplante
Gesundheitsreform kritisierte Blüm scharf. "Die Kopfpauschale ist ein
Schlag gegen die Gerechtigkeit. Der soziale Ausgleich, der bisher mit
Hilfe des einkommenproportionalen Beitrags krankenversicherungsintern
zustande kam, soll jetzt durch das Finanzamt organisiert werden",
schreibt Blüm weiter. Eine Reform des Sozialstaats müsse aber "auf
mehr staatsfreie, selbstverwaltete Solidarität zielen. Das Gegenteil
ist der Fall. Die Geisterfahrer haben Vorfahrt".

Im folgenden dokumentieren wir den Originaltext:

Schwarz-gelbe Geisterfahrer
Kopfpauschale und Pflege-Riester sind ein Angriff auf den Sozialstaat
/ Von Norbert Blüm

Man kann aus Schaden klug werden. Man muss es aber nicht. Mit der
Kopfpauschale ging die CDU in der Bundestagswahl 2005 baden. 2009,
nach der Bundestagswahl, versucht sie es wieder mit dem
einkommensunabhängigen Beitrag zur Krankenversicherung, der für alle
gleich hoch sein soll. Wenn der Chef den gleichen Beitrag zur
Krankenversicherung zahlt wie sein Chauffeur und der Meister den
gleichen wie der Hausmeister, musst Du nicht Plato, Aristoteles oder
Kant gelesen haben, um das für ungerecht zu halten. Es genügt der
gesunde Menschenverstand. Der hat für solche Fälle seit alters her
die Faustformel: "Gleiches gleich und ungleiches ungleich zu
behandeln".
Die Kopfpauschale behandelt Ungleiches gleich. Mit der Kopfpauschale
soll die gleiche Geldsumme aufgebracht werden, die bisher mit dem
einkommensproportionalen Beiträgen für die Krankenversicherung
beschafft wurde. Die Kopfpauschale wirkt wie eine Durchschnittsregel,
Der Durchschnitt entsteht, indem die einen mehr, die anderen weniger
zahlen. Mehr zahlen die, welche weniger verdienen, und weniger zahlen
die, welche mehr verdienen. Das ist die Logik der Kopfpauschale.
Sechs Punkte lassen sich als ihr Ergebnis festhalten, und sie fallen
allesamt negativ aus.
Erstens: Die Kopfpauschale ist ein Schlag gegen die Gerechtigkeit.
Der soziale Ausgleich, der bisher mit Hilfe des
einkommenproportionalen Beitrags krankenversicherungsintern zustande
kam, soll jetzt durch das Finanzamt organisiert werden. Die
einkommensschwachen Versicherten sollen einen staatlichen Zuschuss zu
ihrer Kopfpauschale erhalten.
Zweitens: Die Kopfpauschale löst mehr Staat und Transfer aus.
Oberhalb der Einkommengrenzen, bis zu der staatlicher Zuschuss
gezahlt wird, bleibt es bei der nivellierenden Wirkung der
Kopfpauschale, die alle Einkommensunterschiede über einen Kamm
schert. Die mittleren Einkommen zahlen die Zeche. Die sollten
eigentlich durch die Steuerreform besonders entlastet werden.
Drittens: Die Finanzierung des steuerfinanzierten Zuschusses steht im
Widerspruch zu den Zielen der Steuerreform. Bei Ermittlung der
Zuschussbedürftigkeit kann die Lohnhöhe nicht das einzige Kriterium
sein. Ein Teilzeit arbeitender Millionär würde sonst zum
Zuschussberechtigten erklärt. Also müssen alle Einkommensverhältnisse
der Zuschussempfänger aufgeblättert werden. Hartz IV lässt grüßen.
Der Sozialstaat mendelt sich so zur allgemeinen
Bedürfnisprüfungsanstalt.
Viertens: Die Kopfpauschale hat mehr Bürokratie im Gefolge. Der
Arbeitgeberanteil an der Finanzierung der Krankenversicherung soll
eingefroren werden. Damit zahlen die Arbeitnehmer alle zukünftigen
Kostensteigerungen allein. Die Arbeitgeber sind aus der Anstrengung
zur Dämpfung der Gesundheitskosten entlassen. Die Bundesvereinigung
der Arbeitgeberverbände kann ihr Mitglied Pharmaindustrie von der
Kette lassen. Die Entwicklung der Gesundheitskosten interessiert die
Arbeitgeber fortan nicht mehr.
Fünftens: Das Festschreiben des Arbeitgeberbeitrages mindert den
Druck auf die Kostensenkung. Die paritätische Finanzierung der
Sozialversicherung und die Selbstverwaltung waren die Schule der
Sozialpartnerschaft. In ihr wurde der Interessenausgleich zwischen
Arbeitnehmer und Arbeitgeber eingeübt. Nach der Riester-Rente wird
der schleichende Ausstieg aus der gemeinsamen Verantwortung der
Sozialpartner für den Sozialstaat fortgesetzt. Der
Krankenversicherung folgt die Pflegeversicherung. Die
Pflegeversicherung soll durch eine kapitalgedeckte private
Zusatz-Pflicht-Versicherung ergänzt werden, die nur von den
Arbeitnehmern bezahlt werden soll.
Sechstens: Die Sozialpartnerschaft wird langsam, aber stetig platt
gemacht. Am Ende des Weges steht das Bündnis der Verstaatlicher und
der Privatisierer. Die einen brauchen den anderen. Die Verstaatlicher
bedürfen der Privatisierer, weil sie die Aufgabe einer relativen
Lebensstandardsicherung nicht lösen können. Die Privatisierer sind
auf die Verstaatlicher angewiesen, denn sie haben keine Antwort auf
das Armutsproblem. Armut ist nämlich kein Geschäft.
Siebtens: Die Kopfpauschale und ihre Folgen führen in einen anderen
Sozialstaat. Auf der Strecke bleibt die subsidiäre Solidarität, wie
sie in einer auf Gegenseitigkeit angelegten und mit sozialem
Ausgleich ausgestatteten Sozialversicherung grundgelegt ist.
Eine Reform des Sozialstaats müsste auf mehr staatsfreie,
selbstverwaltete Solidarität zielen. Das Gegenteil ist der Fall. Die
Geisterfahrer haben Vorfahrt.
Kopfpauschale oder Bürgerversicherung - in diesem Streit geht es um
die Frage: "Wie kommt die Krankenversicherung ans Geld der Leute?" Es
sollte nicht der Sinn und Zweck der Krankenversicherung vergessen
werden: Heilung von Kranken!
Und wo sind die Grenzen der Solidarität? Die Krankenversicherung ist
nicht für alles zuständig, was das Wohlbefinden beeinträchtigt.

Rückfragen: Der Tagesspiegel, Politikredaktion, 030 29021 - 14301

Originaltext: Der Tagesspiegel
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/2790
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_2790.rss2

Pressekontakt:
Der Tagesspiegel
Chef vom Dienst
Thomas Wurster
Telefon: 030-260 09-308
Fax: 030-260 09-622
cvd@tagesspiegel.de
 


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