(Registrieren)

Landeszeitung Lüneburg: ,,Das Duo ist genau falschherum besetzt" -- Parteienforscher Prof. Dr. Jürgen W. Falter kritisiert Entscheidung der SPD-Spitze

Geschrieben am 01-10-2009

Lüneburg (ots) - Die Wahlsieger Union und FDP haben ihren Fahrplan
für die Koalitionsverhandlungen festgelegt, am Montag findet die
erste Runde statt. Dabei stehen mit der Steuer- und Sozialpolitik
strittige Themen an. Die SPD versucht nach dem Wahldesaster, mit
einer neuen Führung einen Neuanfang. Der Absturz in die Oppostion sei
das Beste, was der SPD passieren konnte, denn ,,eine zweite Große
Koalition hätte die SPD kaum durchgehalten. Sie wäre als
Juniorpartner weiter zerschlissen worden", sagt der Parteienforscher
Prof. Dr. Jürgen W. Falter im Gespräch mit unserer Zeitung. Zugleich
kritisiert Prof. Falter die Entscheidung der SPD-Spitze, wonach
Frank-Walter Steinmeier Fraktionschef und Sigmar Gabriel Parteichef
werden soll: ,,Das Duo ist genau falschherum besetzt."

Was war für Sie die größte Überraschung des Wahlsonntags?
Prof. Dr. Jürgen W. Falter: Ich hatte damit gerechnet, das die Wahl
knapper ausgehen und es für Schwarz-Gelb nicht reichen werde. Und ich
hatte nicht erwartet, dass die SPD so tief abstürzen würde.

Was haben Steinmeier und Müntefering falsch gemacht?
Falter: Ich glaube, sie sind an ihrer eigenen Koalitionspolitik
beziehungsweise der der FDP gescheitert. Denn die SPD hatte am Ende
nur noch eine Möglichkeit: Als Juniorpartner eine Koalition mit der
Union zu bilden. Die FDP hatte einer Ampel ja eine klare Absage
erteilt, zugleich hatte die SPD eine Linkskoalition ausgeschlossen.
Damit war die SPD eingemauert. Diejenigen, die nicht eine Fortsetzung
der Großen Koalition haben wollten, durften also nicht die
Sozialdemokraten wählen.

Die FDP ist im Prinzip mit einer Koalitionsaussage -- Schwarz-Gelb
-- und einem Thema, der Steuereform, zum eigentlichen Wahlsieger
geworden. Lässt sich so ein Erfolg wiederholen oder gehen Sie davon
aus, dass die FDP entzaubert wird?
Falter: Die FDP wird natürlich ein Stück weit entzaubert werden, weil
sich große Teile ihres Wahlprogramms nicht umsetzen lassen. Da ist
der FDP nicht nur die Wirtschaftskrise dazwischen gekommen, sondern
auch der Schwenk der CDU hin zu mehr sozialen Inhalten. Frau Merkel
ist -- bezogen auf die Wahl 2005 -- ein gebranntes Kind. Sie wird von
bestimmten Position nicht mehr abrücken -- vor allem im Hinblick auf
die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen im Mai. Sollte diese Wahl
verloren gehen, hätte Schwarz-Gelb gleich wieder ihre
Bundesratsmehrheit verloren und das Regieren würde viel schwerer
werden.

Ist der Absturz in die Opposition das Beste, was der SPD
passsieren konnte?
Falter: Ja. Ich glaube, die SPD hätte eine zweite Große Koalition
kaum durchgehalten. Sie wäre als Juniorpartner weiter zerschlissen
worden. Denn Frau Merkel beansprucht in ungemein geschickter Weise
immer die Lorbeeren für sich, ohne sich in die Niederungen des
politischen Straßenkampfes zu begeben. Mit dieser präsidialen Art der
Kanzlerschaft konnte sie viele Punkte sammeln -- und das wäre der SPD
wieder passiert. In der Opposition hat die SPD die Chance, stärker
sozialdemokratische Position zu besetzen, was durch die Kompromisse
in der Großen Koalition nicht möglich war. So könnte sie für einen
Teil der Wähler wieder attraktiver werden.

Rechnen Sie mit einem langen Selbstzerfleischungsprozess durch
Wiederauflammen der Flügelkämpfe in der SPD oder glauben Sie, dass
ein Duo Steinmeier/Gabriel die Partei einen könnte?
Falter: Das Duo ist genau falschherum besetzt. Gabriel sollte
Fraktionvorsitzender werden und Steinmeier Parteichef. Denn Gabriel
hat genau die bissige, attackierende Art, die ein Oppositionsführer
im Bundestag braucht. Ich glaube, Steinmeier wird sich als Person
nicht mehr so stark ändern, als dass er die Rolle als
Oppostionsführer gut ausfüllen könnte. Steimmeier ist eher der
argumentierende, der integrierende Typ, den man eigentlich als
Parteivorsitzender brauchte. Wenn sich das SPD-Personaltableau so
durchsetzt, wie es derzeit angedacht ist, hat die SPD mit Steinmeier
und Oppermann zwar in der Fraktion den rechten Flügel stark
vertreten. Doch in der Parteispitze würde es einen deutlichen Schritt
nach Links geben: Gabriel, der zwar kein Parteilinker ist, aber
flexibel genug, alles mitzumachen, würde eingemauert werden von einer
Andrea Nahles als Generelsekretärin sowie einem Klaus Wowereit und
einer Hannelore Kraft als Stellvertretenden Parteichefs.

Was braucht die SPD dringender: Mehr Guttenberg oder neue Inhalte?
Falter: Die SPD muss sich mit den Anforderungen der modernen
Gesellschaft auf eine Weise auseinandersetzen, die es ermöglicht,
dass der Markenkern der Sozialdemokratie erhalten bleibt,
gleichzeitig ihr Programm aber nicht als hoffnungslos veraltet
erscheint. Das ist ein relativ schwieriger Spagat. Mandelssohn oder
Hombach etwa haben es versucht. Und auch Steinmeier hat es umzusetzen
versucht. Die Agenda 2010 ist in gewisser Hinsicht eine
sozialdemokratische Antwort auf die gesellschaftliche Entwicklung.
Die Leute haben dies aber nicht kapiert, denn die Agenda ist, obwohl
sie in vielerlei Hinsicht erfolgreich war, nicht gut genug vermittelt
worden. Es wird also sehr schwer, den richtigen Weg zu finden. Wenn
man sich zur Linken öffnet, bedeutet das auch, Positionen der Ära
Schröder wieder aufzugeben, was mit Steinmeier schwer zu machen ist.
Es droht eine Zerreißprobe.

Die Linke fordert bereits eine ,,Resozialdemokratisierung" --
bestimmt jetzt Lafontaine wieder den Kurs der SPD?
Falter: In gewisser Hinsicht bestimmt er das mit großer
Geschicklichkeit. Die SPD lässt sich in ihrer Not auch darauf ein.
Mit anderen Worten: Die SPD wird in den Inhalten, vor allem aber im
Auftreten wieder linker werden und den Schulterschluss mit den
Gewerkschaften suchen. Die SPD wird versuchen, die Speerspitze einer
linken Koalition zu werden.

Linkspartei und Grüne sind erstarkt. Droht der SPD da nicht eine
Art Juniorrolle in der Opposition?
Falter: Nein, eine Juniorrolle sicherlich nicht, da die SPD doppelt
so viele Stimmen erhalten hat wie Linke und Grüne. Die SPD hat zwar
keine flammenden Rhetoriker wie Gysi oder Lafontaine, aber insgesamt
das deutlich größere Politikerpotenzial.

Per Definition ist die SPD aber keine große Volkspartei mehr.
Falter: Richtig. Was die Zahlen angeht, ist sie es nicht mehr. Vom
Anspruch her ist sie aber immer noch eine Volkspartei. Das
unterscheidet sie von der Linkspartei und den Grünen.

Glauben Sie, dass die SPD an alte Erfolge anknüpfen kann?
Falter: Die 30 Prozent sind sicherlich drin. Vor allem, wenn es
irgendwann zu einer Vereinigung der Linken kommen sollte.

Auf Dauer kommt die SPD also nicht daran vorbei, sich mit der
Linkspartei zusammenzutun?
Falter: Ja, wenn man will, dass die SPD wieder mehr als 30 Prozent
auf die Beine stellt. Ich glaube aber, dass es der SPD gelingen wird,
der Linkspartei eine Reihe von Wähler abzunehmen und auch Nichtwähler
zurückzugewinnen, wenn sie eine klare Oppositionspolitik betreibt.

Glauben Sie, dass die SPD unter ,,Erneuerung" einen Rückzieher bei
Hartz IV und der Rente mit 67 versteht?
Falter: Das kann sie eigentlich kaum machen, denn Steinmeier hat hier
klare Positionen. Und bei der Rente mit 67 gilt: Man kann nicht auf
Dauer gegen die Gesetze der Mahtematik verstoßen. Weniger Einzahler,
mehr Empfänger, längere Bezugsdauer -- ohne Gegensteuern bricht ein
umlagefinanziertes System irgendwann zusammen -- es sei denn, man
hebt das Rentenalter hoch. Insgesamt scheint mir mehr
Flexibilisierung nötig zu sein, aber am Prinzip muss die SPD
festhalten, sonst wird sie völlig unglaubwürdig.

Erstmals seit Jahren wird es wieder zumindest auf dem Papier zwei
Lager geben: Konservativ-liberal die Regierung, linksgerichtet die
Opposition. Ist diese klare Aufteilung geeignet, den Trend zu
sinkenden Wahlbeteiligungen zu stoppen?
Falter: Das kann in der Tat der Fall sein. Wenn es dazu kommt, dass
bei der nächsten Wahl eine linke Koalition gegen eine
Mitte-Rechts-Koaliton antritt, wissen die Wähler wieder, woran sie
sind. Es gibt klare Koalitionen, es wird klarere Alternativen geben
und nicht ein solches ,,Wischi-Waschi"", wie wir es in der Großen
Koalition erlebt haben. Wenn es dann auch noch interessante
Spitzenkandidaten gibt, dürfte die Wahlbeteiligung wieder steigen.

Das Interview führte Werner Kolbe

Originaltext: Landeszeitung Lüneburg
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/65442
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_65442.rss2

Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

228444

weitere Artikel:
  • N24-EMNID-UMFRAGE: Gabriel für SPD-Vorsitz geeignet / Mehrheit gegen "Linksruck" der SPD Berlin (ots) - Die Mehrheit der Deutschen glaubt, dass der derzeitige Umweltminister Sigmar Gabriel für das Amt des SPD-Vorsitzenden geeignet ist. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Emnid für den Nachrichtensender N24 erklärten 48 Prozent der Befragten, Gabriel sei für dieses Amt geeignet. Nur 34 Prozent halten Gabriel als SPD-Chef für ungeeignet. Die Wahlniederlage der SPD lasten die meisten Deutschen allerdings ohnehin nicht dem SPD-Spitzenpersonal an. Nur 28 Prozent geben den SPD-Führungspersonen die Schuld an der mehr...

  • Fischbach: Förderung von Mädchen zahlt sich aus Berlin (ots) - Das Projekt "FiT - Frauen in technischen Berufen" der Ford-Werke GmbH besteht in diesem Monat seit zehn Jahren. Dazu erklärt die Vorsitzende der Gruppe der Frauen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Ingrid Fischbach MdB: Herzlichen Glückwunsch an Ford zum zehnjährigen Geburtstag des Projekts "FiT - Frauen in technischen Berufen"! Mit seinem Einsatz hat das Unternehmen gezeigt, dass Mädchen sich auch für technische Berufe interessieren, wenn ihnen diese näher gebracht werden. Die Politik kann hier nur Anstöße geben. Es ist mehr...

  • Repräsentative Wahlstatistik für die Europawahl 2009 verfügbar Wiesbaden (ots) - Wiesbaden - Über die Hälfte der jungen Wählerinnen und Wähler zwischen 18 und 24 Jahren in Deutschland haben bei der diesjährigen Europawahl ihre Stimme kleineren Parteien gegeben. Für CDU/CSU und SPD stimmten in dieser Altersgruppe 49,4%. Dies teilt der Bundeswahlleiter aufgrund der nun vorliegenden Ergebnisse der Repräsentativen Wahlstatistik zur Europawahl am 7. Juni 2009 mit. Die Ergebnisse geben Aufschluss über das Wahlverhalten bei der Europawahl in Deutschland nach Geschlecht, nach Altersgruppen sowie nach der Struktur mehr...

  • Neues Deutschland: zum Koalitionsgerangel in Thüringen Berlin (ots) - Den politischen Wechsel wollte Thüringens SPD-Landeschef Christoph Matschie im Freistaat einleiten und das System Althaus beenden. Das jedenfalls versprach er im Landtagswahlkampf. Geglaubt haben es ihm offenbar nicht sehr viele. Seine Partei landete mit 18 Prozent auf Rang drei hinter CDU und LINKER. Das allerdings focht ihn nicht an, er wolle Ministerpräsident werden, tönte er nach dem Desaster immer noch. Mit dieser Option ging er in die Sondierungsgespräche. Er werde mit allen sprechen, kündigte er an und sonnte sich mehr...

  • Märkische Oderzeitung: Die Märkische Oderzeitung Frankfurt (Oder) kommentiert die Koalitionsentscheidung von Thüringens SPD-Spitze: Frankfurt/Oder (ots) - Wenn Matschie sich nun für die CDU entscheidet, dann kann er dafür zwar auch Argumente anführen - worunter jenes der größeren politischen Stabilität nicht zu verachten ist -, im Grunde aber handelt es sich um eine gesichtswahrende Operation für ihn selbst. Der Vorstand seines Landesverbands ist ihm dabei gefolgt, was nicht verwunderlich ist, weil er den Kurs bisher schon mitgetragen hat. Seine Partei aber setzt Matschie mit seiner Entscheidung einer argen Zerreißprobe aus, deren Ausgang noch keineswegs sicher ist. mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht