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Neue Westfälische: "Der Druck im Studium ist viel zu groß" INTERVIEW: Der scheidende Bielefelder Uni-Rektor Dieter Timmermann

Geschrieben am 30-09-2009

Bielefeld (ots) - Bielefeld. Der Rektor der größten Hochschule der
Region hat heute seinen letzten Arbeitstag. An der Universität
Bielefeld gibt Dieter Timmermann (66) nach neun Jahren das Amt ab.
Als Wissenschaftler bleibt er der Uni, die 40 Jahre alt wird,
erhalten. Mit ihm sprach unser Redakteur Elmar Kramer.

Herr Professor Timmermann, es liegt schon einige Jahre zurück,
trotzdem die Frage: Was haben Sie an Ihrem Studium genossen?
DIETER TIMMERMANN: Ich habe die vielen Freizeitmöglichkeiten in den
ersten Semestern geschätzt. Volkswirtschaftslehre war in Bonn ein
Studium ohne Zwischenprüfung, ohne Vordiplom. Es gab keinen
Studienplan, kein Curriculum. Ich habe viel Fußball gespielt. Was ich
genossen habe, war die kleine Lerngruppe mit vier, fünf Kommilitonen.
Das war üblich in den letzten Semestern. Da haben wir eigentlich erst
richtig studiert.

Sie haben auch über den Tellerrand geblickt?
TIMMERMANN: Ja. Das erste Jahr war ein Orientierungsjahr. Ich habe
Soziologie gehabt, Veranstaltungen in Kunstgeschichte gehört, in
Philosophie. Es ist ganz wichtig, das Studium als selbstständige
Auseinandersetzung mit den Dingen zu begreifen und nicht als Zeit, in
der man einfach dasitzt und zuhört.

Da wird mancher Bachelor-Student von heute neidisch.
TIMMERMANN: Ja, heute ist das leichter gesagt als getan, weil das
Studium so vollgepfropft ist.

Die Politik wollte mit der Einführung des Bachelors international
vergleichbare Studiengänge schaffen, die Wirtschaft jüngere
Absolventen haben.
TIMMERMANN: Ich muss heute feststellen, dass da einiges
schiefgelaufen ist. Die drei Bachelor-Jahre sind vollgestopft mit
Wissensvermittlung. Oft haben Studierende phantasielose Prüfungen,
manchmal nur noch Klausuren. Wir dürfen uns nicht wundern, wenn sie
oberflächlich und für die Klausur lernen.

Es dominieren Leistungspunkte.
TIMMERMANN: Leider. Heute kann man nicht die ersten Semester locker
angehen lassen, sondern muss von Anfang an Punkte sammeln. Sonst
verlängert sich das Studium - und das kostet Geld. Der Druck ist
groß, diszipliniert zu studieren. Deshalb brauchen wir eine Reform
der Studienreform.

Einen anderen Bachelor also?
TIMMERMANN: Ja. Wir sollten Studierende entlasten von einigen
Verpflichtungen, damit sie mehr Zeit für das eigene Lernen und für
den Blick über den Tellerrand haben. Wir müssen Studiengänge haben,
die Persönlichkeitsbildung und Wissenschaftsorientierung bieten. Und
in denen es weniger darum geht, für einen Beruf zu qualifizieren.

Aber das war doch Ziel des Bachelors?
TIMMERMANN: Ich glaube, dass eine Uni und auch eine Fachhochschule
nicht für Berufe qualifizieren kann. Höchstens für den Forscherberuf,
aber doch nicht für den Manager eines Handelsunternehmens.

Einspruch aus der Wirtschaft!
TIMMERMANN: Die oft gehörte Forderung nach mehr Praxisbezug ist genau
falsch. Ich bin gegen das enge Verständnis von Qualifizierung. Ein
Studium muss in erster Linie wissenschaftlich sein. Das setzt sich
langsam in der Wirtschaft durch.

Nähe zum Beruf auch nicht an Fachhochschulen, die ja Hochschulen
für angewandte Wissenschaften sind?
TIMMERMANN: Ja. Persönlichkeitsbildung durch Beschäftigung mit
Wissenschaft weckt und stärkt die kognitiven Kräfte. Das heißt nicht,
dass ein Hochschulprofessor seinen Studierenden nicht zeigt, wo eine
Theorie praktisch umgesetzt und wo sie relevant ist. Vielleicht nicht
bei theoretischen Physikern, die den Urknall erforschen, aber bei
Wirtschaftswissenschaftlern, die über Kostenrechnung sprechen. Eine
FH kann mit mehr Praxisbeispielen arbeiten, während die Uni mit
wenigen Beispielen in die Tiefe geht, ein höheres Abstraktionsniveau
bietet und Gesamtzusammenhänge darstellt.

Geht das in drei Jahren Studium?
TIMMERMANN: Nein. Wir werden einen Vier-Jahres-Bachelor brauchen. Am
besten mit vielen, die wie in den USA oder Kanada Fächer kombinieren.
Zum Beispiel dass jemand, der einen Bachelor in Psychologie und
Soziologie hat, den Master in Rechtswissenschaften macht. Mixturen
von Kompetenzen würden Deutschland guttun.

Wie sieht das ideale Studium der Zukunft aus?
TIMMERMANN: Es sollte die Lernkräfte der Menschen aktivieren, nicht
die Kraft, von einer Veranstaltung oder Klausur zur nächsten zu
jagen. Menschen sollten befähigt werden, mit anderen
zusammenzuarbeiten, zu diskutieren. Sie sollen sich richtig
reinwühlen in eine Materie und nicht nur an der Oberfläche bleiben.
Erst wenn Studierende das Gefühl haben, sich intellektuell entfalten
zu können, kommt Spaß am Lernen auf.

Originaltext: Neue Westfälische
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/65487
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_65487.rss2

Pressekontakt:
Neue Westfälische
Jörg Rinne
Telefon: 0521 555 276
joerg.rinne@neue-westfaelische.de


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