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Landeszeitung Lüneburg: VW-Gesetz wurde zum Stolperstein für Wiedeking -- Interview mit Prof. Dr. Stefan Bratzel

Geschrieben am 23-07-2009

Lüneburg (ots) - Der künftige integrierte VW-Konzern mit seinen
zehn Marken ist auf dem besten Weg, zum größten Autohersteller der
Welt zu werden. Nicht mit an Bord ist Wendelin Wiedeking. Das Ende
der Ära des einstigen Vorzeigemanagers begann, als das neue VW-Gesetz
die starke Stellung des Landes Niedersachsen bei VW zementierte.
Wiedekings größter Fehler war, dass er sicher war, dass das VW-Gesetz
kippen wird. ,,Damit stürzte das Kartenhaus zusammen", sagt der
Experte für Automobilwirtschaft, Prof. Dr. Stefan Bratzel, im
Gespräch mit unserer Zeitung.

Passen VW und Porsche nur gut zusammen oder gehören beide auch
historisch zusammen?
Prof. Dr. Stefan Bratzel: Die Unternehmen passen sehr gut zusammen
und profitieren wechselseitig voneinander. In den vergangenen Jahren
hat Porsche sehr stark von den Produktentwicklungen bei VW
profitiert. Das ist schon ein Hauptgewinn, der dadurch noch verstärkt
werden kann, dass Porsche in den VW-Konzern integriert wird. Das
erhöht die Möglichkeit zu Produkt"synergien noch weiter. Natürlich
muss in einem integrierten Konzern dafür gesorgt werden, dass Porsche
genug Freiheiten und Unabhängigkeit behält, damit die Marke keinen
Schaden nimmt.

Also analog zur Marke Audi?
Bratzel: Richtig. Das Beispiel Audi zeigt, dass dies möglich ist.

Glauben Sie, dass Porsche nach einer Eingliederung in den
VW-Konzern weiter einer der profitabelsten Autohersteller der Welt
bleiben wird?
Bratzel: Ich denke schon, dass das möglich ist -- wenn auch nicht in
der Größenordnung der vergangenen beiden Jahre, wo Porsche extrem
hohe Renditen erzielte. Die Traumrendite des vergangenen
Geschäftsjahres resultierte allerdings sehr stark aus den guten
Finanzgeschäften des Unternehmens. Porsche kann aber auch in Zukunft
hoch profitabel sein und gute Renditen erzielen, wenn dem
Sportwagenhersteller eine große Unabhängigkeit gewährt wird.

Nach dem Einstieg Porsches im September 2005 stieg der Kurs der
VW-Aktie von 44 auf dauerhaft deutlich über 200 Euro. Das bescherte
Porsche in den Folgejahren höhere Gewinne als Umsätze. Nun ist diese
,,Bilanzblase" geplatzt. Kann Porsche in den kommenden Jahren nur
noch dann viel Geld verdienen, wenn die Modellpalette ausgeweitet
wird?
Bratzel: Weiteres Wachstum ist wichtig für Porsche. Der hohe
Markenwert Porsches kann genutzt werden für weitere Modelle. Man muss
innerhalb eines VW-Konzerns aber aufpassen, dass die Überschneidungen
in der Produktpalette nicht zu groß sind und die Marke Porsche nicht
überdehnt wird. Die zuletzt horrend hohen Renditen, als der Gewinn
höher war als der Umsatz, wird man aber in naher Zukunft nicht mehr
erreichen können.

Ist der im Vergleich zu Daimler oder BMW sehr hohe VW-Aktienkurs
angesichts der großen Widerstandsfähigkeit gegen die Autokrise
gerechtfertigt?
Bratzel: Grundsätzlich muss man sagen, dass VW in der weltweiten
Absatzkrise eine hohe Widerstandsfähigkeit bewiesen hat. Zum Teil
liegt das am Glück, zum Teil aber auch am Geschick des Managements.
Glück deshalb, weil man noch nicht in den Märkten so aktiv ist, die
am stärksten zusammengebrochen sind -- dazu zählt vor allem der
US-Markt. Geschick, weil man sich langfristig an Wachstumsmärkte
gebunden hat und dort einen hohen Marktanteil hat -- wie etwa in
China. Der Aktienkurs ist jedoch sehr stark auch spekulativ
angeheizt.

Wendelin Wiedeking hatte in einem Interview gesagt, dass die
Übernahme von VW durch Porsche seine Idee gewesen und Ferdinand Piëch
eingeweiht gewesen ist. Unterschätzte Wiedeking Piëchs Ego?
Bratzel: Ich bin sicher, dass Herr Piëch ebenso in die Pläne
eingeweiht war wie Herr Porsche. Nach dem Motto ,,Ein Sieg hat viele
Gesichter" hätte Wiedeking keine Probleme gehabt, wenn seine Pläne
gut ausgegangen wären. Nun aber steht er als Manager da, der große
Fehler gemacht hat. Dazu zählt, dass man sich bei Porsche in einigen
Punkten verkalkuliert hat.

Unterschätzte der einstige Vorzeigemanager den Einfluss des Landes
Niedersachsen und der IG Metall bei VW?
Bratzel: Auf jeden Fall. Es war ein großer Fehler Wiedekings, den
Einfluss der IG Metall, der Betriebsräte von Volkswagen, des Landes
Niedersachsen mit dem Aufsichtsratsmitglied Christian Wulff und auch
die Auswirkung der unterschiedlichen Unternehmenskultur unterschätzt
zu haben. Der größte Fehler aber war, dass man sicher war, dass das
VW-Gesetz kippen wird. Als sich abzeichnete, dass das Gesetz vorerst
Bestand haben wird und damit kein Porsche-Beherrschungsvertrag bei VW
möglich ist, stürzte das Kartenhaus zusammen.

Hat Wiedeking mit zu offenen Karten gespielt, als er andeutete,
über einen Beherrschungsvertrag in die prall gefüllte VW-Kasse
greifen zu wollen, um so den Kauf der VW-Aktien zu refinanzieren?
Bratzel: Nein. Aber man kann Wiedeking vorwerfen, dass er
grundsätzlich nicht mit offenen Karten gespielt hat. So kam am Ende
das Gefühl auf, dass es sich um eine feindliche Übernahme handelt.
Das hat letztlich das Klima zwischen Porsche und Volkswagen
vergiftet.

Hat das VW-Gesetz auf Dauer eine Chance gegen den Widerstand der
EU-Kommission?
Bratzel: Das muss man abwarten, denn es gibt bei den Experten in der
Bundesregierung und in der EU-Kommission sehr unterschiedliche
rechtliche Einschätzungen. Auf Dauer dürfte es aber schwierig sein,
das VW-Gesetz zu halten.

Befürworten Sie den Einstieg Katars bei VW und Porsche?
Bratzel: Grundsätzlich ist es so, dass jeder Investor, jeder
Stakeholder, der zu einem Unternehmen hinzukommt, gewisse
Entscheidungs- und Verhandlungsprozesse verlangsamt. Sollte Katar
rund 20 Prozent übernehmen, wäre der VW-Konzern zwar nicht mehr
ausschließlich in europäischer Hand. Aber grundsätzlich kann man
gegen arabische Investoren nichts einwenden, denn es handelt sich um
langfristig denkende Investoren, mit denen vieles möglich ist.

Welche Motive stecken hinter einem Einstieg Katars?
Bratzel: Früher war klar: Arabische Investoren suchen langfristige
Anlagen und wollen das angelegte Geld auch gut verzinst sehen. Doch
meistens hielten sich die Investoren zurück und mischten sich nicht
in strategische Fragen des Unternehmens ein. Doch in den vergangenen
Jahren gab es einen Wandel. Die Araber setzen zunehmend auf neue
Technologien und wollen vom Know- how profitieren, damit sie bis zum
Ende des Erdöl-Zeitalters zukunftssichere wirtschaftliche Strukturen
aufgebaut haben.

Das heißt, Katar hat wirklich ein langfristiges Interesse?
Bratzel: Ja. Das belegen aber auch schon andere Investoren etwa aus
Kuwait und Abu Dhabi. Sie sind nicht am schnellen Geld interessiert,
sondern an einer soliden, langfristigen Verzinsung ihres
Kapitaleinsatzes.

Wie groß sind die Chancen, dass der VW-Konzern zum größten
Autohersteller der Welt wird?
Bratzel: Wenn keine Fehler gemacht werden, sind die Chancen in der
Tat recht gut. Es ist natürlich ein hehres Ziel, nicht nur einmal
kurzfristig die Spitze zu erobern, sondern sich über mehrere Jahre
als weltgrößter Hersteller zu behaupten. Doch der VW-Konzern hat die
besten Voraussetzungen dazu -- wenn er weiter daran arbeitet, seine
Prozesse zu verschlanken. Wenn er seine Flexibilität, die er erst in
den vergangenen Jahren entwickelt hat, beibehält. Und wenn weiterhin
eine gute strategische Planung angelegt wird, in der nach einem
Baukastenprinzip die Entwicklungen der verschiedenen Marken
vorangetrieben werden.

Meinen Sie mit Flexibilität auch die Modellpalette? Allein die
Marke Volkswagen will in den kommenden beiden Jahren mehr als 20 neue
Modelle herausbringen.
Bratzel: Sicher, das gehört dazu. Aber mit Flexibilität meine ich
auch das Reagieren auf Probleme, die entstehen können. So kommt es in
der derzeitigen Krise wesentlich darauf an, die Kosten schnell den
neuen Gegebenheiten anzupassen. Flexibel muss man auch in der
Produktion sein. Wer eine Vielzahl neuer Modelle herausbringen will,
muss dies auch managen können -- sowohl von der
produktionstechnischen Seite als auch von der Produktentwicklung her.
Nur wer all diese Fähigkeiten beherrscht, kann die Spitzenposition
erobern und behaupten.

Das Interview führte Werner Kolbe

Originaltext: Landeszeitung Lüneburg
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/65442
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_65442.rss2

Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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