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Landeszeitung Lüneburg: "Riss quer durch den Staatsapparat" - Iran-Experte Posch erwartet Schwenk zu autoritäreren Strukturen

Geschrieben am 25-06-2009

Lüneburg (ots) - Auf den Straßen Teherans löst Friedhofsruhe die
wütenden und blutigen Demonstrationen der jüngsten Tage ab. Das
Regime von Mahmud Ahmadinedschad und des ihn stützenden
Revolutionsführers Chamenei setzt die volle Staatsmacht zur
Unterdrückung der Protestbewegung ein. Die Hoffnung der ersten Tage
nach der zweifelhaften Präsidentenwahl, der Gottesstaat könnte sich
schnell demokratisieren, verfliegt. Dr. Walter Posch analysiert die
Lage im Iran für das österreichische Bundesheer. Er erwartet eine
Stärkung autoritärer Strukturen, zulasten demokratischer Elemente.

Westliche Regierungen neigten dazu, Iran als einheitlichen Block
wahrzunehmen. Entlarvt die Rebellion ihren Irrtum?

Dr. Walter Posch: Nein, nicht wirklich. Einerseits war die
Spaltung in Reformisten und Neo-Fundamentalisten, die von
Konservativen gestützt werden, schon immer bekannt. Und andererseits
sehen wir jetzt ein Zentrieren des Regimes auf die
neo-fundamentalistischen Kräfte, was gleichbedeutend mit einer
Verarmung des politischen Spektrums in Iran ist.

Der Schwenk zu den Neo-Fundamentalisten wird mit Gewalt vollzogen.
Reichen Tränengas, Prügeltrupps und Internet-Zensur, um die Rebellion
niederzuhalten?

Dr. Posch: Ich glaube nicht, dass es sich in Iran schon um eine
Rebellion handelt. Es ist vielmehr eine Bürgerbewegung im Entstehen.
Prügel, Tränengas und andere Einschüchterungsmaßnahmen reichen
natürlich nicht, um den Unmut zu unterdrücken. Deshalb wird das
Regime dort ansetzen, wo es die größte Gefahr wittert. Es wird den
Druck auf Hossein Mussawi und Mahdi Karrubi erhöhen, damit aus den
unumstrittenen Sprechern der Bewegung keine Führer werden, die diese
strukturieren und ihr Ziele geben können. Aktivisten aus der zweiten
und dritten Reihe sind bereits überwiegend verhaftet worden. Ziel des
Regimes ist, die Bewegung zu enthaupten, damit sie führerlos
ausbrennt.

Verpufft die Bürgerbewegung als Jugendrevolte oder besteht noch
die Möglichkeit, dass sie in eine Revolution mündet?

Dr. Posch: Das iranische Regime hat in fast allen Ebenen seines
Machtapparates Menschen, die bereits eine Revolution durchgeführt
haben. Die wissen folglich, was sie vermeiden müssen. Allerdings
bleibt der Iran ein Stück unberechenbar.
Doch nach den letzten Entwicklungen dürfte der Protest eher abebben.
Weil das Regime mit einer Mischung aus Brutalität, Repression und
Effizienz die Schwächen der noch in den Kinderschuhen steckenden
Bürgerbewegung reagiert.

Das iranische Regierungssystem mischt theokratische und
demokratische Elemente. Verschieben sich die Gewichte?

Dr. Posch: Ja, aber nicht unbedingt zugunsten der theokratischen
Elemente. Es ist eher eine Stärkung der autoritären, nicht-klerikalen
Machthaber zu verzeichnen. Indirekt wird damit der Apparat des
Revolutionsführers und der vom Militär dominierte Nationale
Sicherheitsrat gestärkt. Entsprechend wird das Parlament geschwächt.
Dies muss nicht Niederschlag in einer Verfassungsänderung finden,
doch in der Verfassungsrealität verblasst das demokratische Element.

Derzeit spielt der Wächterrat auf Zeit, will das endgültige
Wahlergebnis erst am Wochenende präsentieren. Ein Zeichen für
Uneinigkeit?

D. Posch: Nein, das erscheint mir eher ein taktisch-politisches
Manöver zu sein. Nachdem Mohsen Resai als erster unterlegener
Präsidentschaftskandidat seine Beschwerde gegen die Wahlergebnisse
zurückgezogen hat, soll nun den anderen Kandidaten Zeit für einen
Rückzieher gegeben werden. So könnten die Oppositionsführer von der
Bürgerbewegung abgespalten werden.

Wie verlaufen die Konfliktlinien zwischen Revolutionswächtern,
Mullahs, Händlerelite, Studenten?

Dr. Posch: Durch den Generationswechsel bei den Eliten sind
radikalere Kriegsteilnehmer an die Macht gekommen. Ihren Durchbruch
erlebten sie unter der Präsidentschaft von Mahmud Ahmadinedschad.
Zum zweiten verläuft ein Bruch im islamischen Lager -- zwischen den
Reformisten auf der einen Seite und Neo-Fundamentalisten und einigen
Konservativen auf der anderen. Die Reformisten wollen im Gottesstaat
mehr Teilhabe für die Bevölkerung und mehr Rechtsstaatlichkeit --
eine Demokratisierung ohne ein Jota Abstriche am Glauben. Ihre
Widersacher sehen dagegen im Staatsapparat vor allem ein Instrument
zur Durchsetzung der wahren Ideologie. In diesem Punkt stehen die
Reformisten in der Tradition Chomeinis, der eine breite Massenbasis
anstrebte, während die Neo-Fundamentalisten eine elitäre Ideologie
mit autoritären Mitteln durchzusetzen versuchen.
Dieser Bruch vollzieht sich durch alle Ebenen des
politisch-religiösen Milieus -- also auch im Beamtenapparat, bei den
Revolutionsgarden, den Elitetruppen der islamischen Revolution, und
den Basidschis, der paramilitärischen Miliz.

Revolutionsführer Chamenei hat die Rolle eines Mittlers zwischen
den Interessengruppen aufgegeben und klar für Ahmadinedschad Partei
ergriffen. Hat er sein Amt beschädigt?

Dr. Posch: Mit dieser eindeutigen Unterstützung eines Kandidaten
hat er das Amt zumindest neu interpretiert. Kombiniert man dies mit
der Aussage Ahmadindschads, der Iran stehe vor einer ganz neuen Ära,
und den länger bekannten neo-fundamentalistischen Bestrebungen, den
Iran in eine neue Herrschaftsform übergleiten zu lassen, scheint Iran
tatsächlich vor einem Umbruch zu stehen. Das republikanische Element
gerät unter Druck, das traditionell als Mittler auftretende geistige
Oberhaupt wird zu einem polarisierenden Revolutionsführer.

Bremst dieser Umbruch Irans Aufstieg zur regionalen Vormacht?

Dr. Posch: Einerseits würde einem sich auf Gewalt stützenden,
neofundamentalistischen Regime von den Nachbarn mit mehr Misstrauen
begegnet.
Anders sieht es beim Streitpunkt Atomprogramm aus: Gerade weil die
Leute an der Macht bleiben, die 2003 bis 2005 die Atomverhandlungen
hintertrieben haben, dürften die Chancen für eine Verhandlungslösung
steigen. Ein Reformer-Präsident hätte größere Schwierigkeiten als
Ahmadinedschad, Konzessionen innenpolitisch gegenüber den Extremisten
auch durchzusetzen.
Die arabischen Nachbarn stecken in einer Zwickmühle: Einerseits
lehnen sie das Regime Ahmadinedschad in Teheran ab, anderseits
fürchten sie, dass das persische Beispiel, sich alle paar
Generationen der Herrscher über eine Revolution zu entledigen, Schule
macht.

Demnach hätten sowohl Araber als auch die USA Interesse an einem
stabilisierten Iran...

Dr. Posch: ...Allerdings aus unterschiedlichen Motiven. Die
arabischen Autokraten wehren sich gegen die aus ihrer Sicht
skandalöse Idee, dass man Regierungen abwählen kann.
Die USA stecken in einem Dilemma: Sie bemühen sich ernsthaft um eine
gütliche Einigung im Atomstreit, eingebettet in globale Abrüstung und
eine grundsätzliche Lösung des Nahost-Konflikts. Innenpolitisch wäre
es allerdings für Obama leichter, müsste er nicht mit einem
Präsidenten verhandeln, dessen Image derart belastet ist wie das von
Ahmadinedschad.

Hat der Westen in Iran noch Einflussmöglichkeiten?

Dr. Posch: Kaum. Die traditionellen Einflussmöglichkeiten über
Geheimdienste oder Wirtschaftssanktionen hat die islamische
Revolution ausgehebelt. Teheran hat bewiesen, dass es
wirtschaftlichem Druck trotzen kann.
Es gäbe zwar durchaus gemeinsame Interessen mit dem Westen, etwa in
Afghanistan, dem Irak oder bei der Energieversorgung Europas. Doch
genau in diesen Punkten sehen sich Irans Machthaber am längeren
Hebel.
Es kann für den Westen allerdings ohnehin nicht darum gehen, dem Iran
seinen Willen aufzuzwingen. Nötig ist vielmehr eine in Verhandlungen
erreichte Übereinkunft in den Kernfragen regionale Sicherheit,
Atomkraft, Menschenrechte -- also im Wesentlichen die bisherige
EU-Politik. Nur ist eine solche Übereinkunft jetzt sehr viel
schwieriger geworden.

Originaltext: Landeszeitung Lüneburg
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/65442
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_65442.rss2

Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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