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DER STANDARD Kommentar "Vorwärts ins 19. Jahrhundert" von Helmut Spudich

Geschrieben am 09-06-2006

Von Wasser bis Stahl zeigt populistische Politik wieder den
nationalistischen Muskel

Wien (ots) - An manchen Tagen fühlt man sich beim Konsum der
Nachrichten wie bei einer Zeitreise in das 19. Jahrhundert: Eine
schwarz-rote Koalition von Landeshauptleuten schwingt sich dazu auf,
die OMV/Verbund-Fusion zu verhindern, weil in der Folge "unser
Wasser" an noch nicht bekannte Ausländer verkauft werden könnte. Der
Verkauf eines luxemburgischen Stahlkonzerns mit französischen Werken
an einen internationalen Konzern mit indischen Eigentümern muss um
jeden Preis verhindert werden - ebenso wie die Übernahme des
Börsenverbunds Euronext durch die New Yorker Börse. Eine
burgenländische Bank darf nicht an eine ukrainische gehen, selbst
wenn diese ein besseres Angebot legt.

So wie die Politik, die spätestens seit der Ablehnung der
EU-Verfassung durch französische und niederländische Referenden in
der Sackgasse steckt und wieder den nationalistischen Muskel zeigt,
wandelt auch Wirtschaftspolitik wieder auf nationalistischen Spuren.

Diese Regression in überwunden geglaubte Denkmuster ist deswegen
besonders paradox, weil Österreich wie die "alten" EU-15 die positive
Seite von Investitionen im Ausland zum eigenen Nutzen ausschöpfen
konnte. Österreichs Wirtschaft "ist wieder wer" - vor allem dank der
Expansion in die Staaten der früheren Monarchie - siehe OMV, siehe
Banken, siehe Mobilkom; unser Wachstum wurde überproportional aus
diesem Engagement gespeist.

Frankreichs Präsident scheint wenig Probleme damit zu haben, dass
der französische Telekom-Ausrüster Alcatel seinen US-Konkurrenten
Lucent übernommen hat oder dass die (weiterhin staatliche) EdF an
hiesigen Energieversorgern beteiligt ist. Aus Spanien war nichts
Negatives zur Übernahme eines britischen Mobilfunkers zu hören, wohl
aber ein Aufschrei, weil ein deutscher Energiekonzern einen
spanischen übernehmen will. Deutschland hat wenig Probleme damit
gehabt, dass sich Daimler die US-Auto-Ikone Chrysler einverleibte,
aber als der Stahlkonzern Salzgitter an ausländische Investoren gehen
sollte, war Feuer am Dach des Landes, das prompt seine Anteile
aufstockte.

Und so weiter und so fort. Das Phänomen ist natürlich nicht auf
Europa beschränkt - beim Kauf des US-Ölkonzerns Unocal durfte die
chinesische Cnooc nicht zum Zug kommen, und IBM durfte zwar seine
PC-Sparte an Lenovo verkaufen - dafür will das US-Außenamt jetzt die
(in Mexiko und den USA hergestellten) "chinesischen" Computer aber
nicht in seinen Netzen.

Es gibt ein Unbehagen in der Kultur, das zu solchen
nationalistischen Reflexen führt. Große internationale Konzerne, die
oft größere Umsätze als eine ganze Volkswirtschaft hervorbringen,
entziehen sich scheinbar der Regulierungsmacht von Staaten. Die
Gefahr ist viel leichter zu artikulieren als der mögliche Vorteil,
den solche Strukturen erbringen - effizientere Produktion und damit
billigere Güter, höhere Gewinne die nicht nur die "Heuschrecken",
sondern auch Pensionsfonds ernähren.

Für Politiker ist es jedenfalls leichter, die Ängste für
politisches Kleingeld und die eigene Jobsicherheit zu melken, als
sich der Herausforderung internationaler Verflechtungen zu stellen.
Das würde unter anderem verlangen, nationalistische Politik zugunsten
der EU als größerer Einheit zu verschieben - denn das Gegengewicht zu
Riesenkonzernen ist nicht im kleinen Nationalstaat zu finden.

Dabei schließt sich der Kreis zwischen populistischer Politik und
nationalistischer Wirtschaftspolitik: "Brüssel" als gut einsetzbares
Synonym für das Misstrauen gegen Größe in der Politik. Also
verteidigen wir, je nach Bedarf, "unser Wasser" und "unseren Stahl"
oder "unsere Atom- und Gentechnikfreiheit" oder "unsere Neutralität".

Aber der Globus ist rund, und wo Grenzen sind, gibt es den Drang,
sie zu überwinden. Im besten Fall lässt sich dieser Prozess
gestalten, und das ist nur im größeren Ganzen möglich. Die
schlechteste Alternative ist: sich abzukoppeln - das hat in der
Geschichte noch kein Land vorwärts gebracht.

Rückfragehinweis:
Der Standard
Tel.: (01) 531 70/445

Originaltext: Der Standard
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