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WAZ: Der Trend zu Bürgerinitiativen - Politisch und doch parteifern - Leitartikel von Tobias Blasius

Geschrieben am 22-08-2008

Essen (ots) - Politikverdrossenheit lautet der Sammelbegriff, der
von niedriger Wahlbeteiligung bis zum Mitgliederschwund der
Volksparteien alles zu erklären scheint. Wer jedoch die zahlreichen
lokalen Bündnisse und Initiativen sieht, die als bunte
außerparlamentarische Opposition aus Bürgern aller Milieus für oder
gegen ganz konkrete Projekte vor der eigenen Haustür mobil machen,
ahnt: Politikverdrossenheit ist keine politische Teilnahmslosigkeit,
sondern allenfalls ein Überdruss an Parteipolitik.

Im punktuellen Engagement vieler Menschen finden die
Individualisierung des Lebens und die Zersplitterung der Interessen
ihren Ausdruck. Kaum jemand bucht mehr ohne Not das parteipolitische
All-inclusive-Paket aus Papierkrieg, Protokollwesen und
Pöstchengeschacher. Die Bereitschaft, sich für Belange in seinem
Sprengel einzusetzen, folgt keiner Ideologie, keiner Sehnsucht nach
Gesinnungsbruderschaft, sondern purem Pragmatismus. Droht dem Kleinod
im Viertel der Abrissbagger, haken sich Rechtsanwalt und Rentner
ebenso schnell unter wie Handwerker und Hausfrau.

Die zumeist überalterten und personell ausgezehrten Parteien
müssen auf kommunaler Ebene erkennen, dass sie nicht länger einziger
Anker für die Organisationsfähigkeit von Nachbarschaften und
Interessengruppen sind. Die Kommunikationswege des Internets und das
große Reservoir an engagierten, artikulationsfähigen und doch
parteipolitisch ungebundenen Bürgern erhöhen die thematische
Umschlagsgeschwindigkeit: So schnell, wie sich hie und da Bündnisse
gegen Verwaltungspläne bilden und auflösen, kann keine Partei
reagieren.

CDU und SPD werden ihren Volkspartei-Charakter nur wahren können,
wenn sie sich stärker den lokalen Graswurzelbewegungen öffnen, ohne
sich in Einzelinteressen zu verlieren. Wer gleich mit dem
Gesinnungsverdikt "Lebenslänglich" droht oder dem Schriftführer,
wirkt auf Quereinsteiger mit ihrem Engagement auf Zeit wenig
attraktiv. Volksparteien wie CDU und SPD könnten die Dynamik der
direkten Demokratie und ihrer Köpfe furchtloser annehmen. Wenn es ums
Gestalten und Gemeinwesen geht, nicht bloß ums Verhindern
missliebiger Projekte, bleiben sie als Großorganisationen
unverzichtbar. Nur sie können Entscheidungen möglichst breit
legitimieren und durch die unverzichtbaren Strukturen der
repräsentativen Demokratie navigieren. Nur sie sind der Garant eines
gesellschaftlichen Ausgleichs. Der politische Diskurs vor Ort darf
nicht allein von der eher zufälligen Durchsetzungskraft einzelner
Initiativen abhängen.

Originaltext: Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/55903
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_55903.rss2

Pressekontakt:
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Zentralredaktion
Telefon: 0201 / 804-2727
zentralredaktion@waz.de


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