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Landeszeitung Lüneburg: ,,Bessere Kontrollen und Sanktionen nötig": Der WWF-Experte Volker Homes fordert von der Bonner Weltnaturschutzkonferenz Maßnahmen für einen besseren Artenschutz.

Geschrieben am 22-05-2008

Lüneburg (ots) - Die biologische Vielfalt der Erde ist bedroht.
Urwaldrodungen, Energiehunger, steigernder Flächenverbrauch und der
vom Menschen verursachte Klimawandel lassen immer mehr Arten
aussterben. Der Verlust der Artenvielfalt bedroht auch die Spezies
Mensch. Die Weltnaturschutzkonferenz in Bonn berät derzeit über
mögliche Schritte, um der bedrohliche Entwicklung Einhalt gebieten zu
können. Doch das Ziel, den Artenschwund bis 2010 stoppen zu können,
,,ist nicht realistisch", sagt der WWF-Experte, der Biologe Volker
Homes, im Gespräch mit unserer Zeitung.

Bundesumweltminister Sigmar Gabriel hat zum Auftakt der
Weltnaturschutzkonferenz die Staatengemeinschaft zum Handeln gegen
die Zerstörung des biologischen Reichtums der Erde aufgefordert.
Dabei haben vor 16 Jahren in Rio de Janeiro 150 Staaten eine
Konvention unterzeichnet, in der das weltweite Artensterben bis 2010
deutlich gebremst werden soll. Ist dieses Ziel noch realistisch?
Volker Homes: Ich glaube nicht, dass es realistisch ist. Selbst der
Bundesumweltminister hat schon zugegeben, dass es fast unmöglich ist,
dieses Ziel zu erreichen. Die Europäische Union hat 2002 beschlossen,
dass sie das Artensterben im Gebiet der EU sogar stoppen will.
Weltweit soll der Artenschwund deutlich reduziert werden. Doch selbst
das ist so ambitioniert, dass niemand ernsthaft daran glaubt. Es war
zwar gut, dass sich die Staatengemeinschaft bis 2010 ein solches Ziel
gesetzt hatte. Wenn die Anstrengungen aber auf diesem bisher manchmal
sehr kläglichen Niveau weitergehen, wird es nicht klappen. Die Roten
Listen werden länger, die Arten sterben weiter aus.

Rund 16000 von 40000 untersuchten Arten sind vom Aussterben
bedroht. Derzeit sind rund zwei Millionen Arten bekannt, Schätzungen
zufolge gibt es aber 10 bis sogar 100 Millionen Arten. Verführt diese
hohe Zahl nicht zur Gelassenheit?
Homes: Das ist genau das Problem: die meisten Arten sterben
,,still", oft genug gibt es nicht einmal ein Foto oder ein
Belegexemplar von einer ausgestorbene Art. Es scheint im ersten
Moment nicht weh zu tun, wenn eine Art ausstirbt. Vor allem wenn es
sich um eine kleinere Tierart wie ein Insekt handelt. Doch alle Arten
bauen ein ökologische Netz miteinander auf. Dieses ist für uns
Menschen das einzige, was wir haben auf der Welt. Wenn wir die Arten
verlieren, verlieren wir auch unsere Existenzgrundlage.

Das Artensterben bedroht also nicht nur ganze Ökosysteme, sondern
auch die Spezies Mensch?
Homes: Wir sind Teil des Ökosystems. Und wir haben noch nichts
erfunden, dass uns unabhängig von den Arten machen könnte: seien es
die Insektenarten zur Blütenbestäubung, funktionierende Ökosysteme,
die uns sauberes Wasser bescheren, uns Brennholz liefern oder uns vor
Krankheiten schützen.

In welchen Lebensräumen richten die Menschen denn die
verheerendsten Schäden an?
Homes: Vor allem in den so genannten Hot-Spots, also in Gebieten, wo
besonders viele Arten vorkommen. Das sind in erster Linie
Tropenregionen. Dort gibt es viele Endemiten, also Arten, die nur in
bestimmten Regionen der Erde vorkommen. Südostasien ist ein solcher
Hot-Spot. Hier gibt es viele Inseln mit Arten, die nur dort leben.
Auch der südostasiatischen Regenwaldgürtel in Ländern wie Myanmar,
Vietnam, Thailand und auch Indonesien ist ein Hot-Spot. Andere
gefährdete Gebiete sind die Tropenwaldgebiete in Zentralafrika im
Bereich Kongo und angrenzenden Ländern und in Süd- und Mittelamerika,
wo in Brasilien und den Nachbarstaaten die größten Regenwälder der
Welt stehen.

Brasilien gehörte damals zu den engagiertesten Nationen beim
Artenschutz. Doch heute wird der Amazonas-Regenwald im Rekordtempo
zerstört. Was sind Ihrer Meinung nach die Ursachen dieses Desasters?
Homes: Die Ursachen sind nach wie vor vielfältig. Letztlich geht es
aber immer um menschlichen Konsum. Viele Regenwaldgebiete müssen der
Landwirtschaft weichen. Dort wird dann zum Beispiel Soja angebaut
oder es entstehen Plantagen zur Produktion von Palmöl, um Biosprit
herstellen zu können.

Die USA haben gerade Eisbären unter Schutz gestellt. Doch im
gleichen Atemzug wird im Lebensraum der Eisbären nach Öl gebohrt.
Ersetzt hier wieder einmal Symbolpolitik umweltbewusstes Handeln?
Homes: Ich glaube Ja. Es ist ein Zielkonflikt, wenn man Eisbären
schützen will und daraus viele Schritte folgen müssten, zugleich aber
in seinem Lebensraum nach Öl bohrt. Allerdings wäre es unrealistisch,
einen Verzicht auf Ölförderung zu fordern. Auch der WWF würde das
nicht fordern. Aber wenn man Öl fördert, sollte man es nicht in
hochsensiblen Regionen tun oder aber für extrem hohe
Sicherheitsmaßnahmen sorgen. Denn wenn sich in Regionen wie der
Arktis ein Ölunfall ereignet, hätte das verheerende Folgen.

Schon jetzt richtet die Zerstörung der Natur Schäden von rund zwei
Billionen Euro pro Jahr an. Glauben Sie, dass sich irgendwann die
Erkenntnis durchsetzt, dass Artenschutz auch ökonomisch zwingend
geboten ist?
Homes: Ich hoffe Ja. Der WWF unterstütz Initiativen, den
ökonomischen Wert von Arten zu ermitteln. Geht zum Beispiel eine
Medizinal-Pflanzenart verloren, hätte dies Folgekosten: Zum Beispiel
durch den Aufwand, der betrieben werden muss, einen Wirkstoff-Ersatz
zu finden und zu produzieren. Welchen Wert haben Arten, die uns
helfen, Wasser zu reinigen? All das versuchen wir gerade zu
ermitteln. Die Europäische Union möchte noch auf der Konferenz
erstmals einen Bericht vorlegen, der den ökonomischen Wert der Arten
darstellt.
Würde das bedeuten, dass zum Beispiel der Leopard weniger wert ist
als Einzeller, Hauptbestandteile des Krills?
Homes: Das ist eine gute Frage. Greift es zu kurz, alles nur
ökonomisch bemessen zu wollen? Ich glaube, es wäre ein erheblicher
Verlust, wenn Teile der Schöpfung verloren gehen. Ich fände es zum
Beispiel schade, wenn ich meinen Kindern nicht mehr zeigen kann, wo
und wie Tiger in freier Wildbahn lebt. Es gibt neben dem ökonomischen
einen ethischen Wert, den wir Arten beimessen müssen. Ich glaube,
beides zusammen kann den Wert einer Art gut beschreiben.

Sind die Politiker weltweit bei der Abschätzung drohender Folgen
des Artensterbens und der Naturzerstörung schlichtweg überfordert
oder sind die Interessen der internationalen Wirtschaft einfach immer
noch zu groß?
Homes: Es kommt nicht nur auf den Willen der Politiker, sondern auf
den Willen der gesamten Bevölkerung an. Aber leider mangelt es häufig
immer noch an der Erkenntnis, wie wichtig die Artenvielfalt ist. Ich
hoffe aber, dass es eine ähnliche Entwicklung geben wird wie beim
Thema Klimawandel, wo heute wohl auch der letzte begriffen hat, was
das Klima für uns bedeutet und welche Gefahren bei einem drastischen
Klimawandel drohen. Der Wert der Biodiversität ist sehr gut
vergleichbar mit dem Wert, den das Klima für uns hat. Diese
Erkenntnis muss sich in den Köpfen der Bevölkerung und der Politiker
festsetzen und es müssen Taten folgen.

Auch deshalb, weil sich der Klimawandel direkt auf die
Biodiversität auswirkt?
Homes: Richtig, beides ist miteinander verkettet. Aber die
Erkenntnis, dass Arten uns Dienste erweisen, die wir sonst teuer
erkaufen müssten, hat sich noch nicht durchgesetzt.

Was sollte, was muss in Bonn beschlossen werden, um dem
Artensterben zumindest Einhalt gebieten zu können?
Homes: Generell müssen alle Aussagen oder Zusagen, die dort
getroffen werden, wesentlich besser überprüft werden können. Die
Biodiversitätskonvention CBD (Konvention von Rio) ist eine sehr
weiche Konvention, die dahingehend weiterentwickelt werden muss, dass
Zusagen auch iengehalten werden müssen Aber schon jetzt hat die
Konvention verschiedene vielversprechende Instrumente, kann zum
Beispiel über Finanzierungsmechanismen erreichen, dass Biodiversität
oder ein Schutzgebietsnetzwerk eingerichtet wird und erhalten bleibt.
Es geht nun darum, dass man alles, was man verspricht, auch einhält
und tatsächlich umsetzt. Das muss überprüfbar und sanktionierbar
sein.

Also im Gegensatz zum Kyoto-Protokoll, das von fast allen Staaten
ratifiziert worden ist, deren Ziele aber bei weitem verfehlt werden
dürften?
Homes: Ja. Wenn man sich die ganze Zeit etwas verspricht, es aber
nie gehalten und überprüft wird und schon gar nicht sanktioniert
wird, ist das ganze so butterweich, das man damit nicht zufrieden
sein kann. Wenn wir 2010 feststellen, dass wir das Ziel des
Artenschutzes weit verfehlt haben, hat man falsch gehandelt.

Können Sie sich ähnlich dem Emissionshandel ein Sys"tem
vorstellen, wo Länder, die es versäumt haben, ein Tierart zu retten,
in irgendeiner Form für Ausgleich sorgen müssen?
Homes: Ja, natürlich. Dabei sollte es aber eine Kombination aus
Anreiz- und Sanktionsmaßnahmen sein. So sollten die ärmeren Ländern
in den Tropen, die eine hohe Biodiversität und damit eine hohe
Verantwortung haben, Unterstützung erhalten. Wird dann nicht richtig
gehandelt, muss es Sanktionsmöglichkeiten geben.

Das Interview führte Werner Kolbe

Originaltext: Landeszeitung Lüneburg
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/65442
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_65442.rss2

Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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