(Registrieren)

Der Tagesspiegel: Die Grauen machen weiter Bundesverband löst sich wegen Millionenschulden auf, doch in Berlin wird eine Nachfolgepartei gegründet

Geschrieben am 28-02-2008

Berlin (ots) - Bei etablierten Parteien würde ein Wahlspruch wie
"Poppen für 'ne sichere Rente?" glatt durchfallen. Den Berliner
Grauen aber hat dieser Slogan, rot gedruckt auf 6000 Plakate, erst
Aufsehen und dann den größten Erfolg ihrer Parteigeschichte gebracht:
3,8 Prozent gewannen sie 2006 bei der Abgeordnetenhauswahl und zogen
in acht Bezirksverordnetenversammlungen ein. "Das war der
Oberhammer", sagt der Landes- und Reinickendorfer Kreischef Norbert
Raeder. Ein ganz anderer Hammer kommt heute auf den 39-Jährigen zu:
die Auflösung der Bundespartei wegen Zahlungsunfähigkeit und
Ermittlungen gegen frühere Vorstandsmitglieder wegen Spendenbetrugs.
8,5 Millionen fordert der Bundestag zurück. Raeder, der Ende Januar
nach nur vier Monaten Amtszeit als Bundesvorsitzender zurückgetreten
war und nichts mit den Ermittlungen zu tun hat, will sich seinen
Erfolg nicht kaputtmachen lassen: "Wir machen hier weiter und werden
uns umbenennen", sagt er. Die neue Partei soll "Die Grauen -
Generationenpartei" heißen. Mit dem geschützten Titel "Graue Panther"
aber wird Schluss sein.
Vor 14 Jahren kam Raeder, aufgewachsen in einem SPD-Elternhaus in
Wedding, zu den Grauen. Aus einer Gruppe von acht Mann machte der
gelernte Pharmakant einen 500 bis 800 Mitglieder starken
Landesverband. "Eher 500 als 800", sagt er. Das Durchschnittsalter
liegt bei 40 Jahren. Jeder Kreisverband fasst seine eigenen
Beschlüsse. "Wir reden nicht, sondern tun was. Ich bin der direkte
Typ und habe keine Lust auf Selbstdarstellungsgequatsche", sagt er.
Worin Raeder den Erfolg der Berliner Grauen sieht? "Wir sind ehrlich.
100 Prozent." Einem Typen mit Mut zur Vokuhila-Frisur, vorne kurz,
hinten lang, nimmt man das ab.
"Es sind immer die Kleinen, denen man auf die Nase haut." Da denkt
der Wirt der Reinickendorfer Musikkneipe "Kastanienwäldchen" in
erster Linie an die vielen Kneipiers in Berlin und an das
Rauchverbot. Deshalb hat er schon mehrere Demos in Spandau, Mitte und
Schöneberg organisiert, und eine richtig große Demo vor dem Roten
Rathaus ist bereits in Planung. "Rauchverbot ist für unsere Wirte der
Tod", stand auf einem der Demo-Plakate.
Landespolitik ist für die Grauen noch weit weg. Damit befasst sich
der Landesverband kaum. "Zum Glück hatten wir bei den Wahlen nicht
den Sprung ins Abgeordnetenhaus gemacht. Das hätten wir nicht
geschafft", sagt Raeder. Wer von "Null auf 100" neu startet, müsse
das erst lernen, die Politik, die Strukturen - und die richtige
Formulierung.
Eine der ersten Fragen von Raeder in der BVV betraf den
Neujahrsempfang der CDU-Bezirksbürgermeisterin Marlies Wanjura. Wer
habe den gezahlt? Die Frage war unglücklich formuliert, wurde als
Korruptionsvorwurf verstanden. Erst später wurde der tatsächlich
merkwürdige Umgang Wanjuras mit Spenden und Sponsorengeldern bekannt,
den jetzt Rechnungshof und Staatsanwaltschaft prüfen. Dass kommende
Woche die SPD eine Sonder-BVV dazu einberufen hat, halten die Grauen
aber für sinnlos. "Das wird eine Schlammschlacht. Wir sollten das
Ergebnis der Prüfung abwarten", sagt Grauen-Fraktionschef Michael
Schulz.
Die Zusammenarbeit mit den anderen Fraktionen sei nicht schlecht.
"Persönlich sind sie nett. Wir haben einen lockeren Umgang", sagt
SPD-Fraktionschef Sascha Braun. Aber ein Thema, mit dem sich die
Grauen profiliert hätten, fällt ihm nicht ein. "In der Sache sind sie
unscheinbar bis nicht vorhanden, politisch eher dünn." André Meral,
BVV-Mitglied der Grünen in Tempelhof-Schöneberg, sagt: "Man weiß
nicht, was sie wollen. Es ist Glückssache, wie sie reagieren. Sie
melden sich kaum, sind teils konfus und heterogen." Der Schöneberger
SPD-Fraktionschefin Elke Ahlhoff fehlt eine "Programmatik. Sie sind
sehr kleinteilig und wenig wahrnehmbar." Dass die politische Linie
fehlt, hört man auch aus der Pankower SPD.
Eine klare Antwort auf die Frage, wo die Grauen politisch stehen, hat
Landeschef Raeder auch nicht. Man wolle "frei bleiben" und "direkte
Politik" machen: sich für Tempo 30 in kleinen Straßen einsetzen,
Jugendliche im Park ansprechen, dass sie die Bänke nicht schmutzig
machen, Missstände in Altenheimen anprangern, Zeichen setzen gegen
Unterrichtsausfall, kurz: generationenübergreifende Themen anpacken.
So fordern die Grauen sowohl eine "Heimpolizei", die unangemeldet
Altenheime kontrolliert, als auch kostenloses Schulessen. Die Grauen
wollen Tempelhof offenhalten, "nicht, weil wir Wowereit nicht mögen",
sagt Raeder, "aber der Flughafen ist Tradition."
Es ist eine Mischung aus Ernsthaftigkeit, Basisdemokratie und einem
Schuss Naivität, mit der die Grauen sich im politischen Leben
bewegen. Ob sie überleben werden, ist für Norbert Raeder nicht die
Frage. Er frotzelt: "Allein durch unsere Anwesenheit haben wir ein
Umdenken bewirkt. Dafür müsste man schon das Bundesverdienstkreuz
bekommen."

klaus kurpjuweit
Der Tagesspiegel
Berlin-Redaktion
Tel.: 030/26009 337
Fax: 030/26009 415

Originaltext: Der Tagesspiegel
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/2790
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_2790.rss2

Pressekontakt:
Der Tagesspiegel
Chef vom Dienst
Thomas Wurster
Telefon: 030-260 09-308
Fax: 030-260 09-622
cvd@tagesspiegel.de
 


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

122667

weitere Artikel:
  • Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Russland-Wahl Bielefeld (ots) - Faire und demokratische Wahlen sehen anders aus: Mit den Duma-Wahlen im Dezember haben wir den ersten Akt eines großen Schauspiels zum Machterhalt Wladimir Putins erlebt. An diesem Sonntag wird in Russland mit den Präsidentenwahlen der zweite Akt aufgeführt. Hauptdarsteller auf der Bühne wird zwar Dmitri Medwedew sein, dessen deutlicher Sieg außer Frage steht. Doch das Drehbuch hat auch Putin geschrieben. Und er wird sich auch unter einem Präsidenten Medwedew nicht damit zufrieden geben, nur Regieassistent zu sein. Medwedew mehr...

  • Kölnische Rundschau: Kommentar Kölnische Rundschau Köln (ots) - Keine Schweigepflicht JENS MEIFERT zu Behandlungsfehlern Mit dem Krankenhaus ist es wie mit der Deutschen Bahn. Nicht jeder kennt das In nenleben, aber fast jeder weiß etwas dazu zu sagen. Meist ist es nichts Gutes. Auch diesem Umstand ist das Klischee zu verdanken, dass man erst im Krankenhaus so richtig krank werde. Das gestrige Outing von 17 an erkannten Medizinern und Pfle gern dürfte diesen Eindruck eher bestätigen. Dennoch ist der Schritt in die Öffentlichkeit richtig. Vertrauen in die Ärzte schaft wächst ja nicht mehr...

  • Wiesbadener Kurier: Kommentar zu Hessen/Regierungsbildung Wiesbaden (ots) - Der Tag rückt näher, an dem die SPD Klartext sprechen muss. Die fortwährenden Avancen in Richtung FDP wirken mit der Zeit lächerlich, das Angebot an die CDU täuscht vor, was in Wahrheit nicht vorhanden ist: die Bereitschaft, eigene Positionen aufzugeben und noch wichtiger den Führungsanspruch der SPD zur Debatte zu stellen. Man kann darüber streiten, ob nun Roland Koch oder Andrea Ypsilanti vom Wähler beauftragt wurde, die nächste Regierung zu führen. Aber solange beide dies für sich beanspruchen, ist eine Einigung mehr...

  • Stuttgarter Nachrichten: zu Schmiedel: Stuttgart (ots) - Eines hat er erreicht: Der Eklat im Landtag verschafft ihm öffentliche Aufmerksamkeit. Ein furioser Start, zweifellos. Doch um welchen Preis? Der Nazi-Vergleich kostet Schmiedel Sympathie, denn wer die Äußerung des Ministerpräsidenten über seinen Gegenspieler nachliest, braucht viel Fantasie, um darin Nazi-Vokabular zu entdecken. Und er lässt die CDU zusammenrücken, die doch zuletzt gar nicht mehr so überzeugt war von ihrem Vormann. Originaltext: Stuttgarter Nachrichten Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/39937 mehr...

  • LVZ: Leipziger Volkszeitung zu möglichen Koalitionen Leipzig (ots) - Von einer "Geisterfahrt" spricht Michael Naumann. Er meint die Linkspartei-Wackelei seines Vorsitzenden. Naumann irrt. Kurt Beck befolgt die Gesetze der Machtpolitik. Er hat, nur dieser Vorwurf trifft, am Ende vielleicht nicht genügend eigene Courage. Und er steht einer SPD vor, in deren Führung nur wenige die nötige Härte im Kampf haben. Die Wahlergebnisse von Hessen und die von Hamburg werfen eine zentrale Frage auf:Welcher der politischen Akteure verfügt über die notwendige Machtkompetenz, um Lösungen im neuen Mehrparteien-System mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht