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Leitartikel zu Populismus/Demokratie: Die Demokratie zeigt, was sie kann von Christine Straßer

Geschrieben am 14-07-2020

Regensburg (ots) - Im Exil in den USA gab Thomas Mann vor rund 70 Jahren Kontra. Fünf Reden hielt der berühmte, vor den Nazis aus Deutschland geflüchtete Literat in der Library of Congress. Sie waren durchdrungen von seiner großen Bewunderung für die Vereinigten Staaten und für die Demokratie. 1943 sagte Mann: "Es ist ein schreckliches Schauspiel, wenn das Irrationale so populär wird." Das Literaturhaus München bringt in einer Ausstellung diese Reden gerade zurück ins Bewusstsein. Die Ausführungen des Schriftstellers und sein Eintreten für die Demokratie sind von inspirierender und irritierender Aktualität. Es sind vor Jahrzehnten ausgesprochene Gedanken. Aber wenn man es nicht wüsste, könnte man meinen, sie seien Kommentare zur gegenwärtigen Lage. Gerade erleben wir wieder, dass die Grundwerte der Demokratie in Frage gestellt werden. Populismus und Nationalismus setzen demokratische Systeme schon seit einiger Zeit unter Druck. Die Corona-Pandemie befeuert nun zusätzlich Zweifel. Stärkt oder schwächt das Virus den gesellschaftlichen Zusammenhalt? Auf beiden Seiten des Atlantiks ist die Demokratie herausgefordert. Das Gute daran ist: Die Demokratie zeigt gerade auch, was sie kann. Stellt man den Deutschland-USA-Vergleich derzeit an, fällt eines besonders auf: Die USA werden zwar von einem prahlenden Präsidenten regiert. Aber recht viel mehr als heiße Luft kommt dabei nicht heraus. In der Corona-Krise herrscht unter Trump in Wahrheit erschütternde Inkompetenz, während gleichzeitig die Zahl der Neuinfektionen in die Höhe schießt. Dass der Staat dort überhaupt noch funktioniert, liegt daran, dass Trump nicht kann, wie er gerne möchte. Denn er ist in ein demokratisches System der Gewaltenteilung und der wechselseitigen Kontrolle eingebunden. Diese Grundpfeiler des amerikanischen Regierungssystems kann nicht einmal ein Populist wie Trump einfach außer Kraft setzen. Die Demokratie wehrt seinen Populismus und seinen Nationalismus ab. Am Beispiel Deutschland hingegen lässt sich erkennen, welchen Wert ein besonnener Führungsstil wie der von Kanzlerin Angela Merkel hat. Uneitel führte sie die Bundesrepublik bislang durch die Krise. Die vergangenen Monate haben Merkel, die fast schon auf das Abstellgleis der ausscheidenden Politiker verfrachtet schien, seltsam gestärkt. Jetzt ist man irgendwie doch recht froh, dass sie noch da ist. Auch in Europa. Welche Chance liegt darin, dass Deutschland Anfang des Monats die EU-Ratspräsidentschaft übernommen hat. Merkel traut man zu, dass sie die Gemeinschaft zusammenhalten kann. Wie beruhigend ist es doch, jemanden an der Schaltzentrale der Macht zu wissen, der jeden Schritt sorgsam abwägt. Auch das ist im Übrigen eine Stärke der Demokratie: Hier kann nicht mit einem Basta durchregiert werden. Wir haben - und viele auch zum ersten Mal - erlebt, dass Grundrechte eingeschränkt wurden. Diese Erfahrung hat Menschen tief getroffen, aber dann haben wir auch erlebt, wie sie wieder zurückkommen. Widerspruch und Protest waren und sind möglich. Die Demokratie ist eben nicht einfach eine Staatsform, in der Mehrheiten ihren Willen durchsetzen. Die Vertreter der Regierung müssen sich in einer Demokratie vor denen rechtfertigen, die unter einer ungleichen Ressourcenverteilung zu leiden haben. Denn das ist ja auch klar: Corona hat Unterschiede aufgezeigt und vertieft - zwischen Arm und Reich, zwischen Gesund und Krank, zwischen Jung und Alt. Thomas Mann hat auch in dieser Hinsicht - diesmal in seiner Rede im Jahr 1938 - Bemerkenswertes gesagt, das wie für diese Zeit gedacht scheint: "Es ist mit der Selbstverständlichkeit der Demokratie in aller Welt eine zweifelhafte Sache geworden. Es ist die Stunde gekommen (...) für eine Selbstbesinnung der Demokratie, für ihre Wiedererinnerung, Wiedererörterung und Bewusstmachung - mit einem Wort: für ihre Erneuerung im Gedanken und im Gefühl."Das ist jetzt die Aufgabe.

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