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Herumdoktern am System / Die Grundrente kommt. Sie ist ein weiterer untauglicher Versuch der SPD, das ungeliebte schrödersche Erbe hinter sich zu lassen. Leitartikel von Heinz Gläser

Geschrieben am 07-02-2020

Regensburg (ots) - Es liegt kein Segen auf diesem Projekt. Zuletzt grätschte
Österreichs Kanzler Sebastian Kurz entschieden dazwischen, als er anlässlich
seines Besuchs bei Angela Merkel ein glasklares Nein zu den deutschen Plänen für
eine Finanztransaktionssteuer auf Aktienkäufe formulierte. Dabei will
Finanzminister Olaf Scholz aus den Einnahmen zumindest teilweise das
sozialdemokratische Herzensanliegen Grundrente finanzieren. Ein EU-weiter
Konsens in der Frage der sogenannten "Börsensteuer" ist jedoch nicht in Sicht.
Derweil ebbt in den Reihen des Koalitionspartners CSU/CSU - und in der
Opposition sowieso - der Widerstand gegen die große Sozialreform nicht ab.
Schützen- und Argumentationshilfe kam ausgerechnet von der Deutschen
Rentenversicherung, deren Experten massive organisatorische,
verfassungsrechtliche und finanzielle Bedenken äußern. Der erwünschte
Starttermin am 1. Januar 2021 wackelt, zumal kein Mensch vorherzusagen vermag,
wie lange die große Koalition noch durchhält. Damit nicht genug der Gemengelage,
forderte der neue SPD-Chef Norbert Walter-Borjans Nachbesserungen an der in der
Regierung mühsam ausgehandelten Kompromisslösung. Und sogar der
Ex-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel mäkelt am Genossen und Bundesarbeitsminister
Hubertus Heil herum, wenn er sagt, dass bestimmte Aspekte der Grundrente
"langjährigen Beitragszahlern der Rentenversicherung unfair vorkommen dürften".
Dabei sollte es doch bei der von Heil plakativ so getauften "Respektrente" genau
darum gehen, mehr Fairness walten zu lassen. Menschen mit geringen Renten, die
sich ein Leben lang abgerackert und mindestens 33 Jahre Beiträge entrichtet
haben, sollen im Ruhestand mehr als die als Sozialleistung bei Bedürftigkeit
gewährte Grundsicherung im Portemonnaie haben. Ein hehres Anliegen in Zeiten, in
denen drohende Altersarmut als drängendes Thema in der Mitte der Gesellschaft
angekommen ist. Sicherlich liegt bei dieser Frage der Teufel im Detail.
Allerdings doktert das sozialdemokratische Lieblingsprojekt Grundrente abermals
an einem System herum, dessen Grundlagen erodieren. Sympathien oder gar
Wählerstimmen dürfte die SPD ohnehin nicht ernten, jedenfalls nicht wie erhofft
auf breiter Front. Unter ihrer maßgeblichen Regierungsbeteiligung waren sowohl
die Anhebung des Rentenalters als auch die Absenkung des allgemeinen
Rentenniveaus beschlossen worden. Und ihre eindringlichen Appelle, privat fürs
Alter vorzusorgen, konterkarierte die Regierung Schröder prompt, indem sie
Betriebsrentnern die volle Beitragspflicht in der gesetzlichen Kranken- und
Pflegeversicherung aufbürdete. Insofern ist die "Respektrente" lediglich ein
weiterer Anlauf der SPD, das ungeliebte schrödersche Erbe hinter sich zu lassen.
Unausgegoren sind die Pläne außerdem, auch wenn sie schon zur Gesetzesreife
gediehen sind. Hinter der praktischen Umsetzbarkeit stehen weiterhin große
Fragezeichen. Eine umfassende Einkommensprüfung, wie vorgesehen, erfordert einen
enormen Datenaustausch zwischen der Rentenversicherung und den Finanzämtern, wie
er bislang nicht praktiziert wurde. Ob es das Millionenheer derer, die als
Geringverdiener 45 Jahre und länger brav ihre Beiträge entrichtet haben und
letztlich lediglich Rentenansprüche knapp über der Grundsicherung erworben
haben, die "Respektrente" fair finden werden, steht dahin. Sie dürften sie eher
als Zeichen mangelnden Respekts vor ihrer persönlichen Lebensleistung deuten.
Die Grundrente, so sie denn wie jetzt festgezurrt am Mittwoch kommender Woche im
Kabinett beschlossen wird, dürfte eine der letzten Wegmarken auf dem unendlich
langen Weg zu einer echten Reform des Rentensystems in diesem Land sein. Eine
solche ist überfällig, sei es durch die seit langem diskutierte Einbeziehung von
Selbstständigen und Rentnern, sei es über den Aufbau eines Staatsfonds nach
norwegischem Vorbild. Der Blick ins benachbarte Ausland lehrt, dass es
Alternativen zum deutschen Rentensystem gibt. Bislang gebricht es am politischen
Willen und an der Durchsetzungskraft, die Systemfrage zu stellen. Doch der
rasante digitale Wandel der Berufswelt wird Antworten unausweichlich machen.
Andernfalls bleibt das Thema Altersarmut ein Konjunkturprogramm für Populisten.

Pressekontakt:

Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de

Weiteres Material: https://www.presseportal.de/pm/62544/4514721
OTS: Mittelbayerische Zeitung

Original-Content von: Mittelbayerische Zeitung, übermittelt durch news aktuell


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