(Registrieren)

Mittelbayerische Zeitung: Die GroKo wackelt weiter. Der Kompromiss zur Grundrente macht keine Fraktion richtig glücklich. Die Große Koalition bleibt eine fragile Konstruktion. Von Claudia Bockholt

Geschrieben am 11-11-2019

Regensburg (ots) - Der gordische Knoten sei durchschlagen, frohlockte Annegret
Kramp-Karrenbauer. Einen "sozialpolitischen Meilenstein" feierte SPD-Chefin Malu
Dreyer. Doch außerhalb des illustren Zirkels der Koalitionäre, die den
Kompromiss zur Grundrente am Sonntag schlussendlich doch noch ausgehandelt
haben, blieb der Konfettiregen aus. Schon am Tag danach ist klar: So richtig
glücklich ist mit dieser Einigung kaum jemand. In der Bevölkerung freuen sich
zwar die einen über ein kleines Plus auf dem Konto ab 2021 - andere kritisieren
allerdings schon die Folgekosten für die kommenden Generationen. Und viele
Genossen fragen bereits jetzt, was eigentlich mit denen ist, die nur 34 Jahre
Beiträge gezahlt haben. Denn es ist ja klar, dass es für einige Rentner, vor
allem Frauen, trotz Anrechnung von Erziehungs- und Pflegezeiten nicht ganz
reichen wird. Nicht wenige Unionsabgeordnete verlangen derweil Rechenschaft
darüber, warum die SPD nun doch ohne Bedürftigkeitsprüfung davongekommen ist,
obwohl die doch im Koalitionsvertrag festgeschrieben wurde. Der
Wirtschaftsflügel soll sich bereits im Vorfeld mit einem mehr drohenden als
mahnenden Brandbrief an die Kanzlerin gewandt haben. Und Fraktionschef Ralph
Brinkhaus räumte am Sonntagabend ein, dass in Teilen der CDU und CSU noch
einiges an "Überzeugungsarbeit" geleistet werden müsse. Es grummelt weiter.
Weder in der SPD noch in der CDU verstummen die Kritiker der andauernden
wässrigen Kompromisspolitik. Im Gegenteil. Wer gedacht hatte, die Einigung in
letzter Sekunde würde der GroKo neue Stabilität verleihen, sieht sich getäuscht.
Das liegt auch daran, dass sowohl die SPD als auch die CDU vor wichtigen,
vielleicht richtungsweisenden Parteitagen stehen. Die SPD muss dringend eine
Führungsspitze finden, die sie vor dem endgültigen Absturz in die
Bedeutungslosigkeit bewahrt. Allein die Grundrente, die sie jetzt auf Biegen und
Brechen durchgesetzt hat, wird die SPD nicht retten. Schließlich haben auch ihre
bisherigen unbestrittenen sozialpolitischen Erfolge als Mit-Regierungspartei den
Niedergang nicht verhindert. In der CDU werden unterdessen die Stimmen derer
immer lauter, die fürchten, dass die Christdemokraten ebenfalls vom Sog der
ungeliebten Koalition in die Tiefe gezogen werden. Fast zwölf Prozentpunkte
Verlust bei der Wahl in Thüringen betrachten sie als Menetekel. Erst wurden die
Sozialdemokraten in Angela Merkels Umarmung langsam erstickt. Nun droht selbst
die eigene Partei an der müde gewordenen Kanzlerschaft Merkels, ihrem zuletzt
konturlosen, nur noch als Strippenziehen im Hintergrund wahrgenommenen Regieren
Schaden zu nehmen. Da nützt all der öffentlichkeitswirksame Jubel, die zur Schau
gestellte Eintracht nichts. Die Regierungsparteien selbst haben die Grundrente
in den vergangenen Monaten zum Schicksalsthema hochgejazzt. In weiten Teilen der
Bevölkerung sieht man das nüchterner. Die SPD-Klientel, der die "Respekt-Rente"
in erster Linie zugutekommen soll, fragt sich durchaus auch, wie gerecht ein
Wohlfahrtsstaat tatsächlich ist, der seine Segnungen mit der Gießkanne verteilt
und der offenbar nicht danach fragt, ob das alles auch nach der laufenden
Legislatur noch finanzierbar ist. Die Mittelschicht mit ihren weder ganz kleinen
noch ganz großen Einkommen, die in Deutschland besonders stark mit Steuern und
Abgaben belastet ist und von dem Segen bisher wenig abbekommen hat, fragt sich
das schon länger. Nein, die GroKo hat keinen Knoten durchschlagen, sondern nur
an einem heillos verwirrten Knäuel gezupft. Statt des großen Wurfs ist ein
kleiner Schritt gelungen - und in welche Richtung der führt, weiß vielleicht
nicht einmal die Regierung selbst.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de

Original-Content von: Mittelbayerische Zeitung, übermittelt durch news aktuell


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

709918

weitere Artikel:
  • Westfalen-Blatt: Kommentar zu Gemeinnützigen Männervereinen Bielefeld (ots) - Wenige Tage vor Beginn der Abstimmung um den SPD-Parteivorsitz schaltet Olaf Scholz in den Wahlkampfmodus. Der Finanzminister, der gemeinsam mit seiner Kollegin Klara Geywitz zur Stichwahl antritt, nimmt reine Männervereine ins Visier. Nehmen diese keine Frauen auf, soll ihnen die Gemeinnützigkeit entzogen werden. Die Folge: der Verlust von Steuervorteilen. Mit seinem Vorstoß dürfte Scholz, der immer wieder betonte Feminist zu sein, das Herz der Sozialdemokraten getroffen haben. Schließlich spricht der Finanzminister mehr...

  • Westfalen-Blatt: Kommentar zu Betriebsrenten Bielefeld (ots) - Ein Kompromiss ist ein Kompromiss. Gerechtigkeit sieht manchmal anders aus. Gerecht wäre es gewesen, die doppelte Beitragspflicht für die Bezieher von Betriebsrenten ganz abzuschaffen. Schließlich gibt es keinen Grund außer dem Geldbedarf der Krankenversicherer, dass Bezieher dieser Form privater Altersvorsorge auch für den Arbeitgeberanteil und damit doppelt zur Kasse gebeten werden. Doch Angela Merkel und Olaf Scholz wollten offenbar keine Unruhe im Krankenversicherungsbereich. Klar hätten dort erst einmal bis zu mehr...

  • Rheinische Post: Kommentar: Gefragt ist die Kunst des Kompromisses // von Matthias Beermann Düsseldorf (ots) - Wie weit darf sich eine politische Partei verbiegen, um an die Macht zu gelangen? Wo hört der Kompromiss auf, wo beginnt der Ausverkauf? Was ist noch pragmatisch, was nur noch peinlich? Um diese Fragen wird es in den kommenden Wochen in Wien gehen, wo die Konservativen von der Österreichischen Volkspartei mit den Grünen über die Bildung einer Koalition verhandeln wollen. Es ist aus derzeitiger Sicht die arithmetisch einzig mögliche Konstellation für eine wenn auch knappe Mehrheit im Parlament. Es sei denn, der für mehr...

  • Rheinische Post: Kommentar: Folgen alter Versäumnisse // von Jan Drebes Düsseldorf (ots) - Eins vorweg gestellt: Natürlich können Seiten- und Quereinsteiger den Unterricht bereichern. Jedenfalls dann, wenn sie für den neuen Beruf brennen, Lust auf das Vermitteln von Wissen haben, pädagogisch geschult sind und mit Stress umgehen können. Das gilt für alle Lehrkräfte. Viele Seiten- und Quereinsteiger müssen aber zusätzlich damit umgehen können, dass sie mitunter vom Kollegium und von den Eltern der Schüler als Lehrkräfte zweiter Klasse angesehen werden. Denn die Vorurteile sind noch immer groß. Dabei ist mehr...

  • Badische Zeitung: Die Koalition und die Grundrente: Regierung im Aufwind / Kommentar von Christopher Ziedler Freiburg (ots) - Ob es am Ende für die Groko reicht, ist damit noch nicht gesagt. Zumal der Renten-Deal noch eine Klippe umschiffen muss. In der Union ist das Grummeln deutlich vernehmbar. Nur, falls eine große Gruppe von Abgeordneten Nein sagt, würde das neue Unruhe in die Koalition tragen. Überstehen sie und die Grundrente dagegen den Dienstag unbeschadet, dürfen sich die Koalitionsbefürworter weiter im Aufwind wähnen. http://mehr.bz/khs262s Pressekontakt: Badische Zeitung Schlussredaktion Badische Zeitung Telefon: 0761/496-0 mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht