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Landeszeitung Lüneburg: Die EU soll grüner werden Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock sieht Jugendprotest an den Freitagen als Schwungrad für den Klimaschutz

Geschrieben am 10-05-2019

Lüneburg (ots) - Von Joachim Zießler

In einem fraktionsübergreifenden Gesetzesvorschlag werben Sie
dafür, das Prinzip der Freiwilligkeit bei Organspenden beizubehalten.
Soll die Gesellschaft kein moralisches Recht auf meinen Körper
erhalten?

Annalena Baerbock: Klar ist: Wir brauchen Verbesserungen bei der
Organspende. Viele Menschen warten händeringend auf eine neue Niere,
ein neues Herz, auf Hilfe. Auf der anderen Seite gibt es
grundsätzlich eine große Bereitschaft, zu helfen. Nur leider sind
aber längst nicht alle, die bereit wären zu spenden, auch
registriert. Deshalb wollen wir einen Weg finden, die
Spendenbereitschaft zu erhöhen. Zusammen mit anderen Abgeordneten
habe ich dafür vorgeschlagen, dass man, immer wenn man einen Ausweis
abholt, gefragt wird, ob man zur Organspende bereit ist. Diese
Entscheidung kann jederzeit online geändert werden. Wichtig ist aber
auch, dass die Position der Transplantationsbeauftragten in den
Kliniken gestärkt und es mehr Qualität, Verbindlichkeit, eine
aufwandsgerechte Finanzierung gibt.

Sollte das Prinzip der Freiwilligkeit nicht auf den Prüfstand? Es
sorgt dafür, dass es zu wenig Spenderorgane, aber - beim Impfen -
auch zu viele Masern-Infektionen gibt.

Ich möchte, dass wir bei der Organspende aus dem Akt der
Solidarität keinen Pflichtakt machen. Deshalb setzen wir mit unserem
Vorschlag zwar auf eine verbindliche Ansprache, aber dennoch auf
Freiwilligkeit. Ich glaube, dass man damit mehr erreicht als wenn man
automatisch zum Spender wird und dann aktiv widersprechen muss. Es
handelt sich ja um eine sehr persönliche Entscheidung. Außerdem
müssen wir eine Regelung sorgen, die vor dem Verfassungsgericht
Bestand hat.

Umfragen suggerieren den Grünen bei der Europawahl einen Triumph.
Ist die Zeit vorbei, da die Grünen gegen die Mehrheitsgesellschaft
protestieren, da sie nun ein Teil von ihr sind?

Die Zeiten sind andere, und deswegen stellen wir an uns auch einen
anderen Anspruch. Wir haben existenzielle Veränderungen. Leute spüren
die Klimakrise sehr direkt. Letztes Jahr ist die Ernte verdorrt, noch
immer sind die Böden viel zu trocken. Oder die Digitalisierung, der
ungezügelte Finanzmarkt, die Zukunft Europas. Viele Menschen sind
verunsichert. Wir müssen deshalb vieles grundlegend verändern, um
Halt zu geben und die Krisen in den Griff zu kriegen. Das gelingt
aber nur, wenn wir die Breite der Gesellschaft in den Blick nehmen,
auch die, die von unserer Politik betroffen sind. Wenn wir zum
Beispiel den Kohleausstieg vorantreiben, dann sagen wir gleichzeitig,
wie wir den Kohlearbeitern und den Regionen wirtschaftliche
Perspektiven geben können.

Zu den Wahlsiegern könnten europaweit aber auch
rechtspopulistische Europa-Gegner werden. Was können die
pro-europäischen Parteien tun, um zu verhindern, dass das Europäische
Parlament als Träger der Idee vom Projekt EU ausfällt?

Wir wollen Europa erneuern und so wieder Vertrauen schaffen. Die
Europawahl ist ja eine Richtungswahl. Auf der einen Seite drohen die
Nationalisten die EU von innen heraus zu zerstören. Auf der anderen
Seite haben sich andere - insbesondere die Bundesregierung - im
Status Quo eingeigelt. Alle Nas' lang blockiert sie wichtige
Veränderungen, nehmen Sie die Einführung einer Digitalkonzernsteuer
oder Steuertransparenz. Damit verschärft sie aber die
Vertrauenskrise. Die Menschen bekommen das Gefühl, die Politik
schützt die Konzerne, nicht sie. Und schuld soll dann Europa sein.
Deshalb müssen wir die Politik ändern: Die EU muss sozialer,
ökologischer und handlungsfähiger werden. Dann können wir dieses
großartige Friedensprojekt erhalten. Darum geht es in den nächsten
Tagen und Wochen auf der Straße und in den Debatten.

In Ungarn, Rumänien aber auch Italien präsentieren sich die
Regierungen derzeit nicht als Träger politischer Werte. Sollte die EU
weitere Erweiterungsrunden, etwa auf dem Westbalkan, auf Eis legen,
bis wieder mehr überzeugte Europäer unter Regierenden wie Regierten
zu verzeichnen sind?

Naja, überzeugte Europäerinnen und Europäer fallen ja nicht
einfach vom Himmel. Man muss schon was für Europa tun, auch mal gegen
Widerstände und Vorurteile, und man darf sich nicht von gefühlten
Stimmungen leiten lassen. Sonst wäre die EU sicher nie gegründet
worden und sonst hätte es keine Osterweiterung gegeben. Und beides
ist eine Erfolgsgeschichte. Aber zum Westbalkan: Die vereinbarten
Voraussetzungen sind erfüllt. Deshalb sollten die
EU-Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien in diesem
Jahr beginnen. Eine ehrliche EU-Beitrittsperspektive für alle Länder
des westlichen Balkans ist ein wichtiger Motor für den sensiblen
Friedens- und Transformationsprozess dort. Bis zu einem tatsächlichen
Beitritt bleibt in der gesamten Region aber noch sehr viel zu tun.
Die Lage ist fragil und vor allem im Bereich der Rechtsstaatlichkeit
gibt es große Baustellen.

Seit den 80er-Jahren haben die Grünen dafür gesorgt, dass
Schwarz-Rot-Gold einen Grünstich bekam, ökologische Themen in der
Mitte der Gesellschaft verankert wurden. Was entgegnen sie dem
"Fridays-for-Future"-Vorwurf, dass noch nichts erreicht wurde?

Die Ökologie hat den Weg aus der Nische gefunden, das schon. Aber
ja, die Jugendlichen haben recht: Die letzten Jahre ist beim
Klimaschutz viel, viel zu wenig passiert. Die Bundesregierung hat die
Hände einfach in den Schoß gelegt. Und inzwischen hat die Klimakrise
eine Dimension angenommen, die uns unter großen Zeitdruck setzt.
Dabei liegt das, was wir tun müssen, doch auf der Hand: den
Kohleausstieg umsetzen, CO2 einen Preis geben, den fossilen
Verbrennungsmotor ersetzen, die Wirtschaft umbauen zu einer
ökologischen und zukunftsfähigen. Wir müssen handeln, jetzt. Da sind
die Demonstrationen der Kinder und Jugendlichen ein enormer
Antreiber. Sie geben dem Klimaschutz den Schwung, den es in
Deutschland jetzt braucht.

Die niedersächsischen Grünen wollen nur noch den Bauern
EU-Subventionen auszahlen, die über die gesetzlichen Vorgaben hinaus
etwas für den Tier- und Naturschutz tun. Der richtige Weg?

Wir müssen die EU-Förderpolitik in der Landwirtschaft schrittweise
vom Kopf auf die Füße stellen und den Bauern Einkommensalternativen
zum Systemzwang des "Wachse oder Weiche" geben. Sonst verschärfen wir
die Probleme immer weiter, allen voran das Artensterben. Das muss man
sich mal vorstellen: eine Million Arten sind vom Aussterben bedroht.
Das ist die zweite große ökologische Krise unserer Zeit und sie
betrifft unsere Lebensgrundlagen. Deshalb: Die EU-Agrarmilliarden
müssen anders eingesetzt werden: Nicht Bodenbesitzer sollten für ihre
Fläche entlohnt werden, sondern Bauern sollten für den Schutz von
Gewässern, Natur und Arten, für Tierwohl - also für gesellschaftliche
Leistungen - Geld bekommen.



Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de

Original-Content von: Landeszeitung Lüneburg, übermittelt durch news aktuell


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