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Allg. Zeitung Mainz: Milde Strafe / Kommentar zum NSU-Urteil / Von Reinhard Breidenbach

Geschrieben am 11-07-2018

Mainz (ots) - Rechtzeitig zu ihrem 65. Geburtstag ist Beate
Zschäpe vielleicht wieder in Freiheit. 43 ist sie heute, 22 Jahre
Haft sind guter Durchschnitt bei einer Verurteilung zu
"lebenslänglich" plus Feststellung besonders schwerer Schuld. Mit 65
kann man noch etwas haben vom Leben. Den Opfern der terroristischen
Mörderbande NSU ist das nicht vergönnt. Sie sind tot. Für immer und
ewig. Das Erstaunlichste am NSU-Urteil ist, dass viele, die dazu
Stellung nehmen, von einer "harten Strafe" sprechen, die gegen
Zschäpe verhängt worden sei. Da scheint eine Bewusstseinsbildung in
die völlig falsche Richtung Raum zu greifen. Zehn ermordete Menschen,
getötet zwar nicht von Zschäpes Hand, aber doch mit Wissen und Wollen
dieser Frau, in Mittäterschaft - man könnte eine zynische Rechnung
aufmachen: Ausgehend von 22 Jahren wären das etwas mehr als zwei
Jahre Haft pro Ermordetem. Etwas mehr als zwei Jahre Haft für ein
Menschenleben. Eine harte Strafe? Ein Gericht kann kraft Gesetzes nur
"lebenslänglich" verhängen, darüber hinaus noch Sicherungsverwahrung,
aber dafür muss Gefährlichkeit nachgewiesen sein. In langer Tradition
lassen bundesdeutsche Gesetze Mörder günstig davonkommen,
"lebenslänglich" heißt faktisch oft: nur 15 Jahre, bei schwerer
Schuld ein paar Jahre mehr. Es stellt sich die Frage, wann der
Gesetzgeber diese Tradition endlich beendet. Es geht nicht um
irrwitzig hohe Strafmaße von 80 oder 90 Jahren, wie manchmal in den
USA. Schon gar nicht geht es um die Todesstrafe; sie verbietet sich.
Aber es geht um angemessene Sühne, um eine Befriedungsfunktion, die
vielleicht, wenn es gut geht, auch das Leid der Hinterbliebenen ein
wenig lindern könnte. Die Geschichte des NSU ist auch die Geschichte
eines eklatanten Staatsversagens in der Bundesrepublik Deutschland.
Viele Jahre lang zog eine Mörderbande durchs Land und brachte
Unschuldige um. Das Unterstützerumfeld wird auf 100 bis 200 Personen
geschätzt. Die meisten blieben unerkannt oder unbehelligt. Zu
vermuten ist, dass Verfassungsschützer vieles wussten oder ahnten.
Verfassungsschützer müssen viel dürfen, aber nicht alles. Hierüber
gab es nie wirkliche Aufklärung, es wird sie auch nicht mehr geben.
Das Münchner Gericht sah es, wohl zu Recht, nicht als seine
Kernaufgabe an, dieses Feld auszuleuchten, zumal der Prozess dann
noch viel länger gedauert hätte. Das Gericht hat seine Aufgabe gut
erfüllt, was nicht wenig ist in einem solchen Mammutverfahren. Die
Sicherheitsbehörden schworen schon vor Jahren heilige Eide, aus ihrem
eigenen NSU-Desaster zu lernen. Hoffentlich waren das keine Meineide.



Pressekontakt:
Allgemeine Zeitung Mainz
Wolfgang Bürkle
Newsmanager
Telefon: 06131/485980
online@vrm.de

Original-Content von: Allgemeine Zeitung Mainz, übermittelt durch news aktuell


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