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Mittelbayerische Zeitung: Zeit, zu regieren von Christian Kucznierz

Geschrieben am 06-07-2018

Regensburg (ots) - Nach einer wochenlangen Debatte, die dem Land
eine handfeste Regierungskrise eingehandelt hat - und das zu einer
der schwierigsten Zeiten der EU - muss die Frage erlaubt sein: Hat es
sich gelohnt? Ist das, was der Koalitionsausschuss in der Nacht zu
Freitag verabschiedet hat, diese Krise, diese Peinlichkeit auf
nationaler und internationaler Ebene wert gewesen? Nein, auf den
ersten Blick nicht. Diese Koalition hat sich lächerlich gemacht durch
einen Streit um ein paar wenige Asylrechtsverstöße, die nun in einem
Verfahren abgehandelt werden sollen, das es auch so schon gegeben
haben könnte, wenn die Verantwortlichen besser, entschiedener und
schneller gehandelt hätten. Und hier liegt der Grund, warum es am
Ende vielleicht doch wichtig war, dass dieser Streit geführt wurde.
Man kann lange darüber nachdenken, warum die Deutschen, wie andere
Europäer, auf einmal zunehmend rechts denken und wählen. Zumal sie
das in einer Zeit tun, in der die Zahl von Flüchtlingen, die in die
EU kommen, auf ein Niveau von vor 2015 gesunken ist. Aber man muss
akzeptieren, dass sie es tun. Der Erfolg der AfD kommt nicht von
ungefähr. Er ist aber auch nicht überzubewerten; andere europäische
Länder haben seit vielen Jahren einen harten Kern von
Rechtsaußen-Wählern. Deutschland hat diese Gruppe in der
Vergangenheit schlicht in das demokratische Parteienspektrum
integrieren können oder es geschafft, sie unter fünf Prozent zu
halten. Die AfD ist schließlich nicht das Problem, sondern das
Symptom. Das Problem ist das Versagen der etablierten demokratischen
Parteien von links bis rechts. Sie vermögen es nicht mehr, die
Menschen einzubinden. Sie haben sie frustriert, bis sie den Wahlurnen
fern blieben oder ihr Kreuz bei anderen gemacht haben. Die AfD hat
keine Lösung angeboten; aber das haben Union, SPD, Grüne oder Linke
auch nicht. Wobei das mit der Union insgesamt nicht stimmt: Die CSU
hat früh angemahnt, dass das Nicht-Reagieren Folgen haben wird. Sie
hatte Recht in der Forderung; nicht aber in der Art des Agierens. Es
ist der CSU zu verdanken, dass sie den Trend zum Nicht-Handeln bei
der Schwesterpartei beendet hat. Die Methoden, die Horst Seehofer und
Markus Söder dazu angewendet haben, sind falsch. Wer von
"Asyltourismus" spricht, ignoriert die Flüchtgründe und stempelt
Hilfsbedürftige pauschal als Betrüger ab. Er erledigt die Arbeit der
Populisten. Wer mit Rücktritt droht, aber es doch nicht tut, schadet
der Glaubwürdigkeit, nicht nur der eigenen Person, sondern der
politischen Klasse. Aber: Europa musste sich bewegen, schlicht, um
den echten Hetzern den Boden zu entziehen. Das ist ein Stück weit
gelungen. Dass dabei in Deutschland ein Kompromiss herausgekommen
ist, der höchstens den kleinsten gemeinsamen Nenner zum Thema
Migration darstellt, ist dabei so kurios wie aufgrund der offenbar
bereits aufgebrauchten Gemeinsamkeiten dieser großen Koalition
verständlich. Dass auf europäischer Ebene ein Grenzsicherungssystem
entstehen wird, das illegale Zuwanderung fast genauso unmöglich
machen wird wie legale, ist die andere Seite. Die Idee, ein
Einwanderungsgesetz für Deutschland zu erarbeiten, ist daher so
richtig wie überfällig. Populisten und Extremisten haben immer dann
Erfolg, wenn Menschen ihre Sicherheit und ihren Wohlstand bedroht
sehen. Und an diesem Gefühl sind nicht allein Zuwanderer schuld,
sondern soziale Unterschiede, Abstiegs- und Existenzängste - und eine
Politik wie die deutsche, die keine Vision einer Zukunft entwickelt.
Wie wollen wir die Renten sichern, Pflege finanzieren, Kinder
betreuen und erziehen? Wie ist bezahlbarer Wohnraum herzustellen? Wie
wollen wir miteinander leben? Diese Fragen sind längst nicht
beantwortet worden. Es ist Zeit, endlich wieder zu regieren. Nur zu
reagieren, ist zu wenig.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de

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