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Mittelbayerische Zeitung: "Mittelbayerische Zeitung" (Regensburg) zu Hartz IV:

Geschrieben am 30-03-2018

Regensburg (ots) - Die deutschen Sozialdemokraten entfachen
derzeit eine alte Debatte neu. Es geht wieder einmal um das
Hartz-IV-System, das vor 15 Jahren unter Gerhard Schröder, Franz
Müntefering und Walter Riester unter großen Schmerzen und heftigen
Protesten eingeführt worden war. Ihren Frieden jedenfalls haben viele
in der SPD, wie in der gesamten Gesellschaft, mit diesem Kern des
Sozialsystems nicht gemacht. Zwei Wochen nach Regierungsantritt
zerfetzt sich die SPD über das Hartz-IV-System. Dabei sollte die
Wiederauferstehung der alten, hochemotionalen Debatte eigentlich in
den Tiefen des GroKo-Vertrages versenkt worden sein. Dort werden
immerhin Milliarden für Langzeitarbeitslose versprochen. Doch so
leicht verschwindet ein Thema nicht einfach von der politischen
Agenda. Vor allem dann nicht, wenn es vielen auf den Nägeln brennt
und wenn es so konträr diskutiert wird. Dass trotz neun Jahren
Wirtschaftsaufschwungs, trotz sinkender Arbeitslosigkeit und
Fachkräftemangels sechs Millionen Menschen von Hartz IV abhängig
sind, ist ein drückendes, ein gesellschaftliches Problem. Dass vor
allem SPD-Linke den Finger jetzt wieder in die Hartz-IV-Wunde legen,
ist ihr Verdienst. Dass bislang jedoch nur ziemlich absurde und
fragwürdige Lösungen präsentiert werden, ist eine eklatante Schwäche.
Und zwar nicht nur der SPD, sondern der gesamten Regierungskoalition.
Während Arbeitsminister Hubertus Heil das Problem zumindest
anerkennt, will es der Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz gar
nicht anpacken. Die Union wiederum hofft, dass der Sturm an ihr
vorbeigeht. Das wird er aber nicht. Es muss mehr für den
stillschweigend abgehängten Rand der Gesellschaft getan werden.
Freilich ist ein faireres, effizienteres, ja auch menschlicheres
Arbeitsförderungssystem nicht per Fingerschnippen zu haben. Es muss
an vielen Stellschrauben gedreht, Wechselwirkungen müssen
berücksichtigt werden. Ein Geheimrezept hat niemand in der Tasche.
Viele kleine Verbesserungen sind nötig, nicht die flotte
Hartz-IV-Abschaffungs-Revolution, wie sie die Linke will. Es geht
schon gar nicht darum, mehr Geld etwas anders zu verteilen, sondern
um wirkliche Aus- und Weiterbildung, um bessere Eingliederung in den
Arbeitsmarkt. Der alte Hartz-IV-Grundsatz, dass gefördert und
gefordert wird, hat nicht ausgedient. In der Vergangenheit lag der
Schwerpunkt allerdings zu sehr auf dem Fordern, weniger auf dem
zielgerichteten Fördern, etwa durch die Jobcenter. Der neue Vorschlag
von Gesundheitsminister Jens Spahn ist in diesem Zusammenhang
bedenkenswert. Der CDU-Mann hatte mit seiner steilen These,
Hartz-IV-Bezieher seien nicht arm, heftigen Widerspruch und mediales
Aufsehen erregt. Doch wenn er nun fordert, den Kinderzuschlag für
Eltern mit niedrigem Einkommen nicht so drastisch abzuschmelzen,
damit es sich für sie mehr lohnt zu arbeiten, dann stimmt zumindest
die Richtung. Eine Kehrseite der Arbeitsmarktreformen unter Gerhard
Schröder war nämlich das massenhafte Aufkommen von Niedriglohnjobs.
Für viele Betroffene bedeutet das nichts anderes als: arm trotz
Arbeit. Ob das "solidarische Grundeinkommen", wie es Berlins
Regierender Bürgermeister Michael Müller fordert, wirklich ein
Beitrag zu mehr sozialer Gerechtigkeit sein kann, ist dagegen
fraglich. Es klingt zwar besser als Hartz IV. Doch in der
Vergangenheit haben weder Ein-Euro-Jobs noch hunderttausende
ABM-Stellen für nachhaltige Verbesserungen und für größere Chancen
für die Betroffenen gesorgt, wieder einen vernünftigen Job zu finden.
Auch milliardenteure Strohfeuer sind rasch abgebrannt.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de

Original-Content von: Mittelbayerische Zeitung, übermittelt durch news aktuell


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