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Internetzensur: Russland blockiert täglich fast 250 Webseiten

Geschrieben am 14-03-2018

Berlin (ots) - Reporter ohne Grenzen appelliert an den russischen
Präsidenten Wladimir Putin, nach seiner Wiederwahl am kommenden
Sonntag (18. März) eine Wende in der Informationspolitik seiner
Regierung einzuleiten und die freie Kommunikation von Journalisten
und Bürgern im Internet nicht länger zu behindern. In Russland haben
die Behörden 2017 der Menschenrechtsorganisation Agora zufolge jeden
Tag durchschnittlich 244 Webseiten blockiert. Mehr als 400
Internetnutzer wurden strafrechtlich verfolgt, Dutzende zu
Haftstrafen verurteilt.

Die Mechanismen der Internetzensur in Russland erklärt Reporter
ohne Grenzen kurz und anschaulich in diesem Video
(http://t1p.de/4bat) sowie in diesem Hintergrundtext
(http://t1p.de/o2lg). Einen Überblick über die Vielzahl der Gesetze,
mit denen in den vergangenen Jahren Kommunikation und
Meinungsfreiheit im Internet reguliert und eingeschränkt wurden,
finden Sie hier: http://t1p.de/cn3d.

"Die russische Führung muss ihre rückwärtsgewandte Politik
gegenüber Journalisten, Bloggern und Internetnutzern endlich
beenden", sagt ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. "Mit drakonischen
Strafen und ausufernden Internetsperren versucht der Kreml, die
lebendige russische Blogosphäre zum Schweigen zu bringen. Doch das
vielfältige Angebot alternativer Medien und Online-Portale lässt sich
- anders als das Fernsehen - nicht ohne Weiteres wieder
vereinheitlichen und staatlicher Kontrolle unterwerfen."

GELDSTRAFEN UND GEFÄNGNIS: SCHARFE URTEILE GEGEN BLOGGER UND
JOURNALISTEN

Um gegen allzu kritische Internetnutzer vorzugehen, strengt der
russische Staat immer öfter Strafverfahren an und verhängt zum Teil
drakonische Strafen für minimalste Vergehen wie das bloße
Weiterleiten unliebsamer Informationen. In einem Großteil der Fälle
geht es um "Extremismus", "Online-Propaganda" und "Aufruf zum
Terrorismus". 411 Menschen wurden 2017 strafrechtlich verfolgt - rund
70 Prozent mehr als im Vorjahr (298 Fälle). 43 von ihnen wurden zu
Freiheitsstrafen verurteilt, fünf zwangsweise in die Psychiatrie
eingewiesen. Das geht aus einem aktuellen Bericht der russischen
Menschenrechtsorganisation Agora hervor (http://t1p.de/dpdt).

Jüngster Fall ist die Verhaftung des prominenten Bloggers
Alexander Walow im südrussischen Sotschi am 19. Januar 2018. Als
Chefredakteur von BlogSochi.ru war Walow für seine kritischen
Berichte über die Machenschaften der regionalen Elite bekannt. Ein
Gericht verurteilte ihn zu zwei Monaten Untersuchungshaft, obwohl
keinerlei Beweise gegen ihn vorliegen und eine Anklage wegen
Erpressung offensichtlich politisch motiviert ist
(http://t1p.de/9g0l).

Alexander Batmanow, Journalist und Moderator des Internetsenders
NKO-TV,wurde fast vier Monate in Untersuchungshaft gehalten, bevor
ihn ein Gericht am 17. Oktober 2017 zu zwei Jahren und einem Monat
Gefängnis verurteilte - vorgeblich, weil er in einem Supermarkt Wurst
gestohlen hatte (http://t1p.de/megw). Er war am 24. Juni 2017 ohne
Gerichtsbeschluss auf einer Polizeistation eingeschlossen worden, wo
er ohne Nahrung und Wasser das Wochenende über bleiben sollte. Am Tag
darauf brach er sich beim Versuch zu entkommen, beide Knöchel
(http://t1p.de/actz). Der Prozess gegen Batmanow wurde mehrere Male
verschoben, weil sein Gesundheitszustand zu schlecht war, um vor
Gericht zu erscheinen.

Im Mai 2017 wurde der Videoblogger Ruslan Sokolowski aus
Jekaterinburg zu zwei Jahren und drei Monaten Haft auf Bewährung
verurteilt. Er hatte im August 2016 auf Youtube ein Video
veröffentlicht, auf dem zu sehen ist, wie er in der Kathedrale der
Stadt Pokémon Go spielt - zu einer Zeit, in der die Staatsspitze
dieses Spiel als Zeichen westlicher Dekadenz brandmarkte. Bevor er
wegen "Schüren von Hass und Feindschaft" und der "Beleidigung
religiöser Gefühle" verurteilt wurde, verbrachte der Blogger neun
Monate abwechselnd in Untersuchungshaft und im Hausarrest. Sokolowski
betonte, er habe mit seiner Aktion weder einen Gottesdienst gestört
noch etwas beschädigt und legte Beschwerde beim Europäischen
Gerichtshof für Menschenrechte ein. (http://t1p.de/415r)

MORDVERSUCHE UND FARBANGRIFFE: GEWALT GEGEN ANDERSDENKENDE

Immer öfter werden Menschen in Russland wegen ihrer Aktivität im
Internet gewalttätig angegriffen oder bedroht. 2017 erhöhte sich die
Zahl der Betroffenen Angaben von Agora zufolge auf 66 (im Vergleich
zu 50 Fällen im Jahr zuvor). Die Täter werden kaum je zur
Verantwortung gezogen. Agora beklagt die demonstrative Verweigerung
der Behörden, gerade die schwerwiegendsten Fälle von Drohungen oder
Angriffen gegen Internetnutzer zu verfolgen und insbesondere
Staatsbeamte zur Verantwortung zu ziehen. Dies begünstige ein Klima,
in dem kritische Nutzer bedroht werden können, ohne Folgen fürchten
zu müssen.

Internationale Aufmerksamkeit erregte am 9. Mai 2017 der Tod des
Investigativeporters Juri Andruschtschenko (http://t1p.de/w6jt). Der
73-jährige Mitgründer der Zeitung Novy Peterburg war bekannt für
seine Berichte über Korruption, Polizeigewalt und die Verbindungen
lokaler Eliten zur organisierten Kriminalität. Am 19. April wurde er
auf der Straße brutal angegriffen und erlitt schwere
Kopfverletzungen, denen er drei Wochen später erlag.

In Wolgograd überlebte die Herausgeberin des unabhängigen
Nachrichtenportals Bloknot Wolgograda, Julia Sawjalowa, Ende November
einen Mordversuch, als jemand das Bremssystem ihres Autos manipuliert
hatte (http://t1p.de/gds1). Die Polizei wurde erst Wochen später auf
öffentlichen Druck hin aktiv und ermittelt lediglich wegen
Sachbeschädigung (http://t1p.de/9t81). Bloknot Wolgograda gehört zu
den populärsten Online-Medien in der Region. Es ist bekannt für seine
kritische Position gegenüber den regionalen Machthabern und
investigative Berichte über Korruptionsfälle.

Immer wieder kommt es zu Seljonka-Attacken, also Angriffen mit
einer giftgrünen Farblösung, die in Osteuropa als Antiseptikum
verbreitet ist. Ende April 2017 traf dies in Stawropol den bekannten
Blogger Ilja Warlamow (http://t1p.de/umkc) und die Direktorin der
Schule für investigativen Journalismus in Joschkar-Ola, Galina
Sidorowa (http://t1p.de/gr5a).

MEDIENAUFSICHT ALS ZENSOR: AUSUFERNDE SPERRUNG VON INTERNETSEITEN

Die Zahl der Webseiten, die auf Anweisung der russischen
Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor gesperrt werden, ist anhaltend
hoch. 2017 waren es der Organisation Agora zufolge durchschnittlich
244 Webseiten pro Tag. Roskomnadsor teilte Mitte 2017 mit, seit
Einführung des so genannten Registers verbotener Internetseiten vor
fünf Jahren seien 275.000 Seiten vom Netz genommen worden
(http://t1p.de/ttdl). Die Menschenrechtsgruppe Roskomsvoboda, die für
ein freies Internet kämpft, zählte hingegen allein 2017 sieben
Millionen blockierte Seiten. Da oft nicht einzelne Webseiten-Inhalte
blockiert werden, sondern ganze IP-Adressen der Server, sind häufig
auch Beiträge betroffen, die weder kriminell noch extremistisch sind.
Sie werden einfach deswegen abgeschaltet, weil sie dieselbe
IP-Adresse benutzen wie eine von der Medienaufsichtsbehörde
beanstandete Seite. Solche sogenannten DNS-Sperren zählen zu den
weltweit verbreitetsten Maßnahmen, um das Internet zu zensieren.

Zuletzt in die Schlagzeilen geriet die Medienaufsichtsbehörde
Roskomnadsor, als sie am 9. Februar 2018 Fotos und Videos zu
"verbotenen Inhalten" erklärte, die ein Treffen zwischen einem
hochrangigen Regierungsbeamten und dem kremlnahen Oligarchen Oleg
Deripaska auf dessen Yacht zeigen (http://t1p.de/e6t7). Der
Oppositionspolitiker Alexej Nawalny hatte auf das Material aufmerksam
gemacht. Ein Gericht urteilte, die Bilder verletzten die Privatsphäre
des Oligarchen - ein Präzedenzfall in Russland. Roskomnadsor nahm die
Seite navalny.com daraufhin in das Register verbotener Internetseiten
auf und wies diverse Medien an, das Material zu entfernen. Betroffen
waren unter anderem Radio Liberty , Mediazona, Znak.com, Snob.ru und
Newsru.com. (http://t1p.de/j6zy)

Komplett geschlossen wurde Ende Januar die Nachrichtenseite
Russiangate, die investigative Artikel über organisierte Kriminalität
und Korruption in der Staatsspitze veröffentlichte
(http://t1p.de/5ny7). Am 23. Januar 2018 hatte sie über geheimen
Immobilienbesitz von Geheimdienstchef Alexander Bortnikow berichtet.
Die Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor blockierte die Seite
innerhalb von Stunden ohne Vorwarnung wegen angeblich extremistischen
Inhalts. Am nächsten Tag wurde Chefredakteurin Alexandrina Jelagina
entlassen, die Investoren zogen die Finanzierung für das Projekt
zurück und die Redaktion stellte ihre Arbeit ein.
(http://t1p.de/uuvh)

STRATEGIE DES KREML: KONTROLLE AUSBAUEN UND ANONYMITÄT VERHINDERN

Anfang März 2017 drohte Putins Berater in Internetfragen, German
Klimenko, in einem Interview mit dem staatsnahen Sender NTV, Russland
sei technisch in der Lage, sich vom weltweiten Internet zu trennen
und ein separates Netz mit eigenen Suchmaschinen und eigenen sozialen
Netzwerken zu betreiben (http://t1p.de/qxk6). Dieser Position liegt
die im Mai 2017 von Putin unterzeichnete "Strategie zur Entwicklung
der Informationsgesellschaft" zugrunde (http://t1p.de/uzsp). Sie
betont die Notwendigkeit, den Einfluss ausländischer Technologie in
der Online-Kommunikation zu beschränken und den Internetverkehr
vorwiegend über russische Netze laufen zu lassen. Die staatliche
Kontrolle des Internets soll ausgebaut und anonyme Kommunikation
unmöglich gemacht werden.

Auf der weltweiten Rangliste der Pressefreiheit steht Russland auf
Platz 148 von 180 Staaten.



Pressekontakt:
Reporter ohne Grenzen
Ulrike Gruska / Christoph Dreyer / Anne Renzenbrink
presse@reporter-ohne-grenzen.de
www.reporter-ohne-grenzen.de/presse
T: +49 (0)30 609 895 33-55
F: +49 (0)30 202 15 10-29

Original-Content von: Reporter ohne Grenzen e.V., übermittelt durch news aktuell


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