(Registrieren)

Landeszeitung Lüneburg: "Der Todesstoß für jeden Friedensprozess" - Der Nahost-Experte Dr. Guido Steinberg sieht nach Trumps Entscheidung keine Chance mehr für eine Zweistaatenlösung

Geschrieben am 14-12-2017

Lüneburg (ots) - Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini hat
deutlich gemacht, dass die einseitige Anerkennung Jerusalems durch
die USA eher eine Gefahr als eine Chance für den Frieden darstellt.
Oder wird es eher so sein, dass der Himmel nicht einstürze, wie es
die US-Botschafterin bei den UN, Nikki Haley, formuliert?

Dr. Guido Steinberg: Beide Positionen haben etwas für sich: Der
Himmel wird natürlich nicht einstürzen. Ich glaube auch, dass der von
einigen befürchtete Volksaufstand ausbleiben wird. Dafür gibt es
keine physischen Möglichkeiten mehr. Die Palästinenser können zwar
protestieren. Aber sie haben kaum Möglichkeiten so aufzutreten, dass
es die Israelis schmerzt. Die meisten Palästinenser sind hinter
Mauern und Zäunen eingesperrt. Gleichzeitig ist Trumps Entscheidung
wahrscheinlich der Todessstoß für jeden Friedensprozess in Nahost.
Ich persönlich bin der Meinung, dass es diesen Friedensprozess schon
lange nicht mehr gibt - und dass es auch keine Chance mehr auf eine
Zweistaatenlösung gibt. Eine Lösung, von der auch die Amerikaner
seit Jahrzehnten sprechen. Nun ist mit Trumps Ankündigung quasi
offiziell geworden, dass es keine Chance mehr auf eine
Zweistaatenlösung oder eine in irgendeiner Art befriedigende Lösung
für die Palästinenser gibt.

Gibt es die Chance nur nicht, solange Trump im Amt ist, oder
generell?

Dr. Steinberg: Ich glaube, dass es diese Chance insgesamt schon
seit einigen Jahren nicht mehr gibt. Denn der Raum, der für einen
Staat Palästina realistischerweise noch zur Verfügung stand, war viel
zu klein. Ich glaube nicht, dass sich eine palästinensische Führung
mit einer solchen Zweistaatenlösung hätte anfreunden können, die nur
eine limitierte Souveränität auf einem Raum gebracht hätte, der viel
kleiner ist als die Grenzen von 1967. Trotzdem habe ich es immer für
notwendig gehalten, Versuche zu unternehmen. Die Obama-Administration
hat meines Erachtens einen sehr ernsthaften letzten Versuch
gestartet, der gezeigt hat, wie hoffnungslos die Lage ist. Unabhängig
davon, ob Trump noch ein, drei oder sieben Jahre US-Präsident ist:
die Zweistaatenlösung hat sich erledigt.

Werden Russland oder China das Vakuum füllen, dass die USA als
Vermittler in Nahost hinterlassen haben?

Dr. Steinberg: Dafür gibt es keine Anzeichen. Die Chinesen sind im
Nahen Osten bisher nur an wirtschaftlichen und energiepolitischen
Fragen interessiert. Und ich sehe nicht, dass sich das in naher
Zukunft ändern wird. Russland ist keine Supermacht mehr. Sie haben
nur begrenzte Möglichkeiten und vor allem keinen Einfluss auf Israel.
Letzten Endes war jeder Erfolg eines Friedensprozesses doch immer
davon abhängig, dass der wichtigste Verbündete, die USA, die Israelis
zum Einlenken bewegt. Die USA bleiben der wichtigste Verbündete
Israels. Keine andere Macht hat die Aussicht, eine ähnliche Position
für Israel einzunehmen. Abgesehen davon hoffe ich nicht darauf, dass
Russland und China einflussreicher werden in der Welt. Wir sehen zum
Beispiel in Syrien, welche Folgen das hat.

Sollte oder muss die EU diplomatisch aktiver werden?

Dr. Steinberg: Die EU ist im israelisch-palästinensischen Konflikt
immer nur ein unterstützender Akteur gewesen - aus den gleichen
Gründen, aus denen Russland und China keine Rolle spielen können. Die
EU ist zwar eng mit den Israelis verbunden. Trotzdem hat die EU nur
stark begrenzten Einfluss auf Israel. Im Gegenteil: Die Vorstellungen
davon, wie eine Politik gegenüber den Palästinensern auszusehen hat,
wie der Nahe Osten geordnet werden sollte, gehen weit auseinander.
Zumindest zwischen den großen vier EU-Staaten und Israel, nicht
zwischen Ungarn und Israel.

Kann die EU überhaupt als Einheit auftreten, nachdem Litauen
Israels Premier Benjamin Netanjahu eingeladen hat, Ungarn eine Kritik
der Trump-Entscheidung im Namen aller 28 EU-Staaten verhindert und
Tschechien Trumps Schritt als nicht falsch bezeichnet hat?

Dr. Steinberg: Das Thema Israel hat das Potenzial, Bruchlinien in
der europäischen Außenpolitik zu vertiefen. Aber ohne die Abstimmung
mit den USA am Ende hat die europäische Außenpolitik keine Chance.

Wäre eine mögliche Antwort der EU die Anerkennung Jerusalems als
Hauptstadt der Israelis und der Palästinenser?

Dr. Steinberg: Da die europäische Position so schwach ist, ist es
fast gleichgültig, wie sie agiert. Wenn die EU versucht, ohne die USA
Druck auszuüben, hat das keine Auswirkungen auf den Konflikt - außer
das Verhältnis vor allem zu Israel nachhaltig zu stören. Das ist ein
Problem, das die Europäer sich teils selbst geschaffen haben. Es
gibt eine deutliche Diskrepanz zwischen der Rhetorik, die immer
wieder suggeriert, dass die EU ein außenpolitischer Akteur ist und
Einfluss hat, und der Wirklichkeit. Es sind die USA, die entscheiden,
wie die Israel-Politik des westlichen Bündnisses aussieht.

Sieht sich Netanjahu dank Trump als starker Mann in Nahost?

Dr. Steinberg: Insgesamt sind die Trump-Freunde in der Region
ermuntert worden. Es ist kein Zufall, dass die Beziehungen der
Trump-Administration zu Israel, zu Saudi-Arabien und den Vereinigten
Arabischen Emiraten neuerdings enorm stark sind. Die Herrscher in all
diesen Staaten - mit Abstrichen auch in Ägypten - sehen die
Trump-Administration viel positiver als die Europäer. Sie sehen mit
Präsident Trump eine Chance, wieder eine aggressivere Politik
gegenüber dem Iran zu führen als noch unter der Obama-Administration.
Dass sich Saudi-Arabien ermutigt fühlt, haben wir während der
Katar-Krise im Sommer gesehen. Israel fühlt sich nun ermutigt durch
die Jerusalem-Entscheidung. Die Frage wird sein, ob die Israelis so
unvorsichtig sein werden wie Saudi-Arabien und durch unüberlegte
Maßnahmen noch mehr Öl ins Feuer gießen.

Auch der türkische Präsident Erdogan hat Trumps Schritt kritisiert
und betonte, Jerusalem sei die rote Linie der Muslime. Bisher hatte
er Trump geschätzt. Wird sich nun das Verhältnis zwischen Ankara und
Washington abkühlen?

Dr. Steinberg: Generell hat Trump all diejenigen Regierungen, die
sich islamische Legitimität zu geben versuchen, durch die
Jerusalem-Entscheidung in massive Bedrängnis gebracht. Erdogan hat
aufgrund seines Hintergrundes und seiner Politik in den vergangenen
Jahren keine andere Chance, als diesen Schritt massiv zu kritisieren.
Das Verhältnis zwischen der Türkei und den USA ist ohnehin schon
abgekühlt - allerdings nicht so stark wie das Verhältnis zwischen
Deutschland und der Türkei. In jedem Fall wird die
Jerusalem-Entscheidung sicher nicht dazu führen, dass sich das
Verhältnis zwischen Washington und Ankara bessert.

Sie glauben nicht mehr an eine Friedenslösung in Nahost. Gehen Sie
davon aus, dass der Status quo von heute in den kommenden Jahren
anhalten wird?

Dr. Steinberg: Ich befürchte, dass es bei diesem Status quo
bleibt. Die Trump-Administration hat ihre eigenen Pläne zumindest
insofern vereitelt, weil die Palästinenser nun nicht mehr in der Lage
sind, in irgendeiner Weise ernsthaft mit den Amerikanern zu
verhandeln. Das Absurde an Trumps Schritt ist, dass die USA für
Anfang 2018 schon einen Friedensplan angekündigt hatten, dessen
Details schon durchgesickert waren. Demnach soll Jerusalem nicht
Hauptstadt eines künftigen Staates Palästina sein. Die Grenzen werden
ungefähr so gezogen, wie es die Israelis mit ihrem Mauerbau in den
vergangenen Jahren getan haben. Die Siedlungen werden nicht
wesentlich zurückgebaut. Und es wird auch kein Rückkehrrecht für
palästinensische Flüchtlinge geben. All das entspricht weitgehend den
Forderungen der israelischen Rechten. Wie es in der gegenwärtigen
Situation überhaupt zu konstruktiven Gesprächen mit den
Palästinensern kommen soll, sehe ich nicht. Die Amerikaner können
den Friedensplan den Palästinensern vielleicht aufzwingen, aber dies
wird keinen positiven Effekt haben.

Nach dem Verbrennen israelischer Flaggen bei Demonstrationen in
Berlin hat der Zentralrat der Juden in Deutschland sich für
Gesetzesänderungen ausgesprochen, um antisemitische Kundgebungen von
vornherein untersagen oder im Verlauf dann schnell auflösen zu
können. Teilen Sie diese Meinung?

Dr. Steinberg: Es war zwar schwer erträglich, was dort in Berlin
zu sehen war. Aber ein solcher Schritt wäre eine Einschränkung des
Demonstrationsrechts, wie ich sie noch nicht für nötig halte. Wir
müssen uns sonst die Frage stellen, inwieweit auch
rechtsextremistische Kundgebungen verboten werden müssen. Dann käme
sofort die Frage auf, wo denn die rechtsextremistische oder die
antisemitische Kundgebung beginnt. Ich glaube, dass wir das zunächst
einmal aushalten müssen. Es ist aber kein Zufall, dass das Verbrennen
von Flaggen in Berlin stattgefunden und niemand eingegriffen hat.
Hier scheint mir die Polizei insgesamt zurückhaltender als in anderen
Ländern. Ich halte das eher für ein praktisches Problem als ein
Problem der Gesetzeslage.

Das Interview führte Werner Kolbe



Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de

Original-Content von: Landeszeitung Lüneburg, übermittelt durch news aktuell


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

618827

weitere Artikel:
  • Mitteldeutsche Zeitung: zu May und Brexit Halle (ots) - Vordergründig ging es dabei um eine Abstimmung über die Vereinbarung, die London im kommenden Jahr mit der EU aushandeln will. Dabei wissen die Praktiker auf allen Seiten: Ist der Deal mit den 27 Partnern erst einmal in trockenen Tüchern, wäre eine Nachverhandlung kaum denkbar. Von einem Veto des Parlaments kann keine Rede sein. In Wirklichkeit sandten die Abgeordneten ein Signal an die Exekutive: Wir wollen in die Verhandlungen einbezogen werden. Nach der Demütigung im Parlament ist es jetzt an May, ein wenig Demut mehr...

  • Mitteldeutsche Zeitung: zu Putin Halle (ots) - Der Blick des Präsidenten in die Zukunft wirkt eher diffus. Dass er im März erneut zur Präsidentschaftswahl antreten will, ist bekannt. Das Volk will ihn, 75 Prozent gemessener Zustimmung können nicht irren. Das darf als Wahlprogramm genügen. Sicher ist nun vor allem für das Ausland, dass mit Wladimir Putin weiter gerechnet werden muss. Russland wird eine regionale und globale Macht bleiben. Die kann aber durchaus auch stabilisierende Wirkung entfalten. Pressekontakt: Mitteldeutsche Zeitung Hartmut Augustin mehr...

  • Mitteldeutsche Zeitung: zu Niki Halle (ots) - Eine große Blamage ist das Platzen der Übernahme für die Bundesregierung. Nun wird deutlich, wie sich sowohl Christ- als auch Sozialdemokraten kurz vor der Bundestagswahl über den Tisch ziehen ließen und sich auf die Seite der Lufthansa schlugen - allen voran Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU), der von der Bildung eines nationalen Champions schwärmte. Von solchen übereilten Hilfsaktionen mit populistischem Impetus sollten die Regierenden künftig die Finger lassen. Pressekontakt: Mitteldeutsche Zeitung Hartmut mehr...

  • Straubinger Tagblatt: Regierungsbildung - Die SPD muss Farbe bekennen Straubing (ots) - Die SPD kann die Entscheidung nicht mehr länger aufschieben, sondern muss Farbe bekennen, am besten schon heute: Ja zur Koalition mit der Union oder Nein - mit der Konsequenz, dass es im Frühjahr Neuwahlen gibt? Ein Sowohl-als-auch als Ausdruck der Angst vor der eigenen Courage gibt es nicht. Man kann nicht gleichzeitig regieren und opponieren. Aber nur als Regierungspartei hat man überhaupt die Möglichkeit, so viel an eigener Programmatik durchzusetzen wie möglich. Die Macht muss man wollen. Daran fehlt es der mehr...

  • Mitteldeutsche Zeitung: zum EU-Gipfel Halle (ots) - Hinter den Kulissen bröckelt die Solidarität der Union. Seit zwei Jahren ringen die Staaten miteinander, um wenigstens schon mal 120 000 Schutzsuchende aus griechischen und italienischen Lagern auf alle zu verteilen. Die errechneten Zahlen wären für kein Land eine wirkliche Herausforderung. Aber es geht um etwas anderes. Vor allem die vier Länder Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn mit nationalistischer Führung nutzen das "Feindbild" der EU geschickt, um sich selbst an der Spitze zu halten. Früher sei das Volk von mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht